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Welzow: Stasi-Zoff und Tagebau: Eine Stadt findet keinen Schlaf

Sonntag soll der Bürgermeister der brandenburgischen Kleinstadt Welzow abgewählt werden, weil er IM war. Doch nicht jeder findet schlimm, dass er seine Vergangenheit verschwiegen hat.

Von Sandra Dassler

Welzow - Sie sind schon etwas Besonderes, die Welzower. Jahrzehnte lang litten die Einwohner der kleinen Stadt südlich von Cottbus unter dem Lärm der hier stationierten sowjetischen Militärflieger. Als diese aber Anfang der 90er Jahre abzogen, weinten viele Welzower.

Auch unter ihrem Bürgermeister Reiner Jestel leiden viele Welzower nach eigenen Aussagen seit Jahren. Sie beschreiben ihn als „überfordert“ und „inkompetent“. An diesem Sonntag haben sie nun die Möglichkeit, ihn abzuwählen – ob sie es aber wirklich tun, ist keineswegs sicher.

Dabei interessiert sich inzwischen das ganze Land für den Bürgerentscheid in der 4000-Einwohner-Stadt. Denn vordergründig geht es dabei um die verschwiegene Stasi-Tätigkeit des Bürgermeisters. Wie berichtet hatte der 2003 zum Stadtoberhaupt gewählte Jestel als inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die DDR-Staatssicherheit gearbeitet, 1998 aber als Welzower Stadtverordneter eine Erklärung unterschrieben, dies nie getan zu haben.

Kurz nachdem Jestel zum Bürgermeister gewählt worden war, wurde er lange krank, konnte seine Aufgaben nach Meinung der Stadtverordnetenversammlung nicht mehr wahrnehmen. Die erklärte ihn, da er nicht freiwillig abtrat, für dienstunfähig und ernannte seinen Stellvertreter, den Hauptamtsleiter Detlef Pusch, zum kommissarischen Stadtoberhaupt.

Jestel zog vor Gericht und gewann. Zurück im Amt versuchte er als Erstes, seinen Hauptamtsleiter Pusch loszuwerden, indem er für ihn eine Stasi-Überprüfung beantragen ließ. Da Pusch nichts davon wusste, scheiterte dies, die Stadtverordnetenversammlung beschloss daraufhin die Überprüfung aller, einschließlich des Bürgermeisters. Ausgerechnet – und nur – bei ihm fand sich eine IM-Akte, worauf die Stadtverordneten ihn erneut aus dem Amt jagten. Diesmal mit der Begründung, er habe sie arglistig getäuscht.

Doch das Verwaltungsgericht sah das anders. Zwar habe Jestel 1998 gelogen, aber bei seiner Ernennung als Bürgermeister sei er nicht noch einmal nach Stasi-Mitarbeit gefragt worden. Deshalb liege keine arglistige Täuschung vor. Jestel kehrte ins Rathaus zurück – und feuerte Hauptamtsleiter Detlef Pusch. Fristlos.

Nun aber wurde es auch vielen Bürgern zu bunt. „Der Pusch hat so viel Gutes für die Stadt getan“, sagt Gundula Stede, die den außerparlamentarischen Widerstand gegen Jestel organisiert. Die 62-Jährige leitet den Welzower Sportverein und engagiert sich im Bergbautourismusverband der Stadt: „Immer, wenn Detlef Pusch im Rathaus regierte, ging es vorwärts“, sagt sie: „Wenn Jestel wieder kam, stagnierte alles. Der Mann muss weg, damit Welzow eine Zukunft hat. Außerdem wäre er nie gewählt worden, wenn er seine Stasi-Tätigkeit nicht verschwiegen hätte.“

Letzteres sehen die meisten Welzower Bürger anders. „Das mit der Stasi kann man ihm nicht mehr vorwerfen, die haben ihn ja unter Druck gesetzt“, sagt eine Einwohnerin. Auch von jenen, die Jestel abwählen wollen, hört man immer wieder: „Es geht darum, dass er unfähig ist – mit der Stasi hat das nichts zu tun.“

Jestel habe geschickt vor allem ältere Einwohner auf seine Seite gezogen, sagt Gundula Stede. Deshalb sei keinesfalls sicher, dass Jestel, der für den Tagesspiegel nicht zu sprechen war, am Sonntag tatsächlich aus dem Amt gejagt wird. „Dazu genügt zwar die einfache Mehrheit, aber es müssen auch mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten dafür stimmen“, sagt Wahlleiterin Martina Fisser.

Allerdings hatte am Freitagnachmittag bereits jeder zehnte Welzower per Briefwahl abgestimmt. Der Frust ist hier überall spürbar. Die einstmals mehr als 8000 Bürger zählende Stadt hat die Hälfte ihrer Einwohner verloren, viele Häuser sind verfallen, die zu DDR-Zeiten bestehenden Betriebe und Glashütten mit insgesamt mehreren tausend Beschäftigten gibt es nicht mehr, die Jugend empfiehlt sich, ein Ortsteil von Welzow soll demnächst dem Braunkohletagebau weichen.

„Hier bleiben nur die Alten und der Tagebau“, sagt ein Mann, der behauptet, dass hinter „der ganzen Stasi-Geschichte“ nur der Streit um die Kohle stecke. „Der Pusch macht, was Vattenfall will, der Jestel nicht“, sagt er. Gundula Stede hingegen meint: „Die Zukunft können wir nur gemeinsam mit Vattenfall gestalten, da kann man nicht alle Verhandlungen mit dem Energieunternehmen blockieren, wie das Herr Jestel seit Jahren macht.“

Natürlich buttere Vattenfall viel Geld in die Stadt, sagt der Stadtverordnete Lutz Frauenstein: „Aber dafür müssen wir auch mit den Belastungen leben, die entstehen, wenn ein Ort vom Tagebau umfahren wird. Schon heute sind die Geräusche der riesigen Bagger so laut, dass viele nicht mehr ruhig schlafen können.“

Frauenstein, der als ein Nachfolgekandidat für Stadtoberhaupt Jestel gilt, will daher mit dem neu gegründeten Bürgerforum dafür kämpfen, dass ganz Welzow abgebaggert beziehungsweise umgesiedelt wird. Andere Bürger finden das völlig grotesk. Und so werden die Welzower wohl auch nach diesem Sonntag zerstritten bleiben. Mit oder ohne Reiner Jestel.

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