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1. Platz, Erwachsene: Durchbruch - von Dorothea Beckmann

Der Abend beginnt harmlos. „Ich hoffe, Sie mögen Indisch“, sagt Direktor Schmalenbach. Aber bitte scharf! Ein Hahnenkampf mit Chili.

Von Dorothea Beckmann Nun, ich hoffe, Sie mögen Indisch.“ Direktor Schmalenbach rückte seinen Stuhl zurecht und bedeutete dann auch Weikert und mir, Platz zu nehmen. Mit einer jovialen Geste winkte er den Ober heran, der bereits auf dem Weg war, uns die Karten zu bringen, und begann über die vorzügliche Küche des „Taj Mahal“ zu dozieren. „Nun, die Vindaloo-Spezialitäten sind durchweg zu empfehlen, und das Lamm ist ausgezeichnet fein im Geschmack. Vorweg rate ich zu den Gemüse-Pakoras, aber auch die Garnelen in Kokosmilch waren stets zu meiner Zufriedenheit. Für mich bitte das Roghanjosh“, wandte er sich an den Ober, der Schmalenbachs Karte wieder an sich nahm und unsere Bestellung erwartete. Ich tippte wahllos auf das Burmesische Hühnchen, und Weikert posaunte: „Für mich bitte das Lamm-Biriani. Scharf.“

Zack, das hatte gesessen! Weikert hatte den Kampf eröffnet, noch bevor das Spiel überhaupt angepfiffen war. Und hatte gleich doppelt bei Schmalenbach gepunktet – mit dem vom Direktor empfohlenen Fleisch und mit der unmissverständlichen Botschaft: Seht her, ich bin ein ganzer Mann. Ich esse scharf!

„Ho, ho“, machte Schmalenbach. „Da trauen Sie sich aber was! Sie sind sich hoffentlich darüber im Klaren, was das in einem indischen Restaurant bedeutet. Ihr Mut imponiert mir, Weikert. Nur zu! Dann schließe ich mich an: Roghanjosh, ebenfalls scharf.“

In meiner kulinarischen Sozialisation bewegte sich „scharf“ irgendwo zwischen Pfeffersalami und „Fisherman’s Friend“, und weil ich Weikert nicht bereits zu einem so frühen Zeitpunkt kampflos das Feld überlassen wollte, erhöhte ich kurzerhand auf „sehr scharf“, was mir den erhofften anerkennenden Blick des Direktors verschaffte.

Schmalenbach ließ sich Zeit und wartete mit dem Startschuss, bis der Ober die Getränke gebracht hatte. „Nun“, sagte er dann – „nun“, wie es in der Abteilung längst tagein, tagaus nachgeäfft wurde – „nun, meine Herren, wie Sie wissen, werden wir morgen im Vorstand über die entscheidende Personalie beim Aufbau unserer neuen Produktionsfiliale Ost verhandeln, und da dachte ich mir, Herr Weikert, Herr Luland, es wäre vielleicht hilfreich, Sie beide heute Abend in ungezwungenem Rahmen etwas näher kennenzulernen.“ Ich beeilte mich, dem Direktor die soeben eingetroffenen knusprigen Papadams anzureichen, und Weikert lobte den nachhaltigen Abgang des Weins. Der Hahnenkampf war eröffnet.

Schmalenbach sprach im Folgenden von der ehrwürdigen Tradition des Unternehmens, der bislang stets erfolgreichen Behauptung am Markt und den Herausforderungen der Globalisierung. Als der Hauptgang eintraf, plante er bereits eine Expansion in den transatlantischen Raum.

„Lamm, scharf, Hühnchen, sehr scharf“, erläuterte der Ober und überließ uns den intensiven Düften der exotischen, in kleinen Messingpfännchen servierten Gerichte. Reis und Raita, eine mit Minze gewürzte Joghurtsoße, standen zur allgemeinen Verfügung und wurden herumgereicht.

Dann folgte mein erster Schleimhautkontakt mit „sehr scharfer“ indischer Küche, und der einzig fassbare Gedanke, der mich in diesem Augenblick durchfuhr, war: Es wird auch mein letzter sein! Nadelstiche durchbohrten meine Zunge, ein Feuerschwert drang in meinen Hals und presste beißende Flüssigkeit in meine Augen. Die Gabel entglitt unkontrolliert meiner Hand und schlug hart an der Tellerkante auf. Irgendetwas zwischen einem Würgen und einem Urlaut des Unbehagens entfuhr meiner gepeinigten Kehle.

„Nun, Luland, haben Sie da die Schärfe der indischen Küche wohl doch unterschätzt?“ Schmalenbach lächelte nachsichtig, und Weikert grinste triumphierend. Ich drückte die Serviette gegen den Mund, räusperte mich und straffte die Schulterblätter. Sollte ich mich tatsächlich schon geschlagen geben? Jetzt, da die Filialleitung in solch greifbare Nähe gerückt war und ich der Firma bereits Freunde, Saxophon und meinen Traum von der Bumerang-Meisterschaft geopfert hatte?

