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Der Blick des 19. Jahrhunderts: Katharina von Bora mit Haube, hochgeschlossenem Kleid und verhülltem Hals als Zeichen für Züchtigkeit, Ehrbarkeit und Frömmigkeit. Fotografie von 1883 nach einem Gemälde von Ernst Hader.

© Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Katharina von Bora: Frau ohne Eigenschaften?

Wie Katharina von Bora immer wieder neu erfunden wurde: Die Historikerin Gabriele Jancke untersucht die Wahrnehmung von Martin Luthers Ehefrau in den vergangenen 500 Jahren.

In wenigen Wochen beginnt das Jubiläumsjahr, aber die Marketing-Maschinerie, die die Feierlichkeiten zum 500. Jahrestag der Reformation begleitet, läuft schon jetzt auf Hochtouren. Sie hat auch Katharina von Bora nicht verschont, Martin Luthers Ehefrau. Ihr Bild findet sich auf Tassen, Kerzen und Keksen, sie taucht in Musicals auf und in Filmen; Kirchen und Schulen, Heime und Straßen tragen ihren Namen. Und womöglich werden sich in den kommenden Jahren vermehrt kleine Katharinas auf den Spielplätzen tummeln – Mädchen, nach der historischen Figur benannt, in der Frauen des 20. und 21. Jahrhunderts gern ein frühes feministisches Vorbild sehen.

Wer aber war Katharina von Bora? Die Quellen sind spärlich: 1499 wird sie im sächsischen Lippendorf als Tochter einer Landadelsfamilie geboren, vermutlich am 29. Januar. Mit sechs Jahren gibt ihr Vater sie zur Erziehung ins Kloster der Augustiner-Chorfrauen in Brehna im heutigen Sachsen-Anhalt; 1515 legt sie ihr Gelübde als Nonne im Zisterzienserinnenkloster Marienthron in Nimbschen ab. 1523 – sechs Jahre nach Luthers Thesenanschlag in Wittenberg – flieht sie von dort, zusammen mit elf weiteren Nonnen. Am 13. Juni 1525 heiratet sie den Reformator, mit ihm hat sie sechs Kinder. Sie stirbt am 20. Dezember 1552 in Torgau.

Dürre Fakten – die im eklatanten Widerspruch stehen zu der Überfülle von Texten und Bildern aus 500 Jahren, in denen Katharina von Bora auftaucht oder dargestellt wird. Dieses Missverhältnis, sagt Gabriele Jancke, habe sie als Geschichtswissenschaftlerin gereizt. Seit vier Jahren erforscht die Frühneuzeit-Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschlechterverhältnisse am Friedrich-Meinecke-Institut das Leben der Lutherin. Dafür untersucht sie alle Quellen aus dem 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart; die Kirchenhistorikerin Sabine Kramer in Halle hat das Gleiche für das 16. Jahrhundert getan. Mit Katharina von Bora als realer Person hätten die zahlreichen Abbildungen und Texte, in denen ihr Name auftaucht, freilich nicht viel zu tun, sagt Gabriele Jancke. Aber einiges damit, wie von Bora zu bestimmten Zeiten gesehen worden sei.

Das öffentliche Interesse beginnt mit der Hochzeit mit Martin Luther

Ausgangspunkt für das öffentliche Interesse an ihr ist die Hochzeit mit Martin Luther: Eine geflohene Nonne heiratet einen ehemaligen Mönch. Die skandalöse Verbindung wurde schon von Zeitgenossen als ein epochales Ereignis angesehen, das neue Verhältnisse begründete.

Martin Luther und Katharina von Bora - wie Maler aus der Cranachschule das Ehepaar sahen. Das Ölgemälde auf Holz wird auf das 16./17. Jahrhundert datiert.
Martin Luther und Katharina von Bora - wie Maler aus der Cranachschule das Ehepaar sahen. Das Ölgemälde auf Holz wird auf das 16./17. Jahrhundert datiert.

© Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Wittenberg

Gold mit Rubin: Katharina von Boras Trauring aus dem Jahr 1525.
Gold mit Rubin: Katharina von Boras Trauring aus dem Jahr 1525.

© Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/Bertram Kober

Seitdem sind Gemälde, Grafiken, Plastiken, Flugblätter, biografische Texte, Gedichte, Schmähschriften und regalmeterweise Pfarrhausliteratur entstanden. Bis heute. 500 Jahre Katharina von Bora in Bild und Schrift. Trotzdem bleibt sie eine Unbekannte. Denn zu keiner Zeit, sagt Gabriele Jancke, sei es in diesen Darstellungen um eine Ähnlichkeit mit der lebenden Figur gegangen. Weder in den Abbildungen noch in den Texten.

Die Frage muss also umformuliert werden: Welches Bild machte man sich von ihr zu welcher Zeit? Das wiederum hat viel damit zu tun, wer Luthers Gattin aus welchen Gründen für sich vereinnahmen wollte, für wen sie welche Projektionsfläche bot. In zahlreichen polemischen Schriften aus dem 16. Jahrhundert werfen Katholiken Katharina von Bora Hochmut, Stolz und Verschwendungssucht vor, Liederlichkeit und Trunksucht. Man unterstellt der Ehefrau des Reformators voreheliche Beziehungen mit Studenten in Wittenberg – auch mit Luther, mit dem sie schon vor der Hochzeit ein Kind gezeugt haben soll.

Derartige Anschuldigungen finden sich Mitte des 16. Jahrhunderts auch in Johannes Cochläus’ Werk „Kommentare des Johannes Cochläus über die Handlungen und Schriften des Sachsen Martin Luther, chronographisch zusammengestellt“. Das Bild, das der katholische Reformationskritiker in seinem mehrere hundert Seiten starken Buch in drei kurzen Passagen von Katharina von Bora entwirft, hat zwar nichts mit der wirklichen Person zu tun. Dennoch zeigt das damals rasch aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzte und immer wieder neu aufgelegte Werk, auf das sich katholische Autoren bis ins 20. Jahrhundert beziehen sollten, die beabsichtigte Wirkung: Durch die Anwürfe gegen seine Frau wird Luther beschädigt. Und über ihn die Reformation. Denn das haben seine Gegner begriffen: Katharina von Bora ist Luthers Achillesferse.

Es ist der Beginn einer jahrhundertelangen konfessionspolitischen Debatte, die über die zentrale Figur Katharina von Bora geführt wird. Die Polemiken der Katholiken rufen die Protestanten auf den Plan: Sie wehren sich, verteidigen die Reformation – indem sie Katharina von Boras Ruf wiederherzustellen versuchen. Sie sei eine gehorsame Ehefrau gewesen, habe gut für ihren Mann und ihre Kinder gesorgt, sei fleißig, anspruchslos und tugendhaft gewesen und überhaupt vorbildlich in ihrer Lebensweise, heißt es in den apologetischen Texten noch im 18. und 19. Jahrhundert. Minutiös rekonstruieren protestantische Wissenschaftler auch 200 Jahre nach dem Tod des Ehepaares die Zahl seiner Kinder – um auf diese Weise den Vorwurf des vorehelichen Geschlechtsverkehrs zu widerlegen.

Auch die Gesellschaft beansprucht sie als willkommene Projektionsfläche

Nicht nur die Theologen, auch die Gesellschaft beansprucht Katharina von Bora als willkommene Projektionsfläche. So zeigen Ölgemälde und Kupferstiche aus dem 19. Jahrhundert von Bora im Kreise ihrer Familie, musizierend, beim Weihnachtsfest im Luther-Haushalt. Über die Pfarrhausliteratur – ein ganz eigenes Genre, das sich zu dieser Zeit entwickelt – wird sie zunächst zum Inbegriff der protestantischen Pfarrfrau. Was sie tatsächlich nicht war, denn nicht Luther, sondern Johannes Bugenhagen war Wittenberger Stadtpfarrer.

Zwei völlig unterschiedliche Personen scheinen diese kolorierten Radierungen zu zeigen. Sie stammen aus dem 18. Jahrhundert ...
Zwei völlig unterschiedliche Personen scheinen diese kolorierten Radierungen zu zeigen. Sie stammen aus dem 18. Jahrhundert ...

© Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Wittenberg

... und aus dem 19. Jahrhundert. Die Künstler sind unbekannt.
... und aus dem 19. Jahrhundert. Die Künstler sind unbekannt.

© Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Wittenberg

Schließlich stilisiert man sie zum Leitbild für protestantische Ehe- und Hausfrauen – passend zu einer Epoche, die die bürgerliche Familie zum Ideal erhebt. In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wiederum wird Katharina von Bora ganz zeitgemäß zur „starken“ Frau: In ihrem Essay „Bist Du sicher, Martinus?“ macht die Schriftstellerin Christine Brückner sie in einer „ungehaltenen Tischrede“ zur feministischen Streiterin avant la lettre. Jede Epoche hat ihren ganz eigenen Blick auf Katharina von Bora und entwirft so ein spezifisch mit ihrer Zeit verbundenes Bild. „Rezeptionen machen Geschichte“, nennt es Gabriele Jancke.

Es ist diese Metaebene, in der Katharina von Bora durch alle Zeitläufte hinweg gesehen worden ist, die die Geschichtswissenschaftlerin interessiert. „Wenn man sich über die Jahrhunderte derart an einer historischen Figur abarbeitet, sagt das mehr über die Geschichte und die Absichten der Autoren aus als über die Figur selbst“, sagt Gabriele Jancke. Am Beispiel der Katharina von Bora lasse sich exemplarisch zeigen, wie sehr Geschichte Rekonstruktion sei: „Man ist nie objektiv, man muss immer prüfen: Welche Fragen stellen wir, weil wir von heute aus in die Vergangenheit schauen?“

Wer sich ihr als Mensch nähern will, muss alle historischen Bilder dekonstruieren

Um sie aus den Vereinnahmungen der vergangenen 500 Jahre zu befreien und sich dem Menschen Katharina von Bora nähern zu können, müssten zunächst alle historischen Bilder dekonstruiert werden, sagt Gabriele Jancke. Manches, was sich als Wissensbestand verfestigt habe, halte aktuellen Überprüfungen nicht stand und werde der Quellenlage, so überschaubar sie auch sei, nicht gerecht. So gehe man heute davon aus, dass Katharina von Bora sehr wohl klare Vorstellungen von der Organisation des lutherschen Professorenhaushaltes hatte. Das Schwarze Kloster, in dem sie mit ihrem Mann und den Kindern lebte, hat sie zum geistig-sozialen Zentrum in Wittenberg gemacht, den Reformatoren-Haushalt als mittelständischen Betrieb geführt, wie man es heute wohl nennen würde.

Wo sie Haus- und Landwirtschaft gelernt hat, ist nicht bekannt. Keinesfalls auf dem elterlichen Gut, auf dem sie nur die ersten sechs Lebensjahre verbrachte. Bleibt nur das Kloster in Nimbschen. Verbürgt durch Quellen ist das wiederum nicht. Ein Strukturvergleich der feudalen Wirtschaft in einem Zisterzienserinnenkloster der frühen Neuzeit mit der Ökonomie im Luther- Haushalt könnte hier Aufschluss geben, sagt die Historikerin. Überhaupt gebe es manche naheliegende Untersuchung, die noch ausstehe: Ein Vergleich zwischen Katharina von Bora und anderen adligen Frauen ihrer Zeit, die im Kloster gelebt haben oder ebenfalls mit einem Wissenschaftler verheiratet waren oder einen Reformatoren-Haushalt geführt haben. Fragestellungen, die sich aus heutiger Sicht aufdrängen. Nachfolgende Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden ihre eigenen stellen.

Ob es in der Geschichte eine Figur gab, die eine ähnliche Projektionsfläche geboten hat wie Katharina von Bora? Gabriele Jancke überlegt einen Moment. Dann sagt sie: „Nicht in der Reformationszeit – aber etwa 100 Jahre zuvor: Jeanne d’Arc.“ Auch von der französischen Nationalheldin gebe es zahllose Darstellungen in Texten und Bildern. „Über die reale Person aber weiß man ebenfalls vieles nicht.“

Christine Boldt

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