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Brandenburg: Rheinsberg wehrt sich gegen die Rechtsextremen

Nach der Serie fremdenfeindlicher Übergriffe will die Stadt die Jugendarbeit verstärken

Rheinsberg - Nach zahlreichen rechtsextremistischen Gewalttaten wird Rheinsberg jetzt aktiv. Die Stadt sucht Hilfe bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, einem von der Landesregierung geförderten Beratungsinstitut, einer PR-Agentur sowie bei erfahrenen Familien- und Jugendhelferinnen. „Allein schaffen wir kein neues Klima in der Stadt“, bekannte Bürgermeister Manfred Richter (SPD) gestern vor der Presse. „Wir starten deshalb den Versuch, Jugendliche vom rechtsextremistischen Gedankengut abzuschneiden.“ In den nächsten Monaten sollten Menschen aller Gruppen über die Zukunft der Stadt ins Gespräch kommen, um dann im Oktober auf einer „Zukunftskonferenz“ konkrete Schritte zu verabreden. Allein 9000 Euro gibt die Ebert-Stiftung, das Institut für Gemeinwesenberatung bezahlt zwei Moderatoren für die Konferenz und deren Vorbereitung.

Der Bürgermeister sieht durch den beschädigten Ruf seiner Stadt deren wirtschaftliche Grundlage in Gefahr. „Rechtsextreme Vorfälle gibt es vielerorts. Wir gestehen sie aber ein, denn wir haben nur den Tourismus“, sagt er. „Wir müssen mit der Kammeroper, Tucholsky oder der schönen Natur in die Schlagzeilen und nicht mit Übergriffen auf Ausländer oder Andersdenkende.“ Vier rechtsextremistische Gewalttaten weist die Liste für dieses Jahr auf, seit 2003 gab es mehrere Dutzend Angriffe auf türkische Imbisse, ein China-Restaurant oder auf Menschen, die negativ über die rechte Szene gesprochen hatten. Die Polizei geht von 15 rechtsgerichteten Jugendlichen in Rheinsberg aus, der Verfassungsschutz zählt rund 50 Menschen zum „Dunstkreis der Szene“. Aber diese Gruppen beeinträchtigen die Stimmung offenbar so nachhaltig, dass der Hotelier Titus-Rex Giese von der Aufgabe einer „Rekultivierung der Stadt“ spricht. Er sei erst kürzlich „im fernen Osnabrück“ verwundert angesprochen worden, wie er denn im von Rechten beherrschten Rheinsberg zwei Hotels führen könne. „Viele Dinge werden übertrieben, aber wir haben hier wirklich ein Problem.“

Eine Ursache für die schwierige Situation sieht der Bürgermeister im radikalen Umbruch seit der Wende. In der 5000- Einwohner-Stadt seien rund 1000 Arbeitsplätze verschwunden. Das 1990 abgeschaltete Kernkraftwerk habe einst 700 Menschen eine Beschäftigung geboten, heute seien noch etwa 100 Leute mit dem Abriss beschäftigt. Jeweils 130 Jobs gingen durch die Schließung eines elektronischen und eines pharmazeutischen Unternehmens verloren. „Der Tourismus und kleine Handwerksbetriebe konnten diese Verluste nicht auffangen, weder in der Zahl, noch in Niveau und Einkommen“, sagt Richter. Daher gebe es in der Stadt viele benachteiligte Gruppen, die empfänglich für rechtsextreme Parolen seien. Auch viele Jugendliche hätten keinen Job oder keinen Ausbildungsplatz. „Auf sie müssen wir unser Augenmerk legen, damit der rechtsradikale Sumpf endlich austrocknet“, sagt der Bürgermeister. In ganzen Wohnvierteln bestimme Trostlosigkeit den Alltag. Es gebe hunderte Familien mit 99,9 Prozent Hoffnungslosigkeit, erklärt Martina Utpott von der Initiative Jugendarbeit. „Die haben keine Idee, keine Perspektiven und kein Selbstwertgefühl.“ Deshalb baue sie jetzt ein Familienzentrum auf, wo Männer zum Beispiel eine Werkstatt und Frauen ein Café betreiben können. Auch ein Elterntraining für richtige Erziehung müsse angeboten werden.

Die jetzt geplanten Konferenzen und Gesprächsrunden sind aber nur dank der Hilfe von Stiftungen und Instituten möglich. Die Stadtkasse ist so leer, dass am Jahresanfang die Stelle der einzigen städtischen Jugendarbeiterin gestrichen werden musste.

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