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Serie Bundestagswahlen: 1983: Die Wende

Ende 1982 platzt die sozialliberale Koalition, die FDP wechselt die Seite. Helmut Kohl will seine neue Regierung im März 1983 vom Volk bestätigen lassen – ein riskantes Manöver, vor allem für die Liberalen.

Helmut Schmidt war seit dem Wahlsieg 1980 ein Kanzler auf Abruf – durch die eigene Partei. In der SPD vertieften sich die Risse, weil ein Teil der Sozialdemokraten in der Außenpolitik (Nato-Nachrüstung) und der Energiepolitik (Kernkraft) die atlantische und atomfreundliche Linie Schmidts nicht mehr mittragen wollte. Ein Grund war die neue Konkurrenz: Den Grünen, die sich schnell als linke Partei erwiesen, sollte der Wind aus den Segeln genommen werden.

Es war nicht zuletzt der spätere Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine, der die SPD stärker auf diesen neuen Kurs bringen wollte und dabei auch Willy Brandt hinter sich wusste (der Schmidt in Abneigung verbunden war). Schmidt konnte diesen Kurswechsel dank seiner Reputation in der Wählerschaft lange abbügeln. Aber es wurde immer deutlicher, dass ein Teil der Partei sich zu Beginn der 80er Jahre in die Opposition zurücksehnte. Die SPD war nun etwa 15 Jahre in der Regierung, erst mit der CDU seit 1966, dann mit der FDP nach 1969. Eine gewisse Erschöpfung war unverkennbar, und 1980 hatte wohl nur die Kanzlerkandidatur des polarisierenden Franz Josef Strauß auf der Seite der Union dem sozialliberalen Bündnis eine Verlängerung beschert. Erfahrungsgemäß gelingt die Neuprofilierung einer Partei am ehesten, wenn man nicht regieren muss.

 Lambsdorff wird zur zentralen Figur

Dem Koalitionspartner schwante Böses. Die FDP  hatte, bestärkt durch das gute Ergebnis von 1980, einen größeren Einfluss auf die Regierungspolitik verlangt. Freilich schob sich nach den Jahren der Dominanz des linken Flügels nun verstärkt wieder der wirtschaftsliberale Teil der Partei nach vorn, angeführt von Otto Graf Lambsdorff. Der lehnte die Politik der staatlichen Steuerung auf allen Ebenen, die Ende der 60er Jahre begonnen hatte und die auch Schmidt weiter betrieb, zunehmend ab.

Weniger Staat, mehr Privat – das war die neue FDP-Devise, für die, wenn auch charakteristischerweise nicht in der Schärfe, der Parteichef Hans-Dietrich Genscher stand. Auch die starke Zunahme der Staatsverschuldung unter Schmidt gefiel den Liberalen nun nicht mehr. Genscher hatte schon länger die Fühler wieder Richtung Union ausgestreckt. Ein Koalitionswechsel der FDP lag seit Ende 1981 in der Luft. Es war natürlich ein riskantes Unterfangen, denn mit der Stärkung des sozialliberalen Flügels seit Mitte der 60er Jahre fühlte sich ein gewichtiger Teil der Partei als linke Mitte, die mit den Konservativen wenig am Hut hatte und auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik eher mit der SPD an einem Strick zog. Da half es auch wenig, dass Kohl gerade deshalb um einen moderaten Kurs seiner Partei bemüht war.

 Misstrauensvotum gegen Schmidt

Am 5. Februar 1982 nutzte Schmidt das Instrument der Vertrauensfrage, um seine rot-gelbe Koalition im Zusammenhang mit einem größeren wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetzespaket noch einmal hinter sich zu zwingen. Sie schleppte sich aber nur noch durch bis zum Herbst. Die SPD provozierte dann den finalen Konflikt selbst, indem sie Investitions- und Beschäftigungsprogramme, finanziert durch Schulden und Steuererhöhungen, forderte. Das Ende kam am 17. September, als die vier FDP-Minister um die Entlassung baten – es war Schmidt immerhin gelungen, nach außen die Liberalen als Koalitionsbrecher erscheinen zu lassen. Der Kanzler setzte auf  rasche Neuwahlen via Vertrauensfrage, um dadurch die FDP aus dem Bundestag  zu fegen („wegharken“ lautet seine berühmte Formulierung), aber er hatte sich verkalkuliert: Union und FDP stürzten ihn am 1. Oktober 1982 über ein konstruktives Misstrauensvotum, das Kohl zum Kanzler machte.

