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Das Grundgesetz schreibt es vor, aber nur wenige Unternehmen bemühen sich aktiv darum, Vielfalt und Vorurteilsfreiheit in der Arbeitswelt zu fördern.

© E&Y

Vielfalt in Betrieben: Für die Entfaltung jedes Einzelnen

Nur ein Drittel der Unternehmen fördert aktiv Vorurteilsfreiheit im Arbeitsleben. Das zeigt die neue Studie "Diversity in Deutschland".

Die Arbeitswelt ist vielfältig, jedes Unternehmen ist vielfältig: Beschäftigte unterscheiden sich im Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, kultureller Herkunft und vielem mehr – und jede und jeder möchte in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen und geschätzt werden, niemand möchte diskriminiert werden. Wie gehen Unternehmen mit dieser Vielfalt um? Sehen sie sie als Bereicherung und Chance – oder eher als lästige Abweichung vom Standard?

Seit nunmehr zehn Jahren gibt es die Charta der Vielfalt, eine Unternehmensinitiative, die sich für die Wertschätzung von Vielfalt im Arbeitsleben einsetzt. Rund 2400 Unternehmen und Institutionen haben sie seit 2006 unterzeichnet und sich verpflichtet, eine Organisationskultur zu pflegen, die von gegenseitigem Respekt jeder und jedes Einzelnen geprägt ist, unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität.

Die sechs Punkte der Charta der Vielfalt sind eine Selbstverpflichtung, sie enthalten keine Quoten oder konkrete Zielvorgaben. Das hat den Grund, dass so jede Organisation für sich entscheiden kann, wie sie ihr Diversity Management individuell gestaltet. Es wirft aber auch die Frage auf: Verändert sich überhaupt etwas in Unternehmen und Organisationen, wenn sie sich zur Diversity bekennen?

Die Unterzeichner der Charta der Vielfalt gelten als Schrittmacher

Unsere Studie „Diversity in Deutschland“, die Ernst & Young gemeinsam mit der Charta der Vielfalt durchgeführt hat und die auf der fünften Diversity-Konferenz im Tagesspiegel-Haus am 10. und 1.. November vorgestellt wird, gibt Aufschluss darüber, wie es um Diversity in Deutschland bestellt ist – und ob sich die Organisationen, die die Charta der Vielfalt unterzeichnet haben, vom Durchschnitt der deutschen Unternehmen abheben.

Im Zeitraum Juli bis September haben wir 349 Unterzeichnern der Charta der Vielfalt sowie 250 zufällig ausgewählten Unternehmen, die keine Unterzeichner sind und den nationalen Querschnitt abbilden, dieselben Fragen vorgelegt. Hier ein Überblick über die wichtigsten Ergebnisse.

Man könnte mit einer schlechten Nachricht beginnen. Zwei Drittel der Unternehmen und Institutionen in Deutschland haben bislang noch keine Maßnahmen im Diversity Management umgesetzt. Dies gilt aber nur für den nationalen Querschnitt. Bei den Unterzeichnern der Charta der Vielfalt haben bereits 81 Prozent Maßnahmen umgesetzt. Diese Gruppe lässt sich also zurecht als Schrittmacher bezeichnen.

Diversity-Maßnahmen können zum Beispiel sein: Arbeitszeiten und -orte flexibilisieren, um Familie und Beruf besser vereinbar zu machen; Diversity-Kriterien bei der Auswahl von Bewerbern oder Lieferanten anlegen, eine Diversity-Abteilung oder einen Verantwortlichen einsetzen, Mentoring-Programme auflegen oder Diversity-Workshops durchführen.

Was macht das durchschnittliche Unternehmen?

