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Werbellinsee

© Gerog Boeck

Werbellinsee: Versunkene Vergangenheit

Im Werbellinsee in Brandenburg ruhen in der Tiefe Ziegel-Kähne, mit denen Berlin erbaut wurde. Ein Verein will sie retten.

Joachimsthal - Mit Taucheranzug und Atemgerät im Mund springen die Männer vom Boot. Kai Dietterle, Tauchlehrer in Eberswalde, gibt die Anweisung: „Einfach am Seeboden entlang!“ Die Expedition zum Grunde des Werbellinsees geht steil bergab, 14 Meter tief, dorthin, wo das Wasser eiskalt wird.

Plötzlich zeigt Dietterle nach vorne. Dort nimmt etwas Langes, Dunkles langsam Form an: ein hölzerner Lastkahn, gesunken vor 200 Jahren, womöglich noch früher. An Deck stapeln sich meterhoch Ziegel. Fährt man mit der Hand darüber, fühlt man eine Prägung, sternförmig, mit runden Zacken. Waren die Ziegel für den Bau des Schauspielhauses bestimmt oder vielleicht für das Alte Museum?

Dietterle zeigt auf ein Eisengitter, die Reste der Kajüte, daneben die Halterung für den 20 Meter hohen Segelmast. Vorne am Bug läuft der Kahn spitz zusammen und biegt sich nach oben. Das ist die typische „Kaffe“, die den alten Lastkähnen ihren Namen verliehen hat. Der Daumen des Tauchlehrers weist nach oben. Es geht zurück zum Ufer. Dort warten Georg Boeck und Martin Mertens. Auch sie sind der Suche nach den Kaffenkähnen verfallen.

„Wir wollen die Kaffenkähne schützen und bewahren“, sagt Wieck, 33 Jahre alt und gelernter Forstingenieur. Schützen vor den Schatzsuchern, die immer wieder glauben, sie könnten in den Wracks Golddukaten finden. Vor einem Jahr hatte Boeck noch ahnungslos den Kopf geschüttelt, als ihm sein Tauchlehrer Dietterle von den Schiffswracks erzählte. Dann ließ er sich zum ersten Mal hinunterziehen zum Seeboden. Viele Tauchgänge später ist auch Wieck überzeugt, dass der Werbellinsee ein wahrer Kaffenkahnfriedhof ist. Sechs Schiffe führt das Landesdenkmalamt offiziell an, aber niemand weiß so recht, wie viele es wirklich sind.

Seit April gibt es nun den Kaffenkahn- Verein. Mit viel Enthusiasmus haben sich Boeck und seine Freunde an die Dokumentation und Vermessung der Wracks gemacht. Richtige Ausrüstung ist für die Hobby-Archäologen allerdings viel zu teuer. Dafür haben sie den Bastler Dietterle, der zum Beispiel den Scheinwerfer eines sowjetischen Panzers für Unterwassereinsätze umgebaut hat. Fachlich werden sie vom Verein für Unterwasserarchäologie Berlin-Brandenburg unterstützt, das Landesdenkmalamt hat zugestimmt.

„Für den Bau von Berlin waren die Kaffenkähne von allergrößter Bedeutung“, sagt Boeck. Schließlich gebe es das Sprichwort: „Berlin ist aus dem Kahn gebaut.“ Boecks Augen strahlen, wenn er erzählt, wie die Kähne Steine, Ziegel und Holz schipperten, um die Hauptstadt der Preußen zu bauen. Ohne Kaffenkahn keine Industrialisierung und kein Berlin. „Das waren die Lkw des 18. und 19. Jahrhunderts“, sagt Boeck. Kapitän eines Kaffenkahns zu sein, sei allerdings ein harter Beruf mit wenig Anerkennung gewesen. Sein ganzes Leben verbrachte ein Kapitän wohl auf dem Kahn, immer hin und her fahrend zwischen Berlin, den Ziegeleien und Kalkbrennereien, manchmal auch mit der Familie an Bord.

Aber warum liegen so viele auf dem Grunde des friedlichen Werbellinsees? Tauchlehrer Dietterle kennt die Tücken des fünf Kilometer langen Gewässers: „Bei Unwetter kommen die Wellen hoch und in kurzer Frequenz. Dann knallen sie einfach über die Bordkante.“ Wobei die Kapitäne nicht selten eine Mitschuld traf. Damit die Fahrt sich lohnte, luden sie ihren Kahn so voll wie nur möglich. Aufatmen konnten die Kapitäne erst am Eingang zum Werbellinkanal. Dort legten sie die Segelmasten um, und die Fahrt ging weiter über den 1746 fertiggestellten Finowkanal in die Havel und nach Berlin. Eine Woche lang wurden die Kähne dann durch die Kanäle gezogen, per Seil von Pferden oder von der Ehefrau. „Wer eben mehr Zug brachte“, sagt Dietterle.

Der Verein will nun auf Schildern am Ufer des Sees auf die Kaffenkähne und ihre Geschichte hinweisen, aber auch davor warnen, an den Schiffen etwas abzumontieren. Eines Tages würden die Hobbytaucher gerne vorsichtig einen der Kähne heben, und ihn dann in ein Museum der Regionalgeschichte integrieren. Und das Museum vielleicht aus den historischen Ziegelsteinen erbauen. Für das Alte Museum werden die Steine schließlich nicht mehr benötigt.

Heute präsentiert sich der Kaffenkahn e.V. von 10 bis 17 Uhr beim „Tag des Geotops“ im Geoparkzentrum „Eiszeitland am Oderrand“ in der Historischen Dampfmühle in Groß Ziethen. Infos unter www.kaffenkahn-ev.de

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