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Zoya Anwer Mahfoud (40) kommt aus Syrien.

© Doris Spiekermann-Klaas

Politisch diskutieren: Ich hasse Politik, aber ich mag Kartoffeln

In Unfreiheit ist Politik ein zynisches Spiel. Wie ist es in Deutschland?

Als ich klein war, mochte ich keine Kartoffeln. Ich konnte nicht verstehen, wie andere sie genießen konnten. Ich musste immer meine Nase rümpfen, wenn sie zusammen mit Zwiebeln gekocht wurden. Für mich waren sie geschmacklos. Kartoffeln waren das Lieblingsessen meiner Mutter, weil sie lokale Produkte waren. Meine Mutter hat immer gesagt, Kartoffeln pflanzen ist das Beste, was mein Vater macht. Es ist besser als der große Unsinn, den diese dummen politischen Parteien in Syrien produzieren.

Jetzt bin ich erwachsen und lebe in einem Land, das berühmt ist für seine Kartoffeln. Es gibt sie überall, soviel man will. Jetzt mag ich den Geschmack und den Geruch von Kartoffeln. Diese Veränderung finde ich lustig und seltsam zugleich.

Mein Vater träumte von Sozialismus und Reformen

Bei der Politik war es genau anders herum. Seit ich ein Kind war, habe ich mich für Politik interessiert. Wir waren neun Geschwister in einem kleinen Haus. Nach den Hausaufgaben mussten wir draußen spielen. Ich aber habe lieber ein Buch gelesen oder Diskussionen meines Vaters und seiner Freunde über soziale Gerechtigkeit gelauscht. Ich erinnere mich an die Traurigkeit in den Augen meines Vaters, als das sozialistische System zusammenbrach. Er hatte davon geträumt, mit seiner Hilfe die Gesellschaft und veraltete Gewohnheiten zu verändern.

Später haben mich die Diskussionen mit meinem Vater fasziniert, ich stellte ihm Fragen über das Leben und die Freiheit. Und wie man dafür kämpft. Diese Leidenschaft für Politik, die ich mit meinem Vater teilte, erlosch jedoch, als ich erwachsen war und politische Reporterin werden wollte. Damals habe ich gelernt, wie Politik in einem unfreien System funktioniert – dass ich etwas schreiben muss, was nicht wahr ist. Dass Politik ein Spiel ist, das ohne Rücksicht auf Menschen gespielt wird. Deswegen hasse ich Politik.

Ich weiß noch nicht genau, wie das in Deutschland ist, aber ich bin zumindest wieder neugierig und offen für Politik in Freiheit. Für mich ist es jetzt das Beste, den Politikern zuzuhören und ihre Initiatiaven zu verstehen. Ich werde nicht mit Kartoffeln werfen – aber ich werde mir einige davon für den Notfall aufbewahren. Zumindest mag ich in Deutschland Kartoffeln.

Die Autorin ist seit 2016 in Deutschland. Sie ist Praktikantin in einem Frauenhaus und ab Oktober im Tagesspiegel.

Der Artikel ist in der Beilage „Wir wählen die Freiheit“ mit Texten von Exiljournalisten am 8. September 2017 erschienen. Die Beilage entstand im Rahmen des Projekts #jetztschreibenwir des Tagesspiegels, in Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Robert Bosch Stiftung.

Zoya Anwer Mahfoud

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