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Aus Alt mach Neu: Frischekur für jahrhundertealte Bücher

Experten nehmen den Umzug der Bereichsbibliotheken zum Anlass, seltene Werke des Seminars für Katholische Theologie zu restaurieren. Ein speziell klimatisierter Raum schützt die wertvollen Bände nun vor dem Verfall.

Den Dreißigjährigen Krieg, die Französische Revolution, zwei Weltkriege und den Fall der Berliner Mauer: Die Bücher der sogenannten Rara-Sammlung des Seminars für Katholische Theologie haben so viele historische Ereignisse überstanden, dass sie inzwischen selbst ein Stück Geschichte sind. Mehr als 550 Exemplare umfasst die Sammlung seltener Werke insgesamt, das älteste von ihnen ist fast fünf Jahrhunderte alt. Um sie von Wasserflecken, Schimmel oder Wurmfraß zu befreien, wird jetzt etwa die Hälfte der kostbaren Werke aufwendig restauriert. Mehr als ein Jahr sollen diese Arbeiten etwa dauern. Nach der Frischekur ziehen die Bücher in die neue Campusbibliothek, in einen speziell klimatisierten Raum.

Qualitativ hochwertige Drucke, Einbände aus Leder oder Pergament und kunstvolle Buchschließen: Barbara Dammers gerät ins Schwärmen, wenn sie einen der jahrhundertealten Schätze aus der Sammlung in der Hand hält: „Diese Bücher sind teilweise richtige Kunstwerke“, sagt die promovierte Archäologin, die die Restaurierung der Rara-Werke organisiert. Der Begriff „Rara“ leitet sich von dem lateinischen Wort rarus ab und bedeutet „selten“.

Wochenlang prüfte Dammers im Kellerraum des Seminars jedes der Bücher auf seinen Zustand: Ist das Leder der Einbände abgewetzt? Sind die Bindungen locker? Haben sich Mäuse an den Seiten zu schaffen gemacht? Schimmeln Einbände oder Buchseiten? Schließlich bieten die kostbaren Bücher nicht nur geistige Nahrung: Sie sind auch ein Nährboden für Bakterien, Schimmelpilze oder Insekten.

Rund 300 der 556 Bücher der Sammlung hat die Archäologin für die Restauration ausgewählt. Mit der Arbeit wird die Freie Universität Spezialisten betrauen, die den Büchern zu neuem Glanz verhelfen sollen, ohne dass sie ihre Geschichte und ihren individuellen Charakter verlieren: „Die Restauratoren werden die Gebrauchsspuren nicht beseitigen. Schließlich sollen die Bücher später nicht wie neu aussehen, sondern in der Hauptsache vor dem Verfall geschützt werden“, sagt Dammers.

In der neuen Campusbibliothek zählen alle Bücher mit einem Erscheinungsdatum vor dem Jahr 1720 zum Rara-Bestand – außerdem grundsätzlich alle Pergamentbände, also Bücher, bei denen bearbeitete Tierhaut als Einband verwendet wurde. Dass die Bücher ihre eigenen Geschichten erzählen, zeigt ein Römisches Messbuch, das Missale Romanum aus dem Jahr 1639: Einige Buchseiten haben Flecken von Messwein und Kerzenwachs. „Man sieht deutlich, dass es vor Jahrhunderten in Gottesdiensten genutzt wurde“, sagt Markus Thurau, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Seminars. Er hat sich mit der Herkunft der Bücher auseinandergesetzt.

Die Bücher der Rara-Sammlung wurden größtenteils in den 1960er Jahren von Theologieprofessor Marcel Reding angeschafft, dem Gründer des Seminars für Katholische Theologie an der Freien Universität. Er forschte vor allem zur mittelalterlichen Theologie und baute die Bibliothek auf. „Reding war eine echte Spürnase und reiste auf der Suche nach theologischer Literatur aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit quer durch Deutschland“, erzählt der promovierte Geschichts- und Kulturwissenschaftler Thurau. Die Geschichte jedes Exemplars ließe sich zwar nicht zurückverfolgen. „Wir wissen aber, dass etwa die Hälfte der Bücher aus Privatbesitz stammt, zum Beispiel aus Klosterauflösungen in den Ostblockstaaten in den 1950er und 1960er Jahren oder aus den Nachlässen verstorbener Priester“, erklärt Thurau. Der andere Teil der Rara-Sammlung wurde aus den Antiquariaten katholischer Buchverlage angekauft.

Im Zuge der Restauration wird ein Teil der Rara-Bücher auch digitalisiert. Außerdem haben Bibliotheksnutzer die Möglichkeit, Wünsche zu äußern, welche Rara-Bücher eingescannt werden sollen, und sie können Scans vom geschützten Bestand bestellen. Digitale Ausgaben könnten die „Aura des Originals“ aber nicht ersetzen, meint Barbara Dammers: „Der Text ist zwar der gleiche. Bei den Rara-Büchern geht es aber nicht nur um den Inhalt, sondern auch um die Bücher selbst. Jedes Buch hier ist ein Unikat.“

In der neuen Campusbibliothek gibt es einen Rara-Raum für den Bestand. Mit 14 bis maximal 18 Grad Raumtemperatur und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit bietet er ideale Bedingungen für die wertvollen Bücher. „Das muss man sich vorstellen wie einen klimatisierten Tresor“, sagt Dammers. Auch Rara-Bestände anderer Fachbereiche werden hier untergebracht; schließlich sind insgesamt 24 Instituts- und Bereichsbibliotheken in die neue Campusbibliothek eingezogen.

Zum Schutz der Bestände sind die Rara-Bücher nicht zur Ausleihe freigegeben. Interessenten können sie aber unter Aufsicht vor Ort einsehen. Denn auf moderne Gebrauchsspuren von Kaffeetasse, Textmarker oder Kugelschreiber wollen die Bibliotheksmitarbeiter dann doch lieber verzichten.

Annika Middeldorf

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