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Hier gärt was. Silos der „Green Gas“ im Industriegebiet. Die Rathenower haben ihre Skepsis, was die Gasag-Fabrik betrifft, verloren. Sie kommen jetzt gern, um sich Gärreste als Gartendünger zu holen.

© Sabeth Stickforth / promo

Wie funktioniert die Stadt? (7): Aus Gras wird Gas

Jetzt bloß keine falschen Schlüsse ziehen: Die blauen und silbernen Silos im Rathenower Gewerbegebiet sind keine Chemiefabrik. Hier werden Mais, Roggen, Hirse zu Biogas. Die eine Schicht Mikroben verarbeitet die Fasern, die nächste veredelt das Produkt.

Wie funktioniert die Stadt? Folge 7: Die Gasag

Bis Mitte der Neunziger versorgte die Berliner Gaswerke AG einfach Haushalte mit Energie. Heute versteht sie sich als „Energiemanager“, entwickelt und betreibt klimaschonende Projekte, bietet Möglichkeiten, wie sich Schadstoff-Emissionen intelligent verringern lassen. Erdgas kombiniert mit Kraft-Wärmekopplung in Blockheizkraftwerken beliefern ganze Quartiere – wie auf dem der Printausgabe beiliegenden Poster, eine Kooperation mit der EUREF. Das Unternehmen setzt auch auf erneuerbare Energien: Biogas aus nachwachsenden Rohstoffen wird veredelt zu Bio-Erdgas.

Vor ein paar Jahren standen die Rathenower noch misstrauisch am Zaun. „Sieht ja aus wie eine Chemiefabrik!“ Werner Plettenberg wurde immer wieder mal gefragt, was die denn Schädliches in die Luft blase. Riesige Stahlkessel sieht man an der „Grünauer Fenn 42“ im Gewerbegebiet von Rathenow, dazwischen Tanks, jede Menge Rohre und eine Batterie silbriger, zylindrischer Türme, die an Raffinerien erinnern. Doch Plettenberg, 67, Wirtschaftsingenieur und Geschäftsführer der „Green Gas“-Produktionsanlage, hat ein reines Gewissen. An seinem Arbeitsplatz wird aus nachwachsende Rohstoffen wie Mais, Roggen, Hirse oder Grasschnitt nahezu CO2- neutrales Bioerdgas hergestellt. „Wir leisten einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz“, konnte er den Rathenowern versichern. Heute ist „Green Gas“ein Vorzeigeprojekt. Vor dem Tor stehen jetzt nur noch Gartenfreunde mit Eimern, um sich Gärreste zu holen, ein hochwertiger Dünger. „Mal ansehen?“ fragt Plettenberg, zieht sich die Winterjacke an, läuft draußen zum Rohstofflager. Kalter Wind streicht durch die Anlage, es riecht nach Vergorenem, kaum Menschen sind zu sehen, fast alles läuft hier automatisch ab. Es gibt nur fünf Mitarbeiter. Plettenberg greift jetzt in einen dunkelbraunen, mannshohen Haufen, lässt eine bröselige Masse durch seine Finger rieseln. Fühlt sich an wie Torf. Das bleibt übrig, wenn Mikroorganismen die Pflanzen bei der Gärung zerlegt und Methan als Biogas freigesetzt haben. „Die Mikroben sind unsere besten Helfer“, sagt Plettenberg. „Die müssen wir hätscheln.“

"Green Gas" für die Umweltbilanz

Das Methan wird letztlich als Bioerdgas in die Ferngasleitung eingespeist und an den Tanksäulen für Erdgasautos in Berlin eingesetzt sowie in den Blockheizkraftwerken von Hennigsdorf und Premnitz bei Rathenow. Betreiber von „Green Gas“ sind die Gasag und die Gesellschaft Energie Mark Brandenburg (EMB). Weshalb Bioerdgas das Klima nicht mit zusätzlichem CO2 belastet, macht Plettenberg klar, indem er einen Kreislauf zeichnet. „Wenn Sie unser Gas nutzen, wird ja nur so viel CO2 freigesetzt, wie die Pflanzen während des Wachstums aufgenommen haben. Fossile Energieträger bringen hingegen über Jahrmillionen gebundenes CO2 zusätzlich in die Atmosphäre ein.“ Selbst der Aufwand für Anbau, Düngung und Antransport ändere an dieser Umweltbilanz nicht viel.

