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Terrorverdacht: „Vorwurf ist an den Haaren herbeigezogen“

Grüne laden inhaftierten Soziologen ein

Berlin - Die Grünen haben den wegen Terrorismusverdachts verhafteten Stadtsoziologen Andrej H. zu ihrer Fraktionsklausur Ende August eingeladen. Nach Auskunft von Fraktionschef Volker Ratzmann soll damit ein Zeichen gesetzt werden, weil die Vorwürfe gegen H. „absolut an den Haaren herbeigezogen und gefährlich“ seien. Der Wissenschaftler war in der vergangenen Woche zeitgleich mit drei mutmaßlichen Mitgliedern der „militanten gruppe“ (mg) festgenommen worden, die in Brandenburg versucht haben sollen, Lastwagen der Bundeswehr anzuzünden. Laut Bundesanwaltschaft soll Andrej H. „konspirative Kontakte und Treffen“ mit einem der drei Beschuldigten gehabt haben. In Bekennerschreiben nach früheren Brandanschlägen seien die gleichen Formulierungen verwendet worden wie in H.s wissenschaftlichen Arbeiten.

Die Kritik an der Verhaftung von H. wächst von Tag zu Tag. Nach den Verteidigern und der Organisation Attac hatte auch Carola Bluhm, Fraktionschefin der Berliner Linken, die Verdächtigungen der Bundesanwaltschaft am Dienstag als „grotesk, hilflos und in höchstem Maße spekulativ“ bezeichnet. Institutsdirektor Hartmut Häußermann von der Humboldt-Universität bezeichnete die Argumentation der Bundesanwaltschaft als „abenteuerlich“. Terrorismusvorwürfe, die aus gleichlautenden Formulierungen herrührten, „könnten ja jedem Wissenschaftler und jedem Journalisten passieren“, sagte der Professor, bei dem H. promoviert hat.

Ähnlich äußerte sich Grünenpolitiker Ratzmann, der selbst Anwalt ist und sich nach eigener Aussage über das Verfahren gründlich informiert hat, bevor er am Dienstag die Einladung an H. und einen Brief an Generalbundesanwältin Monika Harms geschickt hat.

Während der FDP-Rechtspolitiker Björn Jotzo das Signal der Grünen zumindest teilweise versteht, kommt von SPD und CDU Kritik: „Ich halte es für problematisch, wenn sich eine politische Fraktion so in ein Ermittlungsverfahren einmischt“, sagte SPD-Innenpolitiker Thomas Kleineidam. Der Sozialdemokrat diagnostiziert bei den Grünen „ein Problem, sich von bestimmten Gewalttaten zu distanzieren“. So habe vor einigen Tagen der Grünen-Umweltexperte Michael Schäfer in einer Presseerklärung die Attacken auf Geländewagen indirekt unterstützt und Innenexperte Benedikt Lux im Innenausschuss Angriffe auf Polizisten bei einer Demonstration relativiert. CDU-Generalsekretär Frank Henkel sprach angesichts der Einladung für H. gar von einem „fatalen politischen Signal“, denn „ein Terrorverdacht wiegt schwer“.

Auch unter drei weiteren Personen, die zwar auf freiem Fuß sind, aber gegen die ebenfalls wegen Mitgliedschaft in der „mg“ ermittelt wird, befindet sich mindestens ein Forscher. Die Behörden hatten den Computer eines Berliner Sozialwissenschaftlers beschlagnahmt, der wohl wegen mangelnden Tatverdachts nicht inhaftiert worden ist. Die Beschuldigungen gegen ihn seien eine „wilde Mischung“. „Bisher verweigere die Bundesanwaltschaft die Akteneinsicht, sagte der Verdächtigte gestern. Die Vorwürfe basierten vor allem auf Formulierungen in einem schon 1998 veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel, die auch in Texten der „mg“ verwendet worden sein sollen, sagen Rechtsanwälte. Nach Tagesspiegel-Informationen bereiten auch Wissenschaftler aus dem Ausland eine Solidaritätserklärung für die beschuldigten Forscher vor. Stefan Jacobs / Hannes Heine

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