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Sie kann auch S-Bahn fahren: Manja Wolarz, Schichtleiterin im Krisenreaktionszentrum

© Thilo Rückeis

Wie funktioniert die Stadt? (4): Und täglich klingelt das Krisentelefon

Sie kümmert sich um Fahrgäste, twittert, facebookt, entscheidet, ob ein Lokführer abgelöst wird. Die 40-jährige S-Bahnerin Manja Wolarz managt Störungen.

„Nicht viel los heute“, warnt S-Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz, „aber das kann sich jederzeit ändern." Und so geschieht es dann auch.

Ein Signal ertönt, zwei Mitarbeiter eilen zum Telefon der Schichtleitung. Anschließend machen Stichwörter die Runde: S 5 – Neuenhagen – Notarzteinsatz. Eine Frau ist zwischen zwei Zughälften ins Gleis gefallen. Klingt nicht gut. Noch weiß niemand, was genau passiert ist. Klar ist nur, dass der Zug im Bahnhof festsitzt und alle nachfolgenden Züge stadtauswärts blockiert. „Transportleitung“ nennt sich das Krisenreaktionszentrum der S-Bahn, ein Raum mit großen Bildschirmen und viel Kommunikationstechnik im Hauptwerk Schöneweide. Hier werden Probleme gelöst, „Verzögerungen im Betriebsablauf“ so gemanagt, dass der Fahrplan nicht völlig aus dem Ruder läuft. Schichtleiterin Manja Wolarz kümmert sich um die Information der Fahrgäste, twittert, facebookt und entscheidet, ob ein Lokführer abgelöst werden muss. Die 40-jährige S-Bahnerin steuert selber Züge und weiß, was ein Notarzteinsatz bedeutet. Wenn im Sekundentakt Meldungen eingehen, die Kollegen sich Kürzel zuwerfen, über Lösungswege diskutieren, fühlt sie sich wohl. Dann ist was los hier.

Verspätung durch Unfall

In Neuenhagen steht die S-Bahn Nummer 5092 jetzt seit 20 Minuten. Alle nachfolgenden Bahnen kehren eine Station vorher um und fahren zurück. Wolarz ordert Ersatzbusse. Dann kommt die Entwarnung: Die verunglückte Frau ist geborgen, die Zugführerin hatte sie rechtzeitig bemerkt. Die Lokführerin wird abgelöst. Sie soll einen Tag zuhause bleiben, um sich von dem Schock zu erholen. Um die Verspätungen auf der Strecke aufzuholen, entscheiden die Logistiker, dass alle Züge nur bis Strausberg fahren und dort kehrt machen. Zwischen Strausberg und Strausberg-Nord wird gependelt. So ist das oft: An den Endbahnhöfen in Brandenburg fallen Züge aus, weil irgendwo im Berliner S-Bahnnetz etwas passiert ist. Ein Unfall, ein Suizid, eine Notbremsung oder ein Einkaufswagen, den jemand auf die Gleise geschoben hat. Das ist dann Fremdverschulden. Oft versagt aber auch die eigene Technik. Wenn Schienen brechen, Weichen nicht reagieren oder Züge den Geist aufgeben.

"Signalverfehlungen" haben ernste Konsequenzen

Wolarz bearbeitet schon die nächste Störung: Ein Zugführer hat ein Stopp-Signal überfahren. „Signalverfehlung“ heißt das im Fachjargon. Sofort ergeht die Anweisung: Ringbahn verlassen, hinter Halensee in der Kehre zum S-Bahnhof Charlottenburg. Der Lokführer wird abgelöst und über den Vorfall befragt. Signalverfehlungen haben für den Lokführer ernste Konsequenzen. „Der Ring ist erstmal kaputt“, sagt Wolarz’ Kollege. Auf den Bahnhofs-Anzeigen erscheint „Zug fällt aus“. Ehe Manja Wolarz durchatmen kann, gibt es das nächste Problem: Das Stellwerk Fredersdorf ist ausgefallen. Offensichtlich hat sich die Technik an dem Umstand verschluckt, dass der Zug 5092 rückwärts aus dem Bahnhof gefahren ist. Die Signale schalten nicht um. Auf der S 5 stehen zwei Züge „auf freier Strecke“ und sammeln Verspätungsminuten. Wolarz ruft alle Zugführer an und schreibt eine SMS an die Bahnhofsaufsichten.

Zwei Stunden vergehen wie im Flug, wenn sich Störung an Störung reiht. So ist es nicht immer, aber in den letzten Tagen sei schon viel Trubel gewesen, sagt Wolarz. Die S-Bahn ist ein sensibles System, das zwar flexibel reagieren kann, aber auch schnell an seine Grenzen stößt. Die Zug- und Personalpläne sind minutiös aufeinander abgestimmt. Jeder Ausfall zieht einen Rattenschwanz an Umplanungen nach sich. Die Wartungsfristen der Züge werden seit der großen S-Bahnkrise von 2009 penibel eingehalten, da nimmt die S-Bahn-Leitung keine Rücksicht mehr auf mögliche Engpässe im Betriebsablauf. Die Stimmung im Betrieb ist gut, trotz aller Störungen. Manja Wolarz nimmt Herausforderungen sportlich. Die S-Bahn ist wie Familie, sagt sie. Woanders zu arbeiten, kann sie sich nicht vorstellen.

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