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Brandenburg: Wir sind das Dorf!

Von Stefan Jacobs Biesenbrow. „Hallo, hier Biesenbrow!

Von Stefan Jacobs

Biesenbrow. „Hallo, hier Biesenbrow!“ ruft Günter Paul ins Telefon. Es klingt wie: „Houston, wir haben ein Problem!“ Und aus Biesenbrower Perspektive ist der Vergleich durchaus angemessen. Bürgermeister Günter Paul telefoniert Amtshilfe aus den Nachbardörfern herbei, weil die Wiese fürs große Feuerwehrfest geschnitten werden muss, aber soeben der Rasenmäher an einem verborgenen Stein zerschellt ist.

Bei Ärger mit dem Rasenmäher helfen die Nachbargemeinden. An anderer Front aber steht Biesenbrow allein auf uckermärkischer Flur: Als einzige von 22 Gemeinden des Amtes Angermünde-Land kämpft das 290-Seelen-Dorf mit Bürgermeister Paul an der Spitze noch gegen die zwangsweise Eingemeindung in die 10 000-Einwohner-Stadt Angermünde. „Wir sind einstimmig dafür, das durchzustehen“, sagt Paul. „Wir“ sind die neun Biesenbrower Gemeindevertreter: Die Feuerwehr stellt fünf Abgeordnete und damit die Mehrheit. Zweitstärkste Kraft ist der Dorfkulturverein „Die Erben von Kummerow“ mit zwei Abgeordneten. Außerdem sitzen ein eher zufällig in der CDU befindlicher Mann und der Chef der örtlichen Agrargenossenschaft in der Vertretung.

Die politische Landschaft in Biesenbrow ist also eine andere als in Potsdam. Von dort kam Mitte Mai ein Schreiben, wonach Biesenbrow ein Ortsteil von Angermünde werden soll. Daraufhin haben die Gemeindevertreter erst einmal Fristverlängerung bis September beantragt, damit alle Bürger das 67-seitige Werk aus dem Innenministerium in Ruhe prüfen können. Günter Paul ist schon durch und meint, das „nur Blödsinn“ drinstehe. Zum Beispiel, dass die Biesenbrower im März über den Beitritt zu Angermünde abgestimmt hätten. „Das ist Quatsch, es gab überhaupt keinen Entscheid“, sagt der 66-Jährige. Nur eine Unterschriftensammlung habe es gegeben, vor zwei Jahren. 186 von 240 Wahlberechtigten hätten für die Selbstständigkeit des Dorfes unterschrieben.

Biesenbrow sei kein Hort verbissener Separatisten, sagt Paul, während seine Hände den Stapel der Anti-Eingemeindungs-Aufkleber auf dem Tisch zurechtrücken. Der ehemalige LPG-Vorsitzende redet ohne Zorn und Pathos. Das Verhalten von Innenminister Schönbohm bezeichnet er als „Vergewaltigung der Demokratie“; die angebotene Fusionsprämie von 100 Euro pro Einwohner erinnere ihn an seine ersten Jahre bei der LPG. Damals seien den Bauern Kühlschränke oder Fernseher versprochen worden, um sie in die staatlichen Produktionsgenossenschaften zu locken. Jetzt biete man ihnen eben Geld. Aber Angermünde habe rund 1300 Euro Schulden pro Einwohner – mit steigender Tendenz. „Wir lassen uns in keinen Saftladen schicken“, sagt Paul, dessen Hauptargument gegen die Eingemeindung ist, „dass wir dann garantiert nie mehr ’ne Mark abkriegen“. Wenn Biesenbrow einen eigenen Haushalt behalten dürfte, könnte man ja noch mal überlegen. Aber danach sieht es zurzeit nicht aus, weshalb die Gemeinde lieber ihre Habe rettet: Am 20. Juni soll ein Nachtragshaushalt beschlossen werden, um die 156 000 Euro aus dem Gemeindesäckel schleunigst auszugeben, bevor sie im Fall einer Zwangsfusion im Angermünder Schuldenloch versickern. Also werden demnächst ein paar Wege befestigt und das Gutshaus in Schuss gebracht. So bleibt das Geld im Dorf.

Beim Spaziergang entlang der großzügig begrünten Dorfstraße erscheint Biesenbrow so mitten am Tag zwar menschenleer, aber nicht tot. Häuser sind intakt, Gärten gepflegt, Beleuchtung und Gehwege neu. Auf dem Weg von hier nach Angermünde passiert man die schon eingemeindeten Orte des Amtes, das einst das größte im Land war. Zum Beispiel Mürow mit seinem Dorfteich, in dem sich die Backsteinkirche spiegelt. Am Ufer spaziert ein grauhaariger Mann entlang. Mit der linken Hand zieht er seinen vieleicht vierjährigen Enkel hinter sich her. Ja, es habe mal eine Unterschriftensammlung gegen die Eingemeindung gegeben, dann wieder eine Versammlung dafür und am Ende habe niemand gewusst, was nun das Beste fürs Dorf sei. Er hätte es vernünftig gefunden, das Amt zu erhalten, statt dauernd alles umzukrempeln. Und irgendwann, sagt der Mann, werde sich die Eingemeindung sicher in Form von höheren Gebühren und einer knauserigen Verwaltung rächen: „Von den Dörfern hat das Land schon immer gut gelebt – in guten wie in schlechten Zeiten.“

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