Los geht's. Hier kippt ein Radlader die Silage in einen Bodentrichter. Von dort werden die kleingehäckselten Pflanzenteile in die zwei Fermenterkessel befördert, wo sie Mikroben weiter verabeiten.
Los geht's. Hier kippt ein Radlader die Silage in einen Bodentrichter. Von dort werden die kleingehäckselten Pflanzenteile in die zwei Fermenterkessel befördert, wo sie Mikroben weiter verabeiten.

© Christoph Stollowsky

Die Produktion läuft rund ums Jahr. Während der Mais- und Getreideernte kippen Lkw auf einer Freifläche ihre Last ab: auf dem Feld gehäckselte Pflanzen von 20 landwirtschaftlichen Betrieben der Region. Jetzt, im Dezember, ist dieser Rohstoff unter langgestreckten Hügeln verschwunden. Man hat ihn gepresst, weiße Planen darüber gespannt und so alles luftdicht verpackt. Darunter setzt die Milchsäuregärung ein. „Genau wie beim Sauerkraut“, erklärt Plettenberg. Acht Wochen dauert der Prozess, dann ist „die Silage konserviert“ – und dient nun nach Bedarf als Futter für die Mikroorganismen. Bis zu 100 Tonnen brauchen die Kleinstlebewesen pro Tag. Entsprechend groß müssen die Silage-Vorräte sein.

Biogas dank Mikroben

Den nächsten Produktionsschritt führt Industriemechaniker Chris Vegelahn mit dem Radlader vor. Er steuert zu einem Silagehügel, lädt eine Schaufel voll. Dann fährt er zum Herzstück der Anlage, den zwei Fermenter-Kesseln, schüttet die Pflanzenmasse in einen Trichter im Boden, von wo sie in die Kessel befördert wird. Aus einem Nachbartank lässt er Getreidekörner nachrieseln. „Fertig ist der Menü-Mix“, sagt er. „ So lieben es die Mikroben.“ Außerdem mögen sie es „kuschelig warm“, perfekt sind 37 Grad im Kessel. Man sollte die kleinen Fresser in Ruhe lassen, weshalb sich die Rührwerke drinnen bedächtig drehen. Der schlimmste Störfaktor aber wäre Sauerstoff, er wird konsequent eliminiert. „Dann arbeiten die Tierchen wie verrückt“, sagt Vegelahn. Es schäumt und sprudelt, ein Mix aus Biogas, Schwefelwasserstoff und CO2 sammelt sich oben im Kessel und wird abgeleitet.

Doch Schwefelwasserstoff und CO2 sind unerwünscht. Sie "müssen raus zur Veredelung des Gases", sagt Plettenberg. Er führt zu einem Behälter, der wie ein Erdöltank aussieht. Darin arbeiten „Sulfurikanten, schwefelfressende Mikroorganismen“. Ein biologisches Verfahren. Was danach in den raffinerieähnlichen Türmen passiert, nennt er „CO2-Wäsche“. Kohlendioxid wird chemisch abgeschieden, entweicht in die Luft. Zurück bleibt fast reines Biogas, nun mit einem erhöhten Methangehalt von 98 Prozent. Es hat jetzt die Qualität von Erdgas, heißt deshalb offiziell Bioerdgas. Als Brennstoff betreibt es auch ein kleines Blockheizkraftwerk auf dem Gelände. Werner Plettenberg betritt die Leitstelle der Biogas-Anlage, wirft seine Jacke ab. Wohlfühltemperatur. Fünf Auszubildende sitzen vor Monitoren, kontrollieren den Lauf. „Klappt prima“, meldet einer. Alles im grünen Bereich.

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