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Für Justizia gibt es in China noch viel zu tun.

© picture alliance / dpa

Chinas Justiz: Die Spieler-Schiedsrichter

Die Führung propagiert den Rechtsstaat – stellt sich selbst aber darüber.

Schon Chinas KP-Führer Deng Xiaoping, der seinem Land Mitte der 1970er Jahre Reform und Öffnung verordnete, führte das Wort vom Aufbau eines „fazhi guojia“ im Munde. Als „Rechtsstaat“, Herrschaft des Rechts oder Rule of Law wird das hierzulande meist übersetzt. Doch für ein genaueres Verständnis beachte man die Adjektive: Chinas politische Führung betont in ihren Programmen stets die „chinesische Prägung“ eines Rechtsstaats, der den Besonderheiten des Landes Rechnung trägt. Die Verfassung nennt ihn: „sozialistischer Rechtsstaat“.

Niemand solle über dem Recht stehen, fordert die Verfassung einerseits. Andererseits betont sie, der sozialistische Rechtsstaat sei unter Führung der Kommunistischen Partei aufzubauen. Das ist, als würde im Fußball der Schiedsrichter das Spiel machen. Hierzulande ist – unter anderem um Machtmissbrauch zu verhindern – alle staatliche Gewalt Recht und Gesetz unterworfen.

Staatliche Macht in Deutschland ist verteilt auf drei Gewalten: Legislative, Exekutive und Judikative. Sie agieren prinzipiell unabhängig voneinander, insbesondere die Gerichtsbarkeit kontrolliert Rechtssetzung und Verwaltung. In China hingegen herrscht Gewalteneinheit unter Führung der Partei. Das Problem des mitspielenden Schiedsrichters ist institutionell festgeschrieben. Die Konsequenz liegt nahe: Bei einem groben Foul wird sich der Schiedsrichter wohl kaum selbst vom Platz stellen.

Chinas Richter arbeiten nicht souverän

In Deutschland klären unabhängige Richter strittige Rechtsfragen – auch wenn viele Gerichte personell unterbesetzt sind und mit der Rechtsprechung kaum nachkommen. Bei aller Kritik daran: Prozessparteien können sich darauf verlassen, dass Entscheidungen gefällt werden – ohne Ansehen der Person. Qualifizierte Juristen sprechen nach gleichen methodischen Grundsätzen auf der Grundlage der Gesetze auf hohem Niveau einheitlich Recht. In China soll zwar seit Einführung der Richterprüfung 2001 für den Richterdienst fachliche Ausbildung zählen statt Loyalität zum herrschenden System.

Doch Chinas Richter arbeiten nach wie vor nicht souverän. Erstens werden im Richterexamen zwar fachliche Inhalte, nicht aber Methoden abgefragt, die eine einheitliche Anwendung des Rechts sicherstellen, Kandidaten müssen sich stattdessen diversen ideologischen Fragen stellen. Zweitens werden insbesondere auf unteren Ebenen Arbeitsverträge von Richtern nur nach regelmäßigen Zwischenevaluationen entlang äußerst vager Kriterien verlängert.

Und drittens müssen richterliche Entscheidungen von vorgesetzten Richtern oder Richter-Ausschüssen genehmigt werden, so dass die Führung strategische, und auch ökonomische Ziele auch über das Gerichtswesen durchsetzen kann. In der Fußball-Analogie: Selbst wenn die Torkamera eindeutige Beweise liefert, kann ein Oberschiedsrichter den Treffer verweigern. Je nach Sachlage kann er sogar das ganze Spiel neu ansetzen, denn selbst rechtskräftig abgeschlossene Verfahren können in China neu aufgerollt werden. Das soll die fehlerfreie Rechtsanwendung gewährleisten.

Die Anti-Korruptionskampagne lässt die Ursachen unberührt

Schließlich gibt es noch immer Defizite im Ausbildungsstand der Richter, auch die Korruptionsgefahr ist noch nicht völlig gebannt. Aber die Möglichkeit zur Korrektur abgeschlossener Verfahren untergräbt die Rechtssicherheit. Untersuchungen zeigen zudem, dass gerade sie der Korruption Vorschub leisten. Denn die Wiederaufnahme eines Verfahrens kann auch ein Gerichtspräsident initiieren, der von der – etwa in einem Schadensersatzprozess – unterlegenen Partei hierzu „ermuntert“ wurde. Die Anti-Korruptionskampagne der aktuellen chinesischen Führung um Staatspräsident Xi Jinping zielt da zwar auf einen Auslöser von Problemen; die systemischen Ursachen bleiben aber unberührt.

Das Verständnis von „Rechtsstaat“ differiert damit offenbar trotz des vermeintlich identischen Wortes erheblich. Chinas heutige und künftige Führer haben es in der Hand, das Land weiter Richtung Rechtsstaatlichkeit zu rücken. Viele bemerkenswerte Schritte hat die Volksrepublik seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik bereits gemacht; nicht zuletzt hat sie den Rechtsschutz für die Bürger deutlich verbessert.

Und erst kürzlich hat Chinas Oberstes Volksgericht Regeln für mehr Transparenz in der Arbeit der Gerichte erlassen. Eines Tages wird China allerdings die fundamentale Frage klären müssen, wie die Herrschaft der Spieler-Schiedsrichter und die Herrschaft des Rechts zusammenpassen.

Die Autorin ist Professorin für Wirtschaftsrecht, Gewerblicher Rechtsschutz und Chinesisches Recht an der Technischen Hochschule in Wildau. Kürzlich erschien ihr Buch „Rule of Law in China – A Comparative Approach“.

Karin Blasek

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