Die Unternehmen des nationalen Querschnitts haben nicht nur bisher deutlich weniger Maßnahmen umgesetzt als die Unterzeichner, auch ihre Planung für die Zukunft ist eher zurückhaltend – nur 19 Prozent planen konkrete Schritte. Zugleich bestätigen jedoch mehr als zwei Drittel dieser Gruppe, dass sie im Diversity Management einen Nutzen sehen. Und sogar eine Mehrheit von 53 Prozent ist sicher, dass sich der Erfolg von Diversity Management messen lässt. Es besteht also eine Lücke zwischen der Erkenntnis auf der einen und einem tatsächlichen Handeln auf der anderen Seite. Umgangssprachlich könnte man es in einem Satz zusammenfassen: „Wir wissen, dass es uns nutzen würde, wir könnten es auch messen, aber wir machen es eben noch nicht.“

Für uns ist erstaunlich, dass Unternehmen auf die für sie offensichtlichen Vorteile verzichten. Den größten Vorteil von Diversity-Maßnahmen sehen die Unternehmen mit 76 Prozent darin, ihre Personalressourcen besser zu nutzen. Dementsprechend führen auch diejenigen Maßnahmen die Rangliste an, die einer Flexibilisierung der Arbeitswelt dienen. Den stärksten Handlungsbedarf für die Zukunft sehen Unternehmen beim Alter der Beschäftigten mit 70 Prozent, sowie beim Thema Behinderung (64 Prozent).

Insgesamt zeichnet sich für uns ein stimmiges Bild des durchschnittlichen deutschen Unternehmens ab. Mit den tagtäglichen Herausforderungen konfrontiert, suchen sie die nächstgelegene und praktikabelste Lösung für ein Problem. Man packt an und handelt entsprechend der aktuellen Prioritäten. Es geht darum, genügend Menschen im Unternehmen zu haben, um die Aufgaben und die Ziele zu erfüllen. Dafür kommen Unternehmen dem oder der Einzelnen schon mal einen Schritt entgegen und machen sich auch über generelle Flexibilisierung Gedanken.

Zu diesem Bild passt es auch, dass Diversity Maßnahmen meist nicht langfristig geplant werden. Und so haben viele die strategische Dimension des Diversity Management gar nicht im Blick oder nur unzureichend beachtet. Diese Herangehensweise könnte diese Unternehmen schon bald in die Defensive zwingen und damit weiter unter Druck setzen. Denn diejenigen, die umfangreiche Erfahrungen mit Diversity Management haben, denken anders.

Was läuft bei den Unterzeichnern der Charta der Vielfalt anders?

Das Grundgesetz schreibt es vor, aber nur wenige Unternehmen bemühen sich aktiv darum, Vielfalt und Vorurteilsfreiheit in der Arbeitswelt zu fördern.
Das Grundgesetz schreibt es vor, aber nur wenige Unternehmen bemühen sich aktiv darum, Vielfalt und Vorurteilsfreiheit in der Arbeitswelt zu fördern.

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Die Studie zeigt eindeutig, dass die Unterzeichner der Charta der Vielfalt sich intensiver mit dem Diversity Management beschäftigt haben. Sie haben bereits deutlich mehr Maßnahmen umgesetzt und planen auch mehr als der nationale Querschnitt. Zudem sind drei Viertel von ihnen der Meinung, dass Diversity Management konkrete Vorteile für ihre Organisation bringt, 69 Prozent halten den Erfolg ihrer Maßnahmen für messbar, gegenüber den erwähnten 53 Prozent des nationalen Querschnitts.

Es sind aber die markanten Unterschiede bei einzelnen Details, die aufhorchen lassen. Zum Beispiel, dass die Unterzeichner der Charta der Vielfalt den stärksten Vorteil von Diversity darin sehen, dass Innovation und Kreativität gefördert werden. Auch die Notwendigkeit, auf gesellschaftlichen Wandel zu reagieren, wird wichtiger bewertet, ebenso die Einbindung externer Zielgruppen der Unternehmen und Organisationen.

