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Protest am Unfallort. Teilnehmer des Sit-ins in der Tauentzienstraße, zu dem Initiatoren des „Volksentscheids Fahrrad“ am Dienstagabend aufgerufen hatten.

© Cay Dobberke

Update

Nach tödlichem Autorennen in der City West: Nicht nur Tauentzienstraße gilt als Rennstrecke

„Idioten, die ihr Testosteron nicht im Griff hatten“, nennt der Innensenator die Fahrer, die in der Nacht zu Montag den Tod eines 69-Jährigen verursacht haben sollen. Am Dienstagabend gedachten 30 Menschen des Mannes.

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Kaum war die Kundgebung für mehr Verkehrssicherheit und gegen Raser vorbei, da fuhr am Dienstagabend schon wieder ein schwarzer Sportwagen mit viel Getöse am Unfallort in der Tauentzien-, Ecke Nürnberger Straße entlang – begleitet vom empörten Aufschrei mancher Demonstranten, die sich noch unterhielten.

Das „Sit-in“ mit rund 30 Teilnehmern war ein Gedenken an den am Montag getöteten Jeepfahrer – aber auch ein Protest „gegen das Nichtstun“ von Innensenator Frank Henkel (CDU, Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) und weiteren Verantwortlichen. Initiatoren des „Volksentscheids Fahrrad“ hatten dazu über Facebook aufgerufen. 25 Minuten saßen die Teilnehmer still auf der gesperrten Straße, abgesehen von Interviews für einige Medien.

Nach Ansicht von Heinrich Stößenreuther, der zur Kundgebung aufgerufen hatte, muss die Prävention schon viel früher beginnen. Der Innensenator und der Polizeipräsident schauten bereits bei gefährlichem Falschparken weg und setzten damit das falsche Signal. Eine kleine Minderheit „asozialer Autofahrer“ wisse, dass die volle Härte des Gesetzes ausbleibe. Dies bestärke die Ansicht der Raser, dass auch potenziell tödliche Geschwindigkeits- und Rotlichtverstöße keine Folgen hätten. Nur konsequente Strafverfolgung könne weitere Opfer verhindern, sagte Strößenreuther.

Bereits vor der Kundgebung waren Blumen und eine Grabkerze für den toten 69-jährigen Mann niedergelegt worden.

Reparatur an den Beeten. Dieser Arbeiter mühte sich am Dienstag mit einem schweren Stein ab, der von der Kreuzung aus etwa 15 Meter weit geschleudert worden war.
Reparatur an den Beeten. Dieser Arbeiter mühte sich am Dienstag mit einem schweren Stein ab, der von der Kreuzung aus etwa 15 Meter weit geschleudert worden war.

© Cay Dobberke

Bei dem Rennen zwischen einem 26- jährigen Audifahrer und dem 24-Jährigen Fahrer eines Mercedes war am Montag gegen 0.50 Uhr ein unbeteiligter 69-jähriger Mann in einem Jeep getötet worden. An der Ecke Nürnberger Straße hatte der Audi den Geländewagen an der Fahrerseite gerammt.  Der Senior starb noch am Unfallort, die beiden Raser sowie eine 22-jährige Beifahrerin wurden zum Teil schwer verletzt. Lebensgefahr bestand für sie allerdings zu keinem Zeitpunkt. Einer der beiden Männer konnte denn auch bereits am Dienstag wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Bei der Polizei gilt der Straßenzug Kürfürstendamm/Tauentzienstraße zwischen Olivaer Platz und Wittenbergplatz schon seit langem als Rennstrecke. Bekannt sind aber auch andere Strecken – wie etwa die Gneisenau- oder Urbanstraße in Kreuzberg. Laut Polizei werden Ku’damm und Tauentzienstraße regelmäßig überwacht.