 Einige Wochen Frist für die FDP

Kohl wollte den Machtwechsel durch eine vorgezogene Neuwahl legitimieren, obwohl das keineswegs nötig war – das Parlament hatte ja in seiner vom Wähler verliehenen Souveränität nur getan, was im Grundgesetz vorgesehen war. Der Wahltermin wurde auf den 6. März 1983 festgelegt. Die relativ lange Frist bis zur Neuwahl (die über eine verfassungsrechtlich nicht ganz einwandfreie, „unecht verlorene“ Vertrauensfrage Kohls eingeleitet wurde, die Bundespräsident Karl Carstens nolens volens absegnete) hatte einen einfachen Grund: Die FDP, in der viele - auch eigene Anhänger - eine Verräterpartei sahen, sollte sich von dem umstrittenen Koalitionswechsel „erholen“. Immerhin hatten sich einige führende Sozialliberale ganz von der Partei verabschiedet, unter ihnen der Generalsekretär Günter Verheugen und die Finanzpolitikerin Ingrid Matthäus-Meier (sie gingen zur SPD).

 Kohl holt das zweitbeste Unions-Ergebnis

Das durchaus gewagte Spiel von Kohl und Genscher ging auf: Die Union legte deutlich auf 48,8 Prozent zu (das zweitbeste Ergebnis in ihrer Geschichte bis heute), die FDP schaffte es  mit sieben Prozent in den Bundestag. Die SPD bekam die Quittung für ihre Zerrissenheit in den Jahren zuvor: Mit 38,2 Prozent fiel sie wieder unter die Vierzigprozentmarke und wurde in die Opposition geschickt – für 15 Jahre. Der SPD-Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel war nur eine Zwischenlösung für die absehbare Niederlage; ohne den Einzug der FDP hätte es eine Alleinregierung der Union gegeben, das stand angesichts der Umfragen nahezu fest. Vogel, der eher dem rechten Flügel der Partei angehörte, sollte dann die SPD-Fraktion im Bundestag bis 1991 führen.

Kohl verkündete eine „geistig-moralische Wende“, von der niemand so genau wusste, was sich eigentlich mit ihr verbinden sollte, knüpfte in Wirklichkeit aber oft, nicht zuletzt in der Außen- und Sicherheitspolitik, an Schmidts Politik an. Dazu gehörte auch, dass der wirtschaftsliberale Flügel der FDP keineswegs die Koalitionspolitik prägen sollte. Kohl war kein wirtschaftsliberaler Ideologe, sondern der Chef einer Volkspartei mit starken sozialpolitischen Wurzeln. Lambsdorff hatte zwar Rot-Gelb zerstört, aber er durfte Schwarz-Gelb nicht bestimmen. Der „Marktgraf“ hatte seine Schuldigkeit getan (und der Flick-Spendenskandal erledigte dessen Karriere dann später vollends).

 Die Grünen sind jetzt auch dabei

Die kleine Überraschung der Wahl von 1983 war der erstmalige Einzug der Grünen in den Bundestag mit 5,6 Prozent. Damit war eine Kraft im Parlament, die mit dem Parlamentarismus (jedenfalls in dessen traditioneller Ausprägung) wenig am Hut hatte. Die frühen Grünen waren eine widersprüchliche Veranstaltung: Sie gerierten sich als Anti-Parteien-Partei (gegen das Establishment, das gefiel natürlich vor allem jüngeren Wählern), banden aber andererseits ihre gewählten Abgeordneten an den Willen der Partei wie keine andere Partei. Es war in jenen Anfangsjahren unklar, ob sich die Grünen lange im Bundestag würden halten können. Vor allem die SPD stand vor der Frage, wie sie mit der neuen Partei umgehen sollte: umarmen oder abstoßen. Mit der Antwort ließ sie sich Zeit.

Die weiteren Teile der Serie zu den Bundestagswahlen lesen sie hier.

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