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Brandenburg: Tiefe Kratzer am Leben einer Legende

Potsdam soll ein Museum für die Keramikerin Hedwig Bollhagen erhalten Wissenschaftler erheben Vorwürfe wegen ihrer Rolle in der NS-Zeit

Potsdam - Die Eröffnung des Hedwig-Bollhagen-Museums in Potsdam verzögert sich. Statt wie geplant im Juni 2008 kann die Konzeption frühestens einen Monat später fertiggestellt werden. Der Grund: Ein Forschungsauftrag der Stadt an das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) über die Rolle der Künstlerin in der NS-Zeit. Untersucht werden soll die Lebensgeschichte der Brandenburger Keramikerin Hedwig Bollhagen (1907-2001) – mit Schwerpunkt auf den Jahren ab 1933. „Damit soll sichergestellt werden, dass der Nachlass Hedwig Bollhagens die angemessene Würdigung erfahren kann“, hatten Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), Bollhagen-Anwalt Lothar de Maizière und die Bollhagen-Erbin jüngst gemeinsam mitgeteilt.

In Ostdeutschland ist die Keramikerin Hedwig Bollhagen für viele eine Legende. Der Platz, den die Potsdamer Stadtverordneten dem geplanten Museum zugedacht haben, könnte auch kaum würdiger sein: In einem der schönsten historischen Häuser der Stadt, dem barocken Bürgerhaus „Im Güldenen Arm“ soll der künstlerische Nachlass der Keramikerin dauerhaft ausgestellt werden. An Besuchern wird es dort kaum mangeln, das zeigte bereits die Retrospektive, die das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) 2007 anlässlich des 100. Geburtstags der Künstlerin veranstaltete.

Als bescheiden, gewitzt, herzlich und fleißig wurde die Keramikerin oft beschrieben: Die nach ihr benannten Werkstätten in Marwitz, etwa zehn Kilometer nordwestlich von Berlin, übernahm sie als 26-Jährige im Jahr 1934 und arbeitete dort bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 2001 noch jeden Tag –bemalte Teller, Tassen und Kannen in ihren typischen Dekors in einfachen Farbkombinationen, am liebsten in Blau-Weiß.

Aber so zeitlos ihr Werk auch sein mag – geschichtslos ist es nicht. Die Künstler-Legende erscheint in einem anderen Licht, seit Wissenschaftler eine systematische Aufarbeitung der Geschichte der Werkstätten in Marwitz forderten. Umstritten ist sowohl die Rolle des Betriebs in der Nazizeit – die HB-Werkstätten hatten unter anderem einen Großauftrag für den „Reichsführer SS“ angenommen – sowie der genaue Hergang der Übernahme im Jahr 1934: „Faktisch eine Arisierung“, wie Rüdiger Hachtmann vom Zentrum für Zeithistorische Forschung einschätzt.

Die Kunstwissenschaftlerin Ursula Hudson-Wiedenmann geht noch weiter: „Es kann kein Bollhagen-Museum geben“, sagt sie. Hudson-Wiedenmann beschäftigt sich seit neun Jahren mit der Keramikerin Margarete Heymann-Loebenstein, der jüdischen Vorbesitzerin und Gründerin der Werkstätten in Marwitz. Heymann-Loebenstein habe im Jahr 1934 keineswegs einen heruntergewirtschafteten Betrieb verkauft, wie es noch im Katalog zur Retrospektive heißt.

Unter welchen Vorzeichen der „Verkauf“ 1934 stattfand, ist in den Akten des Brandenburgischen Landeshauptarchives nachzulesen: Demnach hatte Heymann-Loebenstein den Betrieb im Sommer 1933 geschlossen und war geflohen, da sie nach einer Denunzierung „wegen Verächtlichmachung und Herabsetzung der Deutschen Staatsautorität“ ihre Inhaftierung befürchten musste. Die Kaufverhandlungen führte ihr Vertreter. Während die Gestapo in Berlin bereits informiert war, meldeten sich erste Kaufinteressenten: „Aus dem Marwitzer Werk muss mit der Zeit ein deutsches Unternehmen entstehen ohne Einfluss nichtarischer Personen“, schreibt einer von ihnen an den Gemeindevorsteher in Marwitz und schlägt ihm vertraulich vor, „ganz energisch mit diesem Herrn Vertreter von Loebenstein, die Red.] umzugehen und evtl. anzudeuten, dass auch schliesslich andere Schritte unternommen werden können, um diesen nichtarischen Personen entgegenzutreten“.

Am 26. April 1934 kaufte Heinrich Schild, NSDAP-Mitglied, Generalsekretär des Reichsstandes des deutschen Handwerks und Freund Bollhagens, den Betrieb zum Spottpreis. Bereits vier Tage später ging er wieder in Produktion – unter künstlerischer Leitung von Bollhagen. Die Keramikerin fertigte zum Teil auch weiter nach den Formen ihrer Vorgängerin: Auf „50 Prozent plus“ beziffert Hudson-Wiedenmann den Heymann-Loebenstein-Anteil im ersten Bollhagen-Katalog. Diese Kontinuität zeige, wie stark dies den Grundstock des Wirkens und Schaffens von HB bildete. Das Verschweigen von Heymann-Loebensteins Anteil am Erfolg von Bollhagen bezeichnet die Kulturwissenschaftlerin als „zweiten Mord am Ruf dieser Person“. Sie fordert für das Potsdamer Museum deshalb eine „Zusammenschau über das, was in Marwitz zwischen 1923 und 2007 entstanden ist“.

Betriebsführungen durch die HB-Werkstätten gibt es jeden letzten Mittwoch im Monat um 13 Uhr. Werkstattverkauf mittwochs von 9 bis 17 Uhr sowie samstags von 10 bis 14 Uhr. Hedwig-Bollhagen-Str. 4, 16727 Oberkrämer/Marwitz. Information unter Tel.: 03304 39800 oder im Internet auf www.hedwig-bollhagen.de.

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