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Aus der Nähe können Studierende und Wissenschaftler in Chimfunshi das Verhalten von Schimpansen beobachten.

© Katja Liebal

Auffangstation für Menschenaffen: Die Savanne als Hörsaal

In einer einzigartigen Lehrveranstaltung beobachten Studierende Schimpansen in Sambia.

Gleißendes Licht, roter Sandboden, die einzigartige Geräuschkulisse der Busch- und Wiesenlandschaften Sambias, in denen Zikaden und mehr als 700 Vogelarten zu Hause sind – knapp dreißig Reisestunden von Berlin entfernt liegt eine ganz andere Welt: Chimfunshi im Norden Sambias. Hier, in einer der größten Auffangstationen für Schimpansen weltweit, leben die Menschenaffen in riesigen Gehegen in größtmöglicher Freiheit. Das einzigartige Projekt gibt Naturfreunden wie Wissenschaftlern die Gelegenheit, den Affenalltag aus nächster Nähe zu beobachten.

So auch zwölf Studierenden der Freien Universität, ihrer Professorin Katja Liebal und deren wissenschaftlichen Mitarbeitern, die sich – schwer bepackt mit Videokameras, Ferngläsern, Stativen und Gastgeschenken – auf den langen Weg nach Sambia machten. Auf die Flugreise folgte eine sechsstündige Busfahrt durch unwegsames, staubiges Gelände. „Man muss das schon wirklich wollen“, sagt Katja Liebal. „Aber wenn man einmal in Chimfunshi angekommen ist, wird man für alle Mühen entlohnt.“

In der beeindruckenden sambischen Savannenlandschaft wollten die Berliner kleinere Feldforschungen durchführen, die sich mit verhaltensbiologischen und entwicklungspsychologischen Fragestellungen auseinandersetzen. Monatelang hatten sich die Psychologiestudierenden in einem Kurs auf diese zwei Wochen vorbereitet.

Im Juni war es dann schließlich soweit. Teilnehmerin Svenja Witte schildert ihre ersten Eindrücke: „Ich war noch nie zuvor in Afrika, und alles war ganz neu für mich. Zum Beispiel war ich überrascht, dass es dort Supermärkte wie bei uns zu Hause gibt und zum Teil sogar dieselben Geschäfte. Vor allem aber fand ich toll, wie wahnsinnig nett und hilfsbereit die Leute vor Ort waren“, schwärmt die 20jährige. Chimfunshi selbst sei ein riesiges Areal und vollkommen naturbelassen – optimale Bedingungen also, um möglichst authentische Daten zum Verhalten der Tiere zu gewinnen.

Jeden Morgen eine Stunde Fußmarsch zum Freigehege

Svenja Wittes Gruppe hatte im Vorfeld der Reise ein Forschungsprojekt zum Dominanzverhalten von Alphamännchen entworfen. „Es wird vermutet, dass es verschiedene Führungsstile unter Schimpansen gibt. Eine These ist, dass Alphamännchen mit hohem Körpergewicht besonders aggressiv sind, während sich kleinere Individuen eher kooperativ verhalten“, erklärt Wittes Kommilitone Tom Hovehne.

Diese These wollten die jungen Psychologen in Sambia überprüfen. Dafür absolvierten sie jeden Morgen einen einstündigen Fußmarsch zu den etwas abseits gelegenen Gehegen, um dort mit der Videokamera das Verhalten der Schimpansen zu dokumentieren. „Das war schwieriger, als wir zunächst gedacht hatten“, erinnert sich Svenja Witte. Schließlich könne man nicht unmittelbar an die Tiere herangehen, sondern müsse vom Zaun aus oder von Aussichtsplattformen herunter filmen, sagt die Studentin: „Zudem bewegen sich Schimpansen extrem schnell. Es ist wirklich schwer, spannende Szenen abzupassen und gutes Filmmaterial zu bekommen.“

Dass Geduld zu den Haupttugenden des Feldforschers gehört, weiß Katja Liebal aus langjähriger Erfahrung. Der Forschungsschwerpunkt der Professorin für Vergleichende Entwicklungspsychologie an der Freien Universität Berlin ist die Kommunikation von Primaten, einschließlich des Menschen; ihre Methode der systematische Arten- und Kulturvergleich ist eine in Deutschland vergleichsweise neue Forschungsrichtung, zu der hier nur wenige Wissenschaftler arbeiten.

