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Brandenburg: Zweiter Aufschlag in Bad Saarow

Günter Bosch, der Ex-Trainer von Boris Becker, ist nach dem Scheitern seiner Tennis-Akademie in Wandlitz wieder zurück in Brandenburg

Bad Saarow. Der Mann ist verrückt, völlig irre. Man sagt das nicht gerne über jemanden, aber wenn es stimmt? Und wenn der Mann sogar selbst sagt: „Ja, ich bin wahnsinnig.“ Andererseits muss sich niemand vor diesem älteren Herrn fürchten. Er ist gutmütig. Er tut nichts. Er will bloß spielen.

Da steht also nun der Herr Bosch mit seinen 66 Jahren auf dem Tennisplatz des Sporthotels „Das Brandenburg“, neben sich einen Einkaufswagen mit gelben Bällen. Auf der anderen Seite vom Netz stehen vier Schüler der Altersgruppe „Ü 40“ und schlagen die gelben Dinger zurück, die der Trainer ihnen in schnellem Rhythmus zuspielt. Das klappt ganz gut. Manchmal so gut, dass der eine oder andere Schüler ein bisschen stolz auf sich ist. Er denkt dann, das ist ja richtig großes Tennis hier. Und Herr Bosch ruft dann: „Fantastisch! Perfekte Rückhand!“

So gutmütig ist dieser verrückte, ältere Herr. Eigentlich müsste er sich langweilen. Eigentlich sollte er denken, warum zum Teufel quäle ich mich mit diesen Gurken ab? Eigentlich könnte er sich in die Sonne setzen und die Beine hochlegen. Aber er steht da, schubst Bälle übers Netz und sieht glücklich aus.

Nun sollte man diesen gutmütigen Menschen aber langsam vorstellen: Günther Bosch, Trainer von Boris Becker bei zwei Siegen in Wimbledon, selbst bester Spieler in Rumänien, der Ion Tiriac an diesen Sport führte, lang, lang ist’s her, und in den letzten Jahrzehnten bei jedem großen Turnier dabei, Paris, Melbourne, New York… Er kennt sie alle, hat mit allen Bälle geschlagen, Connors, Edberg, Lendl…, und was, um Himmels willen, macht er hier mit vier älteren Dilettanten, seien es auch hochtalentierte Dilettanten?

Er trainiert. Wie immer verbessert er Vorhände, korrigiert Volleys, feilt am Angriffsball, den er „tödlich“ sehen will, so tödlich, wie Becker den drauf hatte, aber meist sind die Angriffsbälle der Vier gar nicht tödlich, sie verletzen höchstens die Nerven eines Trainers. Sollte man meinen. Doch der ist gut gelaunt, weil er sonst immer „dieses Kribbeln“ spürt, und dieses blöde Kribbeln macht ihn ganz unruhig, und nur wenn er auf dem Tennisplatz steht, geht dieses verdammte Kribbeln weg.

Herr Bosch, man darf das verraten, hat eigentlich ausgesorgt. Er hat einen Wohnsitz in Monte Carlo und eine wuchtige Limousine aus Stuttgart, er hatte so schöne Verträge mit Firmen, Fernsehsendern und Spielern, dass sich niemand Sorgen um ihn machen muss, und im Rentenalter ist er auch. Ja, und? Er sagt, er könne ohne Tennis nicht leben, er finde sich ohne diesen Schläger und das Viereck mit den weißen Linien nicht zurecht im Leben, er sei noch nie in Urlaub gewesen, was seine Frau gar nicht so gut findet, aber Herr Bosch sagt, ich brauche keinen Urlaub, ich brauche Tennis. Man glaubt ihm das. 1999 hat er es in Brandenburg schon einmal versucht. Doch die Tennis-Akademie in Wandlitz lief nicht gut; nach nur einem Jahr trennten sich Bosch und die Betreiber der Anlage.

Er sieht noch immer so aus wie damals in Wimbledon, die Brille, die Frisur, so wie er dasteht im weißen Trainingsanzug, und er spricht den Namen „Boris“ noch immer so aus, als würde er das O und das R ganz sanft in der Kehle gurgeln. Es ist nämlich so, dass seine vier Schüler bisweilen schlapp machen – doch wenn sie glauben, es geht nicht mehr, dann zaubert Bosch eine Anekdote her: „Als der Boorris im Finale gegen den Connors spielen sollte, konnte er morgens nicht aufstehen, steife Muskeln, steifer Rücken, und Blasen an den Füßen, wir haben dem Boorris Löcher in die Schuhe geschnitten, er sagte, ich spiele gegen den heute von der Grundlinie, ich sagte, du spinnst, und dann hat der Boorris von der Grundlinie gespielt und gewonnen, und aus den Schuhen lief das Blut.“

So, jetzt haben die vier Schüler ausgeruht und wieder ein wenig Luft, sie stellen sich auf dem grünen Teppichboden auf, Herr Bosch jagt sie von einer Ecke in die andere, und dabei sollen sie noch die zwei Medizinbälle treffen, die er hingelegt hat. Wie oft hat Herr Bosch das schon gemacht? Millionen Mal? Milliarden Mal? Diese kleinen Ratschläge, gehen Sie in den Ball hinein, Schulter etwas nach unten usw. usf. Es wird ihm nicht langweilig. Es wird ihm auch nicht langweilig, wenn er völligen Anfängern zeigen muss, wie man den Schläger hält, er strahlt vor Wonne, so viel innere Begeisterung kann keiner spielen. „Ich bin zwar nicht auf dem Tennisplatz geboren, aber ich werde dort sterben.“ Auch so ein Satz von Günther Bosch.

Im Moment allerdings ist er noch springlebendig in dieser Tennishalle am Scharmützelsee. Gibt an Wochenenden, auch ganzen Wochen Unterricht. Dann steht auf der einen Seite vom Netz der Herr Bosch und auf der anderen Seite laufen Dilettanten, hochtalentierte ältliche Dilettanten, und der Trainer ruft: „Als Tennisspieler müssen Sie ein Tier sein!!“ Und einer der Dilettanten denkt: Ich bin ein Tier, ein Tier, ich bin ein ziemlich müdes Tier. Und dann sagt diese sanft gurgelnde Stimme: „Der Boorris hat damals gegen den Lendl im dritten Satz mit 0:4 hinten gelegen…“ Komisch, irgendwie macht das die Beine wieder frisch.

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