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© Kitty Kleist-Heinrich

Alleinerziehende Mütter: Frische Zweierbeziehung

Alles ist anders: Tagesspiegel-Mitarbeiterin Tanja Buntrock, seit vier Monaten frisch gebackene und alleinerziehende Mutter, kämpft sich durch den Kiezalltag.

Nach der Geburt meiner Tochter entschlüpfte auch ich irgendwann dem schützenden Kokon meiner weltbesten Hebamme. Ab sofort hieß es: mein Säugling und ich. Wer wie wir zwischen Kreuzberg und Neukölln wohnt, genießt im ungewohnt neuen Alltag gewisse Vorteile; es gibt jede Menge Elterncafés mit Spielgelegenheit. Was wären wir beide etwa ohne das „Kurz und Klein“, das kreative Kinderzimmer im Reuterkiez?

Dort treffen wir uns zwischen Babymassage, Rückbildungskurs, Krabbeltreff und Yoga. Ja, auch die Über-Mütter, die heimlichen Mitglieder der Still-Mafia. Hier können wir all das tun, worüber wir uns früher lustig gemacht haben: Etwa über die Konsistenz sämtlicher Körperflüssigkeiten unserer Kleinen reden. Man stellt die Kinder grundsätzlich mit Artikel zum Namen vor („Das ist die Lilly-Johanna“) – gerne mit einem Begrüßungslied. Wir brauchen sie, die anderen Mütter, wenngleich in noch so harmlos wirkenden Fragen immer eine Mahnung mitschwingt: „Du benutzt doch keinen Babybjörn als Tragehilfe, oder?!“

Aber irgendwann, wenn der x-te koffeinfreie Cappuccino ausgetrunken ist und alle Vor- und Nachteile von Stoffwindeln erörtert wurden, steht das Unvermeidliche an: einkaufen, unterwegs sein, Freunde besuchen. Mit Baby. Und mit Kinderwagen. Wer damit in ein Kaufhaus will, muss den Dreh raushaben: Um den heißluftdurchströmten Eingang mit den schwingenden Glastüren ohne fremde Hilfe zu passieren, ist es nötig, sich seitlich in die Tür hineinzudrehen, dann mit dem Rücken dagegenzudrücken und schließlich den Wagen hinter sich hereinzuziehen. Die Erfahrung lehrt: Türkische und arabische Männer helfen immer. Lächelnd halten sie Türen auf oder tragen Kinderkarren die Treppen hoch, schauen begeistert in den Wagen, schätzen das Alter des Babys, nicht ohne auch etwas von ihrer eigenen Lebensgeschichte preiszugeben.

Überall im Kiez lauern Tücken. Mit Baby an Bord lernt jeder schnell, den Aufzug besser nicht zu benutzen, weil man sonst hin und wieder zum Parkdeck gelangt statt in die Ladenpassage. Stattdessen nimmt man mit Kinderwagen lieber die neuerdings verbotene Rolltreppe. Allerdings stets mit mulmigem Gefühl, denn im Kopfkino junger Mütter läuft sofort der Film ab: „Mein Baby fällt aus der Tragetasche und schliddert kopfüber die Treppen hinunter.“ Dagegen versuche ich, während realer Schreiattacken die nötige Coolness zu bewahren, um mitleidige oder genervte Blicke in der Öffentlichkeit an mir abperlen zu lassen.

In einem Supermarkt an der Hasenheide störe ich mit meinem Kind generell den Betrieb, weil sich das Drehkreuz am Eingang nicht mit dem Kinderwagen passieren lässt. Jedes Mal muss die Mittelstange hochgehoben und beiseite geschoben werden. Dadurch wiederum ertönt ein schriller Piepton, den nur eine Verkäuferin mithilfe eines Steckschlüssels abstellen kann. Habe ich erst mal die Blicke aller anderen Kunden auf mich gezogen, beginnt garantiert meine Tochter zu schreien. Sie mag nämlich das Warnsignal nicht.

Dank solcher Momente lerne ich täglich ein bisschen mehr, egoistisch zu sein. Sobald an einer Kasse mehr als vier Leute stehen, gehöre ich neuerdings zu denen, die schon von ganz hinten durch den Laden rufen: „Wird noch eine zweite Kasse geöffnet?“ Kürzlich führte genau das zum Eklat. Eine kinderlose Frau und ich lieferten uns einen Wettlauf zur Kasse, meine Tochter schrie erbarmungslos. „Nur weil du ein Kind hast, hast du nicht mehr Rechte als ich“, wetterte die Gegnerin. Sie brachte mich dazu, ihr jenen Satz entgegenzuschmettern, den ich früher nicht einmal im Traum hatte öffentlich aussprechen wollen: „Dieses Kind wird mal deine Rente zahlen!“

Nur gut, dass am Ende eines solchen Tages die junge Friseurin im „Nilufer“ Dinge und Haare wieder zurechtrückt. Auf meine schüchterne Frage, ob man denn den Kinderwagen mit in den Laden nehmen dürfe, antwortet sie mit verständnislosem Gesichtsausdruck: „Ich dachte immer, nur Hunde müssen draußen bleiben.“

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