zum Hauptinhalt

Brandenburg: Schnitzel statt Frühlingsrolle

Junge Chinesen suchen ihr Schulglück zunehmend in Brandenburg

Von Gerhard Specht

Nauen. China hat 1,3 Milliarden Einwohner, Nauen 11200. Chinas Wirtschaft boomt, Nauen sucht einen Bademeister. Und doch haben China und Nauen etwas gemeinsam, deshalb sitzt die 20-jährige Feng Beibei aus der Millionenstadt Hangzhou im privaten Freien Gymnasium Nauen und liest die Maria aus „Woyzeck“ vor. „Mensch, sind noch die Narrn von Verstande, dann ist man selbst ein Narr.“ Harter Stoff für Feng Beibei. Büchners Sprache, seine Wortdrehungen und -schöpfungen, das ist schon für Deutsche nicht leicht. Feng Beibei beißt sich durch, hält sich tapfer, und ihr deutscher Mitschüler, der den Tambourmajor gibt, zitiert voller Überzeugung: „Das ist ein Weibsbild“.

Feng Beibei kam vor einem Jahr nach Nauen. In Chinas Ballungszentren gibt es viele wohlhabende Familien, meist mit einem Kind. Ein Auslandsstudium gilt als „Königsweg“ zum Glück, Deutschland ist beliebt. Deshalb kommen immer mehr Chinesen an deutsche Schulen. Dort sollen sie das Abitur machen, das sie zu „Bildungsinländern“ macht. Sie haben dieselben Zugangschancen an deutschen Hochschulen wie Deutsche.

Auch die Potsdamer Schiller-Akademie nimmt chinesische Schüler an. „Maximal 25 Prozent internationaler Schüler können wir integrieren“, sagt Schulleiter Andreas Mohry. Die private Akademie wurde mit zwölf Schülern gegründet, heute werden 160 Schüler in 13 Klassen unterrichtet. In der gymnasialen Oberstufe pauken sieben Chinesen. Mit rein chinesischen Klassen arbeitet die Ergänzungsschule in Neuruppin. 18 Jugendliche bereiten sich dort auf ihre Reifeprüfung vor.

Am Freien Gymnasium Nauen, 1995 gegründet, lernen 340 Schüler, jeder vierte ist aus China. 10000 Euro kostet ein Schuljahr inklusive Verpflegung, Krankenversicherung und WG-Zimmer – und jede Menge Erfahrungen mit der anderen Kultur, einschließlich Missverständnissen. Anfangs haben die chinesischen Schüler im Unterricht nichts gefragt und bei Diskussionen geschwiegen, sagt Schulleiterin Irene Petrovic-Wettstädt. In chinesischen Klassen mit 50 bis 60 Schülern halten die Lehrer ihren Unterricht wie Vorlesungen ab, alle schreiben mit und repetieren solange, bis sie es können.

Nach einem Jahr in Nauen haben Feng Beibei und ihr Mitschüler Yi Lite noch Probleme mit den Fachbegriffen in Biologie oder eben mit „Woyzeck“. Feng Beibei will Wirtschaftswissenschaft studieren. Ihr Vater betreibt in Hangzhou ein Unternehmen für Autozubehör, da will sie einsteigen. Yi Lite aus Peking plant, in Deutschland Informatik zu studieren, wie schon sein Vater und sein Onkel.

Die chinesischen Schüler wurden von den Nauenern in Auswahlgesprächen ausgesucht. Jedes Jahr an drei Juli-Tagen gibt es in Peking zentrale Prüfungen. Zigtausenden Bewerbern stehen nur ein paar Plätze gegenüber. Alle Bewerber sind über 18 Jahre alt und haben bereits ein ausgezeichnetes chinesisches Abitur, das hier als Realschulzeugnis gewertet wird. Die chinesischen Behörden bevorzugen Schulen mit internationaler Ausrichtung, etwa durch Schulpartnerschaften. Die hat auch das Freie Gymnasium Nauen.

Dort haben die chinesischen Schüler inzwischen Einfluss auf den Stundenplan genommen. Es gibt eine Projektwoche Chinesische Heilkunst, und einige deutsche Schüler haben sich in der „Arbeitsgemeinschaft Chinesisch“ engagiert und üben Konservation auf Mandarin. Schulleiterin Petrovic-Wettstädt sagt, Toleranz sei in Nauen nicht nur ein Wort, sondern werde gelebte Normalität.

Einfach ist der Unterricht nicht. „Die Stunden haben sich doch sehr verändert, weil die Chinesen nicht so gut Deutsch konnten. Es wurde sehr langsam gearbeitet, fast war es langweilig. Aber die sind ja alle sehr nett, wir verstehen uns gut", berichtet eine deutsche Schülerin. Auch Feng Beibei sagt, dass es viele Probleme „mit dem Lernen und dem Leben“ gebe, „aber unsere Lehrer sind immer für uns da“. Es sei gut, dass Nauen so klein sei. So lenke nichts vom Lernen ab.

Im Potsdamer Bildungsministerium steht man dem deutsch-chinesischen Klassenzimmer aufgeschlossen gegenüber: „Wenn das solide gemacht wird, ist das durchaus sinnvoll“ – am Ende auch für Deutschlands Wirtschaft. Die Absolventen sitzen später an Schaltstellen in Chinas Industrie, der enge Kontakt zu Deutschland könne dann als „Marktöffner“ für deutsche Unternehmen und Produkte wirken.

Gerhard Specht

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false