„Da muss wohl das Huhn die falsche Röhre erwischt haben“, erklärte ich entschuldigend. „Unter sehr scharf verstehe ich in der indischen Küche allerdings wirklich etwas anderes.“ Ich winkte den Ober herbei und fragte ungerührt nach zusätzlicher Schärfe, die mir sogleich in Form von zerstoßenen getrockneten Chilischoten gereicht wurde.

Lässig streute ich zwei Messerspitzen der krümeligen Glut über das Hühnchen auf meinem Teller und reichte die Schale an Weikert. „Sie wollten das Lamm ja ebenfalls scharf“, forderte ich ihn heraus. Weikert versuchte ein schiefes Lächeln und ging mit. „Ich steige aus“, lehnte der Direktor dankend ab, als wir auch ihm die roten Flocken herüberschoben. „Respekt, meine Herren. Für mich ist die Schärfe bereits an der erträglichen Grenze.“

Er fuhr fort, über Führungsqualitäten und Disziplin zu sprechen, während Weikert hastig nach dem kühlenden Joghurt griff und ich der schier unerträglichen Schärfe mit Willenskraft zu begegnen versuchte.

Als ich den Teller bereits zur Hälfte geleert hatte, zwang mich der von der Stirn tropfende Schweiß, gegen alle Etikette zu verstoßen und mich noch während des Essens kurz zu entschuldigen.

Auf der Toilette umklammerte ich das Waschbecken, bis meine Knöchel weiß wurden, um irgendetwas anderes zu spüren als das höllische Brennen in meinem vom Feuer ausgeweideten Körper. Meine geröteten Augen starrten ausdruckslos in den Spiegel, und ich glaubte die Schlacht mit meiner plötzlichen Flucht bei Tisch schon verloren, als Schmalenbach hereinkam, seine Krawatte richtete und meinte: „Nun, zu einem so reichhaltigen Essen gehört doch auch mal eine kleine Auszeit, was, Luland?“

Gemeinsam kehrten wir wenig später wieder zurück an den Tisch, an dem Weikert mit seiner zweiten Portion auf uns gewartet hatte. Ein Blick auf mein Burmesisches Hühnchen verriet mir, dass er beim Warten jedoch nicht untätig geblieben war. Eine frische rote Chiliflockenschicht überzog meinen Teller, und jedes helle Samenkorn schien mich mit Weikerts Grinsen zu verhöhnen. Er hatte die Gunst der Stunde genutzt, meine Kapitulation im Kampf gegen die Schärfe und damit letztlich gegen ihn einzuleiten.

Aber ich wollte diese Filialleitung, oder glaubte vielmehr sie zu wollen. Und so stieß ich die Gabel entschlossen ins Huhn und führte fünf Milligramm reines Capsaicin zum Mund, der sich widerwillig öffnete und den Todfeind aller Geschmacksknospen einließ.

Im ersten Moment spürte ich nichts – nicht Huhn, nicht Schmerz, nicht einmal mich selbst. Ich versuchte zu schlucken, hatte aber keine Kontrolle mehr über meine Zunge und meine Kehle, die sich in Taubheit auflöste. Dann erhob sich ein Grollen in meinem Rachen, ein Tosen und Brausen, das Arme und Tischtuch mitriss, ein Donnern, das die Weingläser zerschlug, ein Orkan, der Schmalenbachs Lamm zu Boden fegte, dann eine enorme Kraft, die eine Tür aufstieß, mein Gehirn freipustete und darin einen nie gekannten weiten Raum freigab.

Im Restaurant war es mit einem Mal ganz still geworden. Weikert und Schmalenbach sahen mich entgeistert an, aber ich nahm sie kaum wahr. Der weite helle Raum, der sich in mir auftat, erfasste meinen ganzen Körper, und in die Stille hinein hörte ich das an- und abschwellende „dung dung dung“ eines Bumerangs, der majestätisch über die Ebene kreist. „Herr Direktor“, ich faltete die Serviette zusammen und erhob mich. „Ich denke, die Produktionsfiliale Ost wird ohne mich auskommen müssen. Sie entschuldigen mich.“

Bevor ich ging, schob ich mir unter den entsetzten Blicken der Umstehenden noch einen Teelöffel Chiliflocken in den Mund, verließ ohne Eile das Lokal und trat hinaus in den milden Sommerabend. Ich ließ die roten Körner langsam auf der Zunge zergehen und spazierte staunend durch die fremde Weite in meinem Kopf.

DOROTHEA BECKMANN (39), aufgewachsen im Ruhrgebiet, arbeitet als Logopädin und Gesangslehrerin in Münster. Ihre Geschichte bekam den ersten Preis im Erwachsenen-Finale.

Dorothea Beckmann

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