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Brandenburg: Pünktlich zur Ernte scheidet Desiree dahin

POTSDAM .Pünktlich zur Ernte hat Desiree Selbstmord begangen.

POTSDAM .Pünktlich zur Ernte hat Desiree Selbstmord begangen.Blätter und Stengel sind eingetrocknet und liegen verzerrt am Boden.Durch die sandige Erde schimmern bereits die bläßlich roten Kartoffelknollen.Desiree wurde ein neues Gen eingeimpft, das ihr pünktlich zur Knollenreife den Befehl erteilt, dahinzuscheiden.Nebenan stehen ihre nicht genveränderten Brüder und Schwestern noch in voller Blüte.Sie müssen vor der Aberntung "totgespritzt" werden.Desirees Freitod-Gen könnte den Bauern viel Geld ersparen und den Einsatz von Agrochemie mindern.Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Das Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm hat sich ganz der Gen-Kartoffel verschrieben.In den Labors werden in sterilen Nährkulturen Veränderungen des Erbguts getestet.Von zigtausend Gen-Pflanzen dürfen einige erfolgversprechende in die Gewächshäuser und später ins Freiland umziehen.Derzeit warten auf einem Hektar etwa 30 unterschiedlich manipulierte Desiree-Kulturen auf ihre Aberntung, fein säuberlich numeriert.Untersucht wird beispielsweise, ob durch die Veränderung von Genen die Stärkeproduktion der Kartoffel optimiert oder die Pflanze zur Bildung eines Vorläuferstoffs für abbaubares Bio-Plastik angeregt werden kann.Ziel ist die Herstellung umweltfreundlicher Einkaufstüten vom Acker.

Brandenburg entwickelt sich nach Einschätzung des zuständigen Referenten im Umweltministerium, Peter Rudolph, zum größten Gen-Versuchsstandort in Deutschland.Forschungsinstitute und Chemiefirmen verlangten immer größere Flächen, die in der Mark ausreichend verfügbar seien.Gegenwärtig laufen an sechs Standorten - Golm, Tempelfelde, Schönfeld, Dahmsdorf, Burghagen und Prenzlau - 17 Freilandversuche auf einer Fläche von insgesamt etwa 30 Hektar.Unter den Betreibern finden sich gleich drei Unternehmen aus den Top Ten der Agrochemie: der Branchenprimus Novartis aus der Schweiz, Monsanto aus den USA und die deutsche Agrevo, eine Tochter von Schering und Hoechst.Die Chemieriesen testen genveränderte Pflanzen, die gegen ein von ihnen vertriebenes Totalherbizid resistent sind.Wird es auf den Acker gespritzt, sterben alle Pflanzen bis auf die genveränderten ab.

Für viele Umweltschützer ist das ein weiterer Schritt in Richtung industrielle Landwirtschaft.Die Versuchsfelder der Chemieunternehmen sind denn auch bevorzugte Zielscheiben für Aktionen militanter Genforschungs-Gegner.Mehrmals wurde das Agrevo-Gelände in Schönfeld bei Bernau, auf dem seit Jahren genveränderter Mais und Raps angebaut werden, besetzt und schließlich im Mai teilweise verwüstet.Agrevo betreibt in Deutschland 100 Versuchsstandorte und hat mit solchen Störungen ausreichend Erfahrung.Die Firma läßt wie die meisten Betreiber ihre Kulturen von einem Wachschutz beobachten.Das Max-Planck-Institut zahlt für diesen besonderen Pflanzenschutz 100 000 Mark im Jahr.Die übrigen Sicherheitsvorkehrungen gelten der umgebenden Natur.Mit einem Zaun werden die Pflanzen vor Wildfraß geschützt.Damit sich die Gene nicht ausbreiten können, wird die Ernte vernichtet.Ein Schutzstreifen nicht manipulierter Pflanzen soll den Pollenflug abfangen und das Auskreuzen mit wildlebenden Verwandten verhindern.

Die Genforscher bestreiten nicht, daß etwa beim Raps die Übertragung von verändertem Erbgut in die umliegende Natur möglich ist.Nur könne es keiner Pflanze schaden, gegen einen Pilz oder ein bestimmtes Pflanzenschutzmittel resistent zu sein.Die Wissenschaftler sehen in der Genmanipulation nur eine gezielte Fortführung der seit Jahrtausenden bekannten Pflanzenzüchtung.Die Spitzenkandidatin der Brandenburger Bündnisgrünen, Sylvia Voß, hält die Langzeitwirkung von Genveränderungen auf das Ökosystem hingegen für unkontrollierbar.Sie argumentiert auch ethisch: "Wir sollten nicht alles Machbare tun, sondern Ehrfurcht vor der Natur bewahren."

Der wissenschaftlicher Koordinator im Max-Planck-Institut, Rainer Höften, sagt, die Gentechnologie könne dem Naturschutz sogar dienen.Eine Pflanze, die durch einen gentechnischen Eingriff gegen Insektenbefall resistent sei, brauche für ihren Schutz keine chemische Keule mehr.Sein Institut betreibe Grundlagenforschung.Die Ergebnisse seien auch für die Lebensmittelindustrie, für die konventionelle Landwirtschaft, aber genauso für Biobauern interessant.

Jens-Uwe Schade, Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, votiert für einen pragmatischen Umgang mit der neuen Technik.Die Landesregierung unterstützt die Gen-Versuche, allerdings bleibt ihr auch gar nichts anderes übrig.Das Gentechnikgesetz sieht die Länder nur als nachgeordnete Kontrolleure vor.Genehmigungsbehörde ist das bundeseigene Robert-Koch-Institut in Berlin.Die Entscheidung, ob sich gentechnisch veränderte Anbauprodukte in Deutschland langfristig durchsetzten, trifft vor allem der Verbraucher.Die ersten manipulierten Mais- und Rapssorten sind bereits für den Anbau zugelassen.Bisher haben sich aber noch keine Bauern gefunden, die sie anpflanzen wollen.Denn niemand weiß, ob er seinen Gen-Mais nach der Ernte auch verkaufen kann.

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