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Erst die Ausbildung, dann die Karriere – und immer später das Kind. Die Zahl der älteren Mütter wächst seit den 90er Jahren stetig.

© IMAGO

40 Jahre alt: Zeit für Kinder

Frauen, die mit 40 das erste Baby bekommen, gehören in Berlin inzwischen zum Alltag. Nirgendwo in Deutschland leben so viele Spätgebärende wie hier.

Anja Moldenhauer ist glücklich: Sie ist im fünften Monat schwanger, ihr erstes Kind, es ist ein Junge. Soeben war sie zur Feindiagnostik in der Charité, per Ultraschall wurde sie untersucht, alles in Ordnung, hat der Arzt gesagt, kein Grund zur Sorge. Wenn da nicht ein Unsicherheitsfaktor wäre: ihr Alter von 41 Jahren.

Auch wenn sie sich selbst nicht so fühlt, ist Anja Moldenhauer eine Risikoschwangere, eine späte Erstgebärende. 2008 betrug der Anteil verheirateter Mütter – die ledigen werden statistisch nicht erfasst –, die bei der Geburt ihres ersten Kindes 40 und älter waren, 3,4 Prozent. Damit liegt Berlin bundesweit an der Spitze. Zu Beginn der 90er Jahre machte dieser Teil nicht mal ein Prozent aus. Warum erst jetzt? „Es hat sich jetzt erst ergeben“, sagt Anja Moldenhauer. Nach dem Medizinstudium folgte die Promotion, danach die Habilitation, Aufenthalte in den USA, Japan und China. Ihren Ehemann lernte sie mit 38 kennen. Nun passt alles.

Ab 35 gilt eine Schwangere als Risikopatientin, das wurde in den 70er Jahren so festgelegt als Grundlage zur Berechnung für das Budget, das den Krankenkassen bei der Behandlung von Komplikationen zur Verfügung steht. Heute ist deren Zahl bei den Erstgeburten deutlich gestiegen, Frauen wie Anja Moldenhauer liegen dann bei Karim Kalache im Untersuchungszimmer. Er ist der Leiter der Beratungssprechstunde für Risikoschwangere an der Charité, täglich kommen 15 Patientinnen zu ihm, ein Drittel davon sind späte Erstgebärende. „Bei ihnen muss öfter ein Kaiserschnitt durchgeführt werden, die Gefahr des Downsyndroms ist höher.“ Seit 1990 untersucht Kalache Schwangere, „früher war die 40-jährige Patientin noch die Ausnahme, mittlerweile ist sie die Regel.“

Das Durchschnittsalter der Frauen, die zu Reinhard Hannen ins „Kinder Wunsch Zentrum Berlin“ kommen, beträgt 37 Jahre – das IVF-Register, das deutschlandweit Daten von Reproduktionseinrichtungen erfasst, weist für 2008 ein Durchschnittsalter von 34,7 Jahren aus. Über 15000 Frauen hat Hannen seit der Praxisgründung vor zehn Jahren behandelt, anfangs lag der Altersdurchschnitt noch bei 29, „heute kommt jeden zweiten Tag eine Über-40-Jährige als Erstpatientin zu uns“. Ein Großteil seiner Kunden sind ältere Akademikerinnen, Unterschiede ließen sich heute weniger zwischen Ost und West feststellen als zwischen deutschen Patienten und solchen mit Migrationshintergrund, und auch zwischen Berlinern und Paaren aus dem Umland – jeweils Letztere sind es, die den Altersdurchschnitt senken.

Hannen glaubt, dass gerade das Großstadtleben es schwer macht, den richtigen Zeitpunkt zum Kinderkriegen zu bestimmen. Wer in Berlin lebt, der will sich ausprobieren, etwas erleben, im Job, in der Freizeit, in der Partnerschaft. Hinzu kommt das Gefühl der Jugend. „Das ist bei vielen durch einen entsprechenden Lebensstil so stark verankert.“ Und so kämen dann 48-Jährige, die sich für 38 halten und glauben, mit der Einnahme von ein paar Hormonen mal eben schnell schwanger zu werden.

Jeder weitere Urlaub, den man noch plant, jedes halbe Jahr, das man sich noch im Job beweisen will, kann eine Kinderlosigkeit bedeuten, die nicht therapierbar ist, sagt Bettina Pfüller. Sie war langjährige Leiterin der – 2009 geschlossenen – Reproduktionsmedizin an der Charité und arbeitet heute im „Hormonzentrum Berlin“. Schuld am Trend zum späten Elternglück sei auch der Umgang von Arbeitgebern mit Müttern. Ein Kind sei heute ein Unsicherheitsfaktor bei der Karriereplanung. „Es herrscht ein angespanntes Klima, das vor allem Paare mit westdeutschem Hintergrund verunsichert – dass Kinder zur Lebensplanung gehören, ist bei Ost-Paaren verankerter.“

Kathrin Schäfer stammt aus dem Ostteil der Stadt, aus Pankow, sie wurde mit 40 schwanger, ihre Tochter Nele ist heute zwei Jahre. Es gibt Tage, an denen sich Schäfer abends nach Job und Kind schlapp und abgespannt fühlt. In solchen Momenten wünscht sie sich insgeheim, zehn Jahre jünger zu sein. Aber dann erinnert sie sich daran, dass sie den Gedanken an ein Kind mit Ende 20, Anfang 30 noch weit von sich geschoben hat, weil sie mit ihrem Freund, den sie mittlerweile geheiratet hat, noch so viel erleben wollte. Als sie über Kinder sprachen, da war Kathrin Schäfer schon 38 und es dauerte dann noch zwei Jahre, bis sie schwanger wurde. Im Geburtsvorbereitungskurs waren sie und ihr Mann die Ältesten, „ein bisschen komisch war das, aber irgendwie spielte es nach dem ersten Kennenlernen auch keine Rolle“. Heute hat sie in der Firma die Abteilung gewechselt, auf Vorschlag ihres Arbeitgebers, eines großen deutschen Unternehmens, weil das besser mit ihrer jetzigen Lebenssituation vereinbar sei. „Früher war man ein High Potential, heute ist man eine Mutter“, sagt Schäfer. Sie glaubt, für viele Frauen mit ähnlicher Erfahrung zu sprechen, will aber ihren richtigen Namen trotzdem nicht in der Zeitung lesen, aus Angst vor Unannehmlichkeiten im Job.

Anja Moldenhauer möchte sich bislang noch keine Gedanken machen über Abende, an denen sie sich gerädert fühlen wird und einen möglichen Karriereknick – sie hofft, dass sie auch nach der Elternzeit beruflich nicht zurückstecken muss. „Ob jüngere Frauen die besseren Mütter sind, das muss jede selbst für sich entscheiden“, sagt sie.

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