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Auf den Spuren des Schreckens. Ehemalige KZ-Insassinnen aus Russland beim Gang über das Lagergelände in Sachsenhausen.

© Steyer

Tag der Befreiung: Mahnung am Gedenktag

Vor 65 Jahren wurden Ravensbrück und Sachsenhausen befreit. Die KZ-Überlebenden fordern eine Dokumentation über die Lagergeschichte - die soll erst in den Jahren 2012-2013 fertiggestellt werden.

Am Tag der Befreiung des größten Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück bei Fürstenberg vor fast 65 Jahren erklang plötzlich die Marseillaise: Französische Frauen waren auf dem Weg in die Freiheit am Haus des Lagerkommandanten vorbeigekommen und hatten beim Blick durchs Fenster ein Klavier entdeckt. „Es bereitete mir eine solche Freude, wieder einmal Musik zu hören“, erinnerte sich später Marie-Claude Vaillant-Couturier. „Man besinnt sich auf all die Dinge, die man so lange entbehren musste ... Zum Schluss spielten und sangen wir alte französische Lieder und die Marseillaise natürlich, und das auf dem Klavier des Kommandanten.“

An solche beeindruckenden Geschichten wurde am gestrigen Sonntag auf der zentralen Gedenkfeier für die Befreiung des KZ Ravensbrück erinnert, in dem zwischen 1939 und 1945 rund 132 000 Frauen und Kinder, 20 000 Männer und 1000 weibliche Jugendliche als Häftlinge interniert waren. Etwa 150 Überlebende gedachten gemeinsam mit mehreren Hundert Gästen der toten Kameraden. Allerdings konnten die aus Israel, Österreich, Großbritannien, Belgien und anderen Ländern erwarteten Delegationen wegen des Flugverbots nicht kommen.

Die Präsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees, Annette Chalut, wich auf den Bus aus. Sie war 1944 verhaftet worden, weil sie ihren Vater bei der Beschaffung von falschen Papieren für inhaftierte Mitglieder der Resistance unterstützt hatte. Die spätere Medizinerin kam nach Ravensbrück, um nach einer Quarantänezeit in ein Außenlager überstellt zu werden. In ihrer Ansprache auf der Gedenkfeier würdigte sie die „großen Fortschritte auf dem Lagergelände“, bemängelte aber, dass die große Dokumentation über die Lagergeschichte erst in den Jahren 2012-2013 fertiggestellt werden soll.

„Werden wir diese Ausstellung noch erleben?“ fragte sie. „Sie kommt sehr spät.“ Sorgen bereiten ihr auch die fehlenden Hinweise auf das „Jugendlager Uckermark“, auf Siemens und seine Werkstätten und „auf die Arbeit der Sklavinnen am und im See und auf das Männerlager der Verzweiflung und des Todes“.

Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ging in seiner Rede auf diese Kritik ein: „Ich sage Ihnen heute zu, dass wir auch für das Jugendlager Uckermark eine angemessene Lösung“ finden werden. Das Gelände bei Fürstenberg diente einst der Inhaftierung von „asozialen“ und in „Umerziehung“ befindlichen Mädchen und Frauen und war zwischen Dezember 1944 und April 1945 für Hunderte Frauen die letzte Station vor dem Gang in die Gaskammer. Die in den letzten Jahren von privaten Initiativen aufgestellten Hinweisschilder waren mehrfach Ziel rechtsextremistischer Anschläge geworden.

Das gemeinsam gesungene „Lied der Moorsoldaten“ trieb den Überlebenden, die oft mit Kindern und Enkeln gekommen waren, Tränen in die Augen. Zwei 85-jährige Frauen aus Russland stützten sich auf zwei Studentinnen aus Berlin, die mit rund 100 Kommilitonen die Betreuung der Gäste übernommen hatten. „Vergessen Sie nie die Schrecken an diesem Ort“, sagte Magera Mangustschwa, die die Befreiung von Ravensbrück am 30. April 1945 miterlebt hatte. „Wir können bald nicht mehr wiederkommen. Bitte bewahren Sie die Spuren der Erinnerung.“

Auch in der Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg begingen etwa 150 Überlebende mit vielen Gästen den Jahrestag der Lagerbefreiung. Hier mahnte das Internationale Sachsenhausen-Komitee ebenfalls den „baldigen Abschluss der Neugestaltung der Gedenkstätte“ an. So sei die sogenannte Ringmauer noch immer akut einsturzgefährdet und stelle eine ständige Gefahrenquelle dar. Außerdem habe die geplante Verlegung von Steinblöcken, die die ehemaligen Häftlingsbaracken symbolisieren, noch keinen Abschluss gefunden. Die Überlebenden würden mit Empörung feststellen, dass nach wie vor Schilder den ehemaligen Appellplatz verschandeln.

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