Grüne fordern mehr Kontrollen

Der Grünen-Abgeordnete Harald Moritz forderte am Dienstag, Rotlicht- und Geschwindigkeitsblitzer dort aufzustellen, wo es zu schweren oder sehr vielen Unfällen durch Raser gekommen sei. Es müsse auch mehr mobile Tempokontrollen geben. Auf dem Boulevard in der City West gibt es keine stationären Radaranlagen. Dabei würden sich solche Anlagen schon nach kurzer Zeit amortisieren, argumentiert Moritz. Selbst wenn bekannt sei, wo die Blitzer stehen, gebe es an diesen Stellen ja reichlich „Temposünder“. Allein im Britzer Autobahntunnel seien 2014 fast 107 000 Raser gezählt worden.

Nach Ansicht der Polizei bremsen stationäre Blitzer die Raser kaum aus

Stationäre Anlagen würden aber auch nicht immer helfen, sagte ein Polizeisprecher. Viele Raser lieferten sich nur über kurze Strecken ein Rennen und bremsten dann wieder ab. So würden sie in der Regel nicht von festen Blitzern erfasst. Beim Unfall am Montag rasten die beiden Täter allerdings nach Zeugenangaben mit schätzungsweise mehr als 100 km/h gleich über mehrere rote Ampeln.

Innensenator Henkel schlägt PS-Begrenzung für Fahranfänger vor

Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) sieht im Aufstellen von stationären Blitzern in der Tauenzienstraße und am Kurfürstendamm nicht die Lösung. Rennen würden dann in angrenzende Straßen verlegt werden. „Da können Sie den Ku‘damm mit Blitzern noch so zupflastern.“ Junge Raser seien ein „echtes Sicherheitsproblem“ in der Innenstadt. Dass die überwiegend jungen Männer solche „hochtourige PS-Schleudern“ fahren dürften, müsse generell überdacht werden. Auf der Ebene der Verkehrsminister sollten PS-Obergrenzen für Führerscheinanfänger diskutiert werden, schlägt Henkel vor. Auch Strafrechtsverschärfungen oder einen „konsequenteren Entzug“ von Führerscheinen nach Straftaten hält der CDU-Politiker für überlegenswert.

Baulich lassen sich Raserstrecken kaum verhindern, sagte ADAC-Anwalt Ralf Wittkowski. So genannte Moabiter Kissen, die Raser auf Nebenstraßen bremsen sollen, seien auf Hauptstraßen nicht möglich. Sie führten dort vielmehr zur Gefährdung des übrigen Verkehrs. Außerdem würden Busse ausgebremst. Darüber hinaus donnerten viele Autofahrer jetzt schon häufig in Nebenstraßen ungebremst über diese Hindernisse – selbst vor Schulen. Die Höchststrafe von fünf Jahren, die nach tödlichen Unfällen beim Rasen verhängt werden kann, hält Wittkowski für ausreichend.

In Köln haben die Stadt und die Polizei auf Rennen mit tödlichen Folgen reagiert und eine „Besondere Aufbau-Organisation ,Rennen’“ eingerichtet. Seither wurden Tempokontrollen und Überprüfungen von Fahrzeugen und Haltern verschärft, die Verfahren gegen Täter sollen beschleunigt werden.

Neue Maßnahmen verdrängen das Problem nur, glaubt der Regionalmanager

Wirtschaftsvertreter in der westlichen Innenstadt reagierten zurückhaltend auf die verkehrspolitische Diskussion. Die AG City wollte keine Stellung beziehen. Der Leiter des Regionalmanagements City West, Dirk Spender, sagte: „Das ist ein Thema für Fachleute, nicht für Wirtschaftsförderer.“ In seiner langjährigen Tätigkeit als Stadtplaner habe er aber beobachtet, dass Verbote und Kontrollen grundsätzlich „nur zur Verdrängung an andere Stellen führen“. Dies gelte beispielsweise auch für Drogenhandel oder für Sperrbezirke, in denen Prostitution untersagt wird.

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