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Brandenburg: Rechtsextremismus: NPD nutzt Behördenpanne

Der Fall des im Juli enttarnten V-Mannes und Neonazi-Anführers Carsten S. wird immer mysteriöser.

Von Frank Jansen

Der Fall des im Juli enttarnten V-Mannes und Neonazi-Anführers Carsten S. wird immer mysteriöser. Die Brandenburger Sicherheitsbehörden haben offenbar versäumt, den Computer des Rechtsextremisten, der jahrelang für den Verfassungsschutz tätig war, sicherzustellen. Der Datenspeicher mit vermutlich zahlreichen Informationen über die rechte Szene und ihre Gegner ist dann nach Informationen des Tagesspiegels bei der NPD gelandet. Anlass für die Panne war möglicherweise ein Zuständigkeitswirrwarr in den Sicherheitsbehörden. Nach Auskunft von Experten gab es intern Hinweise, dass der Computer noch Wochen nach der Enttarnung im ehemaligen Ladenlokal von Carsten S. in Königs Wusterhausen stand. Doch passiert sei nichts.

Im Innenministerium wurden Anfragen abgeblockt. Carsten S. befinde sich in einem Zeugenschutzprogramm, weitere Fragen seien sinnlos, sagte eine Sprecherin. Die NPD reagierte ausweichend: Er wolle sich nicht an Spekulationen beteiligen, antwortete Parteisprecher Klaus Beier auf die Frage nach dem Verbleib des Computers. Beier sagte jedoch, dass die NPD noch finanzielle Forderungen an Carsten S. hatte. Dieser war im September 1999 in die Partei eingetreten und wurde Organisationsleiter im Landesverband Berlin-Brandenburg. Als seine Spitzel-Aktivitäten bekannt wurden, schloss die NPD ihn aus.

Wie brisant die in dem Computer von Carsten S. gespeicherten Informationen sind, lässt sich nur vermuten. Der Neonazi gilt als brutaler Fanatiker. Anfang der neunziger Jahre nahm S. Kontakt zu der US-amerikanischen Rassistenbewegung "Ku Klux Klan" auf. Außerdem spielte er in Königs Wusterhausen und Umgebung eine führende Rolle in der "Nationalistischen Front", die 1992 vom Bundesinnenminister verboten wurde. Im Mai 1992 beteiligte sich S. in Wendisch-Rietz am Überfall auf einen Afrikaner, der misshandelt und in den Scharmützelsee geworfen wurde. Das Landgericht Frankfurt (Oder) verurteilte S. deshalb 1995 wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Haft. Doch schon 1994 hatte sich der Neonazi dem brandenburgischen Verfassungsschutz angedient, der ihn unter dem Decknamen "Piato" führte. Ob S. zuvor für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig war, ist unklar. Die Behörde in Köln hat jeden Verdacht dementiert.

Nach seiner vorzeitigen Entlassung aus der Haft mischte Carsten S. bei den "National-Revolutionären Zellen" mit. Diese Gruppe von Neonazis aus Berlin und Brandenburg kündigte im Mai 1999 öffentlich den bewaffneten Kampf an. Einige Mitglieder der Zellen planten Anschläge mit Brandflaschen, Rohrbomben und einem Präzisionsgewehr gegen junge Linke der Antifa-Szene. Nur knapp sind Berlin und Brandenburg drei Attentaten entgangen. Zumindest in einem Fall hat Carsten S. Informationen an den Verfassungsschutz weitergegeben. Andererseits hat er sich in der "Anti-Antifa" betätigt. Im Rahmen dieser Spitzelkampagne werden nicht nur politische Gegner ausspioniert, sondern auch Richter, Polizisten und Journalisten. Welche Anti-Antifa-Daten Carsten S. in seinem Computer gespeichert hat, ist unklar. Jedenfalls befindet sich das Material nun in den Händen der NPD.

Fraglich ist außerdem, ob der Neonazi versucht hat, die Sicherheitsbehörden hereinzulegen und sich als eine Art Doppelagent von rechter Szene und Verfassungsschutz begriffen hat. Dafür spräche, dass Carsten S. angeblich nach der Enttarnung weiter im Neonazi-Milieu aktiv ist. Der "Spiegel" berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, Carsten S. habe sogar in Mecklenburg-Vorpommern ein Skinhead-Konzert mitorganisiert. Das Nachrichtenmagazin äußert den Verdacht, das brandenburgische Innenministerium habe die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages getäuscht, als die "Abschaltung" des V-Mannes und seine "positive Wandlung" verkündet worden sei. Das Ministerium reagierte gestern auf die Vorwürfe so: Was der "Spiegel" schreibe, "wird natürlich entschieden zurückgewiesen".

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