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© Uwe Steinert

Familie in Berlin: Neuköllner Kiez: Viele Vorzüge, aber null Perspektive

Familie Özkan wohnt seit elf Jahren im High-Deck-Quartier Neukölln. Sie lieben den Kiez am südlichen Ende der Sonnenallee. Doch sie wollen weg – der Kinder wegen. Den Özkans ist der Migrantenanteil an den hiesigen Schulen zu hoch.

Wenn Elif Özkan mit ihrer Familie einkaufen geht, wird sie oft angesprochen. Ihr Mann Salih und die beiden zehn- und elfjährigen Söhne Yasin und Yussuf stehen dann in der Apotheke oder beim Bäcker und warten, dass Elif den Leuten aus der Nachbarschaft einen guten Rat gibt oder einfach nur kurz zuhört. Die 36 Jahre alte Mutter ist Nachbarschaftshelferin im High-Deck-Quartier, einer Siedlung am Südende der Neuköllner Sonnenallee.

Elif Özkan begleitet türkische Bewohner bei Behördengängen, sie übersetzt und hilft bei Alltagsproblemen. Sie erzählt vom Deutschkurs, der aus allen Nähten platzt, und von drei Frauen aus dem Quartier. „Die waren vorher Analphabetinnen, und jetzt können sie lesen und schreiben und lernen Deutsch! Es ist schön, das zu beobachten.“

Die Özkans selbst wohnen seit elf Jahren hier. „Wir haben uns immer wohl gefühlt“, sagt Salih Özkan, der Vater. Trotzdem haben seine Frau und er einen Entschluss gefasst: In naher Zukunft wollen sie umziehen. Raus aus dem High-Deck-Quartier, raus aus Neukölln.

Eigentlich sind die Özkans eine typische Neuköllner Familie. Elif, deren Eltern als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland kamen, wurde in Berlin geboren und wuchs in Mariendorf auf. Salih war neun, als er nach Deutschland zu seinen Eltern kam. Nach ihrer Heirat zogen Elif und Salih nach Neukölln. Heute hat der Stadtteil mit 34 Prozent den zweithöchsten Migrantenanteil Berlins nach Mitte – und es ist der kinderreichste Stadtteil. Zwei Kinder haben Eltern im Schnitt. Mit Familie müsste es sich dort also gut leben lassen, doch selbst Leute wie die Özkans wollen weg.

Norma Ehlers vom Quartiersmanagement des Rollbergviertels bekommt häufig mit, dass bildungsorientierte Eltern aus Nord-Neukölln wegziehen – wenn sie es sich leisten können. Sie sieht aber auch die Vorzüge im Kiez: „Es gibt jede Menge Grün und Spielplätze. Außerdem ist die soziale Infrastruktur mit Schulen, Kitas und Jugendzentren schon seit vielen Jahren sehr dicht.“ Manche Wohnsiedlungen mit vielen Großfamilien hätten geradezu dörflichen Charakter.

„Die Kinder haben keine Perspektive in Neukölln“, sagt jedoch Salih Özkan. Die Eltern möchten, dass ihre Söhne auf eine gute Schule gehen, in Tempelhof oder Steglitz. Beide finden den Migrantenanteil an den Neuköllner Schulen zu hoch: Sie wollen, dass Yasin und Yussuf eine sozial gut durchmischte Schule besuchen, damit sie später mal Chancen auf eine gute Lehrstelle haben.

Elif Özkan findet, dass viele Kiezbewohner nicht gerade kinderfreundlich sind. „Wenn ein Kind im Bus anfängt zu quengeln, gucken alle genervt weg, statt der Mutter zu helfen und das Kind abzulenken.“ Manchmal nehme die Kinderfeindlichkeit auch rassistische Züge an. Eilf Özkan erinnert sich, wie sie angepöbelt wurde, als sie früher mit ihrem Doppelkinderwagen unterwegs war: „Und eens haste im Bauch, wa?“ Man merkt, dass ihr dieser Spruch noch heute nahegeht. Maria Macher, Projektleiterin der Neuköllner Stadtteilmütter, kennt das Problem: „Frauen werden oft auf der Straße angemacht, wenn sie mit mehreren Kindern unterwegs sind.“ Sie glaubt nicht, dass Neukölln in den letzten Jahren kinderfreundlicher geworden ist. „Es gibt zwar viele Angebote, gut ausgestattete Kitas und Spielplätze – aber die gab es auch schon vor Jahren.“ Außerdem seien Straßen und Spielplätze sehr schmutzig, es fehlten unter anderem ein Kinderbauernhof und vor allem ein öffentlicher Grillplatz.

Die Özkans, Familie mit Migrationshintergrund und zwei Kindern, sind auch typisch für Neukölln, weil sie wegziehen wollen – wie viele andere Eltern, die Wert auf eine gute Bildung der Kinder legen. Und das, obwohl sie noch immer an ihrem Kiez hängen. Sie schätzen die kostenlose Hausaufgabenhilfe und die lebendige Vereinskultur. Bei den Özkans steht Fußball im Mittelpunkt. Die Söhne spielen beim SV Galatasaray Berlin, auch ihr Vater, der als Lagerfacharbeiter im Schichtdienst bei Gilette arbeitet, spielt Fußball in der Betriebsmannschaft.

Bis zu ihrem Umzug bleibt Familie Özkan weiter ein aktiver Teil des Viertels. Neulich gab es im Quartier eine Kostümparty unter dem Motto Orient. Alle Nationalitäten aus dem Kiez waren vertreten: Türken, Araber, Polen. Die deutschen Nachbarn hätten sich bei der Kostümierung aber besonders ins Zeug gelegt, erzählt Elif Özkan. Ein Mann kam als Pharao, ein anderer als Araber mit Schnurrbart und Turban.

Anne Meyer

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