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Brandenburg: Staatsanwaltschaft will Jugendamt verklagen

Die Behörde unternahm nichts gegen die Misshandlungen des kleinen Pascal, obwohl sie offenbar davon wusste

Von Sandra Dassler

Strausberg /Frankfurt (Oder). „Das Jugendamt und die Polizei, Ärzte und Bekannte – alle tragen eine moralische Mitschuld daran, dass der kleine Pascal sein Leben lang ein Pflegefall bleiben wird.“ Diese traurige Erkenntnis sprach Ulrich Gräbert am Dienstag am Ende des Prozesses um die Misshandlungen des kleinen Pascal aus. Gräbert ist der Vorsitzende Richter des Landgerichts Frankfurt.

Zumindest das von Gräbert kritisierte Versagen des Jugendamtes wird juristische Konsequenzen haben. Am Mittwoch prüfte die Staatsanwaltschaft in Frankfurt, ob das Jugendamt in Strausberg seine Fürsorgepflicht verletzt hat. Ein entsprechender Anfangsverdacht sei vorhanden, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Ulrich Scherding. Außerdem werde gegen eine Mitarbeiterin des Jugendamtes wegen Falschaussage ermittelt.

Der kleine Junge war vom Ex-Freund seiner Mutter mehr als ein Jahr lang gequält und schließlich so schwer misshandelt worden, dass er fast gestorben wäre. Nachdem das Jugendamt erste Hinweise auf die Misshandlungen bekommen hatte, wurde der Junge in eine Pflegefamilie gegeben. Der Richter sagte, es sei „bitter“, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes den Jungen später aber wieder zur Mutter zurückgeholt hätten, ohne die vom Familiengericht verhängten Auflagen zu kontrollieren.

Eine Mitarbeiterin der Behörde hat vor Gericht abgestritten, von einer Strausberger Polizistin auf mögliche Misshandlungen des Kindes informiert worden zu sein. Die Beamtin sagte aus, sie sei wegen eines Drogendelikts in der Wohnung von Pascals Peiniger Marcel O. gewesen. Dabei sei ihr aufgefallen, dass „mit dem Kind etwas nicht stimmte“. Sie habe dann das Jugendamt über ihren Verdacht informiert.

Eine Ärztin hat im Prozess ausgesagt, sie habe an einem Freitagnachmittag beim Jugendamt angerufen und den Verdacht geäußert, dass der Junge misshandelt werde. Eine Mitarbeiterin habe sie daraufhin gefragt: „Wissen Sie eigentlich, wie spät es jetzt ist?“ Auch an diesen Anruf erinnert sich niemand im Jugendamt Strausberg. „Entweder lügen Polizistin und Ärztin oder die Mitarbeiterin der Behörde“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschafts-Sprecher Ulrich Scherding. Er will in den nächsten Tagen auch prüfen, wo eine Anzeige „verschwunden“ ist, die der leibliche Vater von Pascal bei der Polizei in Strausberg aufgab.

Dass die Anzeige verloren gegangen sein soll, bezeichnete der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung als „unglaublich“. Ein Sprecher der Strausberger Polizei wies den Vorwurf zurück. Die Anzeige sei bereits am 26. Mai dieses Jahres „persönlich an die zuständige Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft übergeben“ worden.

Warum die Strausberger Polizei nichts unternommen hat, nachdem der leibliche Vater von Pascal auf die Qualen seines Sohnes hingewiesen hatte, bleibt weiter ein Rätsel. Vielleicht misstraute man dem Kindesvater, der um das Sorgerecht stritt. Oder man sah keinen Handlungsbedarf, weil der angezeigte Fall schon einige Monate zurücklag. Für Richter Ulrich Gräbert stand nach dem Prozess jedoch fest: Pascal hätte geholfen werden können, wenn die Polizei nicht nur bei Verdacht auf Drogenhandel „Sofortmaßnahmen“ ergreifen würde. Sondern auch bei einem Verdacht auf eine Kindesmisshandlung.

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