„Was mich umtreibt ist, welche kommunikativen und kognitiven Verhaltensweisen wir bei einigen oder allen Menschenaffen finden und welche nur dem Menschen eigen sind. Es geht also um die Frage, was den Menschen letztendlich ausmacht“, sagt die 40-Jährige. „Man entdeckt bei solchen Feldforschungen unentwegt etwas Neues, aus dem sich viele Anschlussfragen entwickeln. Diese tolle Erfahrung wollte ich mit den Studierenden teilen und ihnen darüber hinaus die Möglichkeit geben, ein so spannendes und vielfältiges Land wie Sambia kennenzulernen.“

Illegal geschmuggelt, im Zirkus vorgeführt

Die Daten werden vor Ort ausgewertet.
Die Daten werden vor Ort ausgewertet.

© Katja Liebal

Die Arbeit in Chimfunshi ist der Wissenschaftlerin seit längerem vertraut. Sie war bereits mehrfach dort, um gemeinsam mit Kollegen zu forschen. Für Katja Liebal ist besonders wichtig, dass die Auffangstation nicht nur im Hinblick auf den Arten- und Naturschutz einen wichtigen Beitrag leistet, sondern auch der ortsansässigen Bevölkerung zugutekommt.

„Chimfunshi ist ursprünglich aus einer privaten Initiative entstanden“, berichtet die Forscherin. Zunächst lebten dort nur einige wenige Schimpansen, die sich zuvor in Privatbesitz befunden hatten, als Schmugglerware vom Zoll beschlagnahmt worden waren oder als Zirkustiere ein wenig artgerechtes Dasein fristeten. Mittlerweile beherbergt das überwiegend aus Spendengeldern aus Deutschland finanzierte Projekt rund 130 Menschenaffen und ist ein wichtiger lokaler Arbeitgeber.

Mitarbeiter des stetig expandierenden Projektes leben in Dörfern auf und in der Nähe des mehr als 4200 Hektar großen Areals. Neben einer Schule und einer Krankenstation wurde hier auch ein Forschungszentrum errichtet, das als Anlaufstelle für internationale Wissenschaftler, Touristen und Schulklassen dient.

„Von der Station aus läuft man nur fünf Minuten bis in eines der Dörfer“, sagt Tom Hovehne. „Dadurch hatten wir Gelegenheit, die Menschen vor Ort kennenzulernen und nachmittags mit den Kindern im Dorf Fußball zu spielen.“ Abends habe man gemeinsam gekocht, am Lagerfeuer gesessen und gesungen. „Der Austausch mit den Leuten aus der Region war sehr intensiv und interessant, wir haben einen guten Eindruck von der Kultur der Einheimischen bekommen“, sagt der 19-Jährige.

Studenten aus Lusaka und Berlin sollen gemeinsam forschen

„Für die Studierenden ist die Reise nach Chimfunshi eine akademische und persönliche Bereicherung“, sagt Katja Liebal. „Gleichzeitig ist mir wichtig, dass wir nicht einfach nur zwei Wochen vor Ort sind und dann wieder abfahren, sondern dass wir den Menschen dort auch etwas zurückgeben.“

So möchte die Wissenschaftlerin eine nachhaltige Zusammenarbeit – unter anderem in Form einer jährlichen Exkursion – in die Wege leiten und dabei auch sambische Studierende einbeziehen. „Wir sind mit der University of Zambia in Lusaka im Gespräch. Meine Wunschvorstellung ist, dass die Studierenden aus Lusaka und Berlin gemeinsam Forschungsprojekte entwickeln und durchführen und beide Gruppen das jeweilige Partnerland bereisen.“

Während die Finanzierung des Projektes durch die Förderung der VolkswagenStiftung für die nächsten vier Jahre bereits gesichert ist, hofft Liebal, auch darüber hinaus Fördergelder akquirieren zu können. Ein Mangel an interessierten Teilnehmern ist in jedem Fall nicht zu befürchten. „Die Studierenden sagten mir, sie würden am liebsten alle in der Prüfung durchfallen“, sagt Liebal und lacht. „Dann könnten sie im kommenden Jahr wieder mitfahren.“

Den Chimfunshi-Verein zum Schutz bedrohter Umwelt e. V. findet man im Internet unter www.chimfunshi.de

Nora Lessing

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