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Brandenburg: Reaktionen auf den Terror: "Das ist wieder so wie 1989"

Rolf Wischnath ist Generalsuperintendent des Kirchensprengels Cottbus, der elf Kirchenkreise zwischen Frankfurt (Oder) und Senftenberg umfasst. Der 1948 in Gütersloh geborene Wischnath gilt als streitbar.

Rolf Wischnath ist Generalsuperintendent des Kirchensprengels Cottbus, der elf Kirchenkreise zwischen Frankfurt (Oder) und Senftenberg umfasst. Der 1948 in Gütersloh geborene Wischnath gilt als streitbar. So engagiert er sich als Vorsitzender des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit für die Opfer rassistischer Übergriffe. Seine Forderung, den brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) wegen seiner Abschiebepraxis vom Abendmahl auszuschließen, sorgte deutschlandweit für Schlagzeilen.

Am vergangenen Dienstag erhielten Sie in Frankfurt (Oder) für Ihr Engagement gegen Rechtsextremismus und Gewalt den angesehenen US-Kirchenpreis "Award of Affirmation". Zur selben Stunde rasten die Flugzeuge ins World Trade Center und ins Pentagon. Wie haben Sie dieses schreckliche Zusammentreffen verkraftet?

John Thomas, der Präsident unserer Partnerkirche - der United Church of Christ - hatte mir die Ehrung bereits zukommen lassen, als uns die Nachrichten erreichten. Wir haben getan, was Christen in so einer schockierenden Situation tun: einander beistehen - und beten. Beeindruckend war, wie die Amerikaner in dieser Situation aus ihrem Glauben die Kraft gewonnen haben.

Sie befürchten, dass Zorn und Wut über die Terroraktionen in Brandenburg zu noch mehr Fremdenfeindlichkeit und Gewalt führen könnten. Woher kommt diese Furcht?

Aus bisherigen Erfahrungen. Auch hier suchen extremistische Gewalttäter stets nach Vorwänden, um ihren Terror zu rechtfertigen. Dass man ja nun sehen könne, wohin ein liberales Ausländerrecht und die "Sympathieduselei mit den Ausländern" führe, habe ich schon gehört.

Vielleicht sollte man diese ersten Gefühlsausbrüche nicht überbewerten.

Wenn es doch nur bei Ausbrüchen von Gefühlen bliebe! In der Folge der fürchterlichen Gewalttaten dieser Woche kann es aber nicht nur zu militärischen Vergeltungsschlägen kommen, sondern auch bei uns zu neuen Aktionen des Faustrechts. Außerdem hat sich schlagartig das Klima verändert. Es sieht nicht danach aus, dass in absehbarer Zeit ein humanes Zuwanderungsgesetz verbschiedet wird. Auch die beiden kosovarischen Familien aus dem Landkreis Spree-Neiße, gegen deren Abschiebung so viele Brandenburger protestiert haben, kommen in der öffentlichen Meinung kaum noch vor.

Aber bedeutet das schon eine Stärkung des Rechtsextremismus?

Nicht in dem Sinne, dass rechtsextreme Parteien, Symbolen und Gesinnungen an Boden gewinnen. Aber es könnte eine größere Zustimmung zur offenen, indirekten und heimlichen Gewalt gegen Ausländer geben - und eine wachsende Gleichgültigkeit demgegenüber. Die offene Gewalt kündigt sich schon jetzt darin an, dass islamische Organisationen beschimpft, bedroht und verleumdet werden. Als indirekte Gewalt sehe ich die angekündigte, noch stärkere Abschottung gegenüber den Fremden. Das lässt sich mit dem triftigen Hinweis auf die "Abwehr des Terrorismus im eigenen Land" volkstümlich begründen.

Und was ist die heimliche Gewalt?

Die beginnt in meinem eigenen Kopf, wo ich selber mich zuerst geschlagen gebe und die Logik wieder zulasse, Gewalt könne eben nur mit Gegengewalt und der Vernichtung von Menschen begegnet werden. Und dabei müsse eben auch das Leiden von Unschuldigen in Kauf genommen werden.

Spricht jetzt der Demokrat oder der Kirchenmann?

Man muss nicht Christ sein, um die ethische Problematik von Rache und Vergeltung zu sehen. Aber Nationen, die sich selber "unter Gott" verstehen und sich in ihren Verfassungen auf ihn berufen, können keine Schlachten des Guten gegen das Böse ausrufen und sich selber dabei vollständig mit dem Guten identifizieren. Und vielleicht darf man auch darauf hinweisen, dass das Gesetz aus dem Alten Testament "Auge um Auge, Zahn um Zahn" die Rache begrenzt und nicht entschränkt.

Sie sind Generalsuperintendent in einem Bundesland, in dem zwei Drittel der Bevölkerung Atheisten sind. Was sagen Sie diesen Menschen?

Ich sage denen, die sich nicht als Christen verstehen, dasselbe wie denen, die sich bewusst zur Kirche halten: Was geschehen ist, ist ein furchtbares Verbrechen, bei dem sich niemand zu Recht auf Gott berufen kann. Wer sich auf Gott beruft, wird nicht von Angst und Hass beherrscht. Lasst Euch nicht anstecken! Steht in diesen Tagen denen bei, die so furchtbare Leiden ertragen müssen. Aber vergesst auch die nicht, die nun öffentlich in Misskredit stehen: die Menschen aus der islamischen Welt. Es ist übrigens erstaunlich, wie viele Menschen gerade jetzt wieder in die Kirchen kommen. Manche Brandenburger sagen: "Das ist wieder so wie 1989. Macht wie damals die Friedengebete und die Mahnwachen."

Die Kirchen hatten damals zweifellos großen Anteil daran, dass der Umbruch, dass die Revolution friedlich blieb.

Deswegen müssen wir fragen, was die Erfahrungen der damaligen Zeit uns heute sagen. Der amerikanische Kirchenpräsident John Thomas hat am Dienstag im Zustand tiefster Erschütterung die Hoffnung ausgesprochen, dass der Präsident seines Landes die Stärke und Weisheit behält, in einem möglichen Gegenschlag die Grenzen zu wahren und nicht unschuldige Menschen einzubeziehen. Amerikas Kirchen, Amerikas Traditionen zeigen, dass sich Patriotismus und Gewaltlosigkeit nicht gegeneinander ausschließen. Der glaubwürdigste Zeuge dafür ist und bleibt Martin Luther King.

Am vergangenen Dienstag erhielten Sie in Frankfurt

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