An einer Stelle der Umfrage haben wir die Teilnehmenden aufgefordert, aus einer Liste von acht Fähigkeiten allein diejenige auszuwählen, über die Vorgesetzte unbedingt verfügen sollten. Nur eine Antwort war möglich. „Gewonnen“ hat die Empathie-Fähigkeit: Sowohl im nationalen Querschnitt (30 Prozent), als auch bei den Unterzeichnern der Charta der Vielfalt (28 Prozent) halten die Befragten Empathie für die wichtigste Fähigkeit einer Führungskraft. Interessant ist jedoch der zweite Platz. Hier geben die Unterzeichner mit 20 Prozent der Objektivität – im Sinne von Vorurteilsfreiheit – einen besonderen Stellenwert, während dies im nationalen Querschnitt nur 11 Prozent so sehen. Zweifellos ein Fingerzeig im Hinblick auf eine offene und vorurteilsfreie Unternehmenskultur.

Es gibt kein einfaches Rezept, aber bewährte Praktiken

Bemerkenswert ist eine andere Abweichung beider Gruppen: Die Erfüllung von Quotenzielen als Mittel der Erfolgsmessung von Diversity-Maßnahmen halten nur 27 Prozent der Unterzeichner der Charta der Vielfalt für geeignet. Im nationalen Querschnitt sind es 44 Prozent.

An mehreren Stellen in der Studie zeigt sich, dass erfahrene Unternehmen und Organisationen weitaus weniger mit klassischen Kennzahlen wie Beförderungsraten oder Leistungskennzahlen arbeiten, dafür aber mehr Wert auf qualitative Rückmeldungen oder faktisches Verhalten legen. Zu Letzterem zählen beispielsweise die Fluktuation oder die Rückkehrrate nach der Elternzeit.

Insgesamt ist erkennbar, dass die Unterzeichner der Charta der Vielfalt einen sehr viel strategischeren Ansatz im Diversity Management verfolgen. Das schätzen sie auch selbst so ein. Zu 51 Prozent gibt die Gruppe an, Diversity Management bereits in der Unternehmensstrategie verankert zu haben.

Würde man aus den Aussagen der Unterzeichner der Charta der Vielfalt eine Art Rezept entwickeln, dann könnte das ungefähr so klingen: Diversity zum Bestandteil der Organisationsstrategie machen, von der Geschäftsleitung zur Priorität erklären lassen, beispielhafte Projekte fördern und einen Vorbildcharakter schaffen, mehr Flexibilität in der Arbeitswelt des Unternehmens schaffen, Diversity bei der Rekrutierung mitdenken, Personalentwicklung und Führungskräftetrainings daran ausrichten sowie immer wieder Feedback von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einholen.

Einschränkend müssen wir hinzufügen: Einfache Rezepte entsprechen nicht dem Denken von Diversity Management. Diversity ist ein Prozess, das sagen auch viele Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer.

Worauf kommt es in Zukunft an?

Das Grundgesetz schreibt es vor, aber nur wenige Unternehmen bemühen sich aktiv darum, Vielfalt und Vorurteilsfreiheit in der Arbeitswelt zu fördern.
Das Grundgesetz schreibt es vor, aber nur wenige Unternehmen bemühen sich aktiv darum, Vielfalt und Vorurteilsfreiheit in der Arbeitswelt zu fördern.

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Die Notwendigkeit, sich mit Diversity Management zu beschäftigen, wird aus unserer Sicht zunehmen. In einer Arbeitswelt, die von Globalisierung, Digitalisierung und Individualisierung geprägt ist, die also von sich aus schon wesentlich mehr Vielfalt als früher repräsentiert, wird keine Organisation um Diversity Management herumkommen. Wie ein Unternehmen dies bewerkstelligt, ist eine andere Frage. Es wäre geradezu vermessen, der Vielfalt der Perspektiven, Erfahrungen, Umstände und Marktmechanismen mit einem Einheitskonzept begegnen zu wollen.

Ein Kerngedanke wird allerdings immer enthalten sein: Beim Diversity Management geht es darum, dem einzelnen Menschen die maximale Entfaltung seines Potenzials entsprechend seiner individuellen Persönlichkeit zu ermöglichen.

Die Autoren – Dr. Eva Voß von EY und der Marktforscher Dr. Walter Reimund – haben die Studie geleitet.

Eva Voß, Walter Reim

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