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Brandenburg: Richter war gnädig

Blinder Asylbewerber aus Vietnam darf trotz Ablehnung durch Härtefallkommission bleiben

Potsdam - Mit einer Überraschung endete am vergangenen Freitag eine Verhandlung vor dem Potsdamer Verwaltungsgericht. Der 23-jährige blinde Vo Minh Chau aus Vietnam, der seit fünf Jahren in Deutschland lebt und abgeschoben werden sollte, erhält nun doch eine Aufenthaltserlaubnis – obwohl sich sogar die Härtefallkommission dagegen ausgesprochen hatte. Dieser Ausgang stellt ein Novum in der brandenburgischen Rechtsgeschichte dar: Erstmals wird trotz der Ablehnung durch die Kommission ein Aufenthaltstitel durch einen Richter und durch das Einsehen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gewährt.

Mühsam tastete sich der schmächtige Vietnamese in den Gerichtssaal. Der junge Mann ist seit einer Gehirnoperation wegen eines Tumors fast blind. Seit fünf Jahren lebt Vo im Übergangswohnheim Belzig. 2003 erkrankte er. In Vietnam hätte Vo sich die teuren Operationen und Untersuchungen kaum leisten können. Die Nachwirkungen der chemischen Waffen aus dem Vietnamkrieg, wie „agent orange“, sorgen noch in der zweiten Generation für viele Krebsfälle. Vo ist vermutlich einer davon. Ohne Ausbildung hätte er sich in dieser Region nur schwer ernähren können. In Vietnam sind Blinde sozial geächtet, fristen oft ein Dasein als Bettler. Staatliche Hilfe könnte Vo in dem armen Land ebenfalls kaum erwarten, bestätigen Hilfsorganisationen. Dennoch lehnte die zehnköpfige Härtefallkommission, die aus Vertretern der Landesregierung und Kommunen besteht sowie aus Abgesandten der Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen, den Antrag auf Sonderbehandlung im Februar ohne Begründung ab, wie der Tagesspiegel erfuhr. Auch nach der Gerichtsverhandlung wollte sich die Kommission gestern nicht zu dem Vorfall äußern.

Richter Michael Wein musste entscheiden, ob dem Vietnamesen in seinem Heimatland eine „wesentliche Verschlimmerung“ seiner Lage droht. Nur das ist ein Grund, um die Abschiebung auszusetzen. Der Richter ging davon aus, dass Vo durchaus mit seiner Erblindung zurechtkommen würde. Die eigentliche Frage sei allerdings, ob ein Leben als Bettler zumutbar sei, sagte Wein. Auch Vos Anwalt Felix Isensee führte dies als Hauptargument gegen eine Abschiebung an. Ein „menschenwürdiges Leben“ sei in Vietnam für seinen Mandanten nicht möglich.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge räumte ein, dass Vo zu seiner Existenzsicherung in Vietnam eine Ausbildung bräuchte. Somit schlug der Richter am Ende ein Entgegenkommen der Beamten vor: Das Amt solle die Abschiebung überdenken, da eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Vo solle einen Aufenthaltstitel für die Dauer seiner Ausbildung, zum Beispiel als Masseur, gewährt werden. Danach könne man noch einmal über eine Abschiebung sprechen.

Jörg Oberwittler

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