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Mit göttlichem Beistand: Vier Männer legen zum Schwur vor dem König ihre Hand auf einen Reliquienschrein. Die kolorierte Federzeichnung auf Pergament stammt aus dem 14. Jahrhundert.

© Abbildung: Sachsenspiegel, Heidelberger Bilderhandschrift

Bedeutung von Eidesformeln: Ich schwöre!

Der Historiker Stefan Esders untersucht die Bedeutung von Eiden in der Antike und im Mittelalter

Warum schwören Menschen eigentlich, warum leisten sie Eide – und hat sich die Bedeutung des Schwörens im Laufe der Zeit verändert? Diesen Fragen geht Stefan Esders, Historiker und Professor am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität, nach. Doch wie wird man zum Eidexperten? Ihn habe diese freiwillige Bindung schon immer fasziniert, sagt Esders, dann sei ihm bei der Lektüre antiker und mittelalterlicher Texte aufgefallen, welch hohe Bedeutung dem Schwören und dem genauen Wortlaut der Eide beigemessen wurde. „Wo immer wir Eide antreffen, stoßen wir auf Situationen, in denen Dinge verbindlich geregelt werden müssen, weil konkurrierende Normen und Rollenerwartungen aufeinandertreffen.“ Jeder Eid führe Historiker mit Sicherheit an einen neuralgischen Punkt vergangener Gesellschaften. Und zugleich auch immer wieder zu Situationen, in denen ein Eid die Menschen in schwerste Gewissensnöte trieb.

In der Spätantike wurde die Gesellschaft des Römischen Reiches christlich. Bis dahin waren Schwüre bei den Göttern üblich gewesen, auch legte jeder römische Soldat einen Fahneneid ab. Doch die neue Staatsreligion störte diese Tradition empfindlich, schließlich hatte Jesus in der Bergpredigt seinen Anhängern das Schwören untersagt. „Nur mühsam rang man sich durch, den Eid unter bestimmten Bedingungen zu erlauben – offenbar, weil es ohne ihn nicht ging“, sagt Esders. Das galt noch mehr, als um 500 n. Chr. das weströmische Reich zerbrach. Die Macht des Staates ging zurück, die Gesellschaft erlebte eine Lockerung fester Regeln, und die entstehende Lücke an Rechtsverbindlichkeit verlangte nach neuen vertraglichen Bindungen. In der Folge erlebte der Eid eine Blüte. „Vieles wurde jetzt neu ausgehandelt und durch Schwüre abgesichert“, sagt Esders.

Schlimmstenfalls setzte man sein Leben aufs Spiel

Doch was genau ist eigentlich ein Eid? Was passiert im Prozess des Schwörens? „Es ist zunächst die Anrufung einer Gottheit zur Unterstützung des eigenen Versprechens oder einer Aussage“, erklärt Esders. Durch den Bezug auf eine weit über dem Individuum stehende Macht betont der Schwörende nicht nur die Tiefe seiner Absicht, sondern setzt sich auch den Sanktionen dieser Macht aus – im Falle eines Meineides oder Eidbruches. Schlimmstenfalls, sagt der Wissenschaftler, setze man damit sogar sein Leben nach dem Tod aufs Spiel. Treue- und Loyalitätseide kennt die Geschichtsschreibung auch aus Byzanz und dem frühen Islam, auch die Römer schworen – wie beschrieben – schon Fahnen- und andere Eide. In der Spätantike haben sogar mancherorts Christen in jüdischen Synagogen geschworen, weil sie diese Eide für verbindlicher und besser geschützt hielten. Geschworen wurde schon immer, in allen Religionen und Regionen der Welt.

Doppeltes Bekenntnis: Der demokratische Abgeordnete Keith Ellison, erster Muslim im US-Kongress, legte 2007 seinen Eid auf den Koran ab – auf eine historische Ausgabe von 1764 aus dem früheren Besitz von Thomas Jefferson, einem der Gründungsväter der USA und ihr dritter Präsident. Links: Nancy Pelosi, ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses (Szene für das Foto nachgestellt).
Doppeltes Bekenntnis: Der demokratische Abgeordnete Keith Ellison, erster Muslim im US-Kongress, legte 2007 seinen Eid auf den Koran ab – auf eine historische Ausgabe von 1764 aus dem früheren Besitz von Thomas Jefferson, einem der Gründungsväter der USA und ihr dritter Präsident. Links: Nancy Pelosi, ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses (Szene für das Foto nachgestellt).

© M. McNichol, Library of Congress / CC BY 2.0

„Bei manchen Völkern wurde neben der jeweiligen Gottheit auch auf das Leben der eigenen Kinder oder sogar auf die eigenen Hoden geschworen“, berichtet der Historiker, „also auf alles, was heilig oder sehr wichtig ist.“ Allen Eidleistungen war dabei gemein, dass sie in der Öffentlichkeit stattfanden und so eine Selbstbindung vor Publikum waren. Je mehr Zeugen, desto geringer die Chancen, dass jemand dem Eid zu entrinnen suchte. Einen Eidbruch konnte man vor anderen kaum rechtfertigen. Auf diese Weise wurden Eide auch zu einem „sozialen Kitt“: Wer unter Eid stand, verdiente sich mehr Vertrauen, denn durch die Anrufung einer höheren Macht bekam die beschworene Aussage mehr Gewicht, und ein Meineid wurde schärfer bestraft. Noch heute lässt sich vor Gericht zeigen: Wer dort lügt, wird hart bestraft.

Dass im Neuen Testament der Eid untersagt wird und gleichzeitig in keiner Epoche so viel geschworen wurde wie ausgerechnet im christlichen Mittelalter, sei ein interessantes Paradoxon, sagt Esders. Gerade für die mittelalterliche Gesellschaft ist die Bedeutung des Schwurs unübersehbar: Könige schworen bei der Krönung Eide, gerecht und im Sinne des Volkes zu regieren. Dafür schworen die Untertanen, ihnen treu zu sein, für sie in den Krieg zu ziehen, ihren Anordnungen Folge zu leisten. Die Rechtsordnungen der mittelalterlichen Städte und Territorien beruhten auf einem jährlich erneuerten Eid.

Eide hielten die mittelalterliche Gesellschaft zusammen

Und schließlich wäre das Lehnswesen und der gesamte Feudalismus ohne den Eid auf den Lehnsherren nicht möglich gewesen – kurzum: Eide hielten schon immer die mittelalterliche Gesellschaft zusammen, sie bekräftigen das nötige Vertrauen als Fundament der jeweiligen Gesellschaft. „Auch Zünfte und selbst Universitäten waren lange Zeit eigentlich ,Verschwörungen’, also Schwurvereinigungen unter Gleichen“, sagt Esders. „An mittelalterlichen Universitäten mussten Studenten ihrem Professor unter Eid versprechen, sich nach der Prüfung nicht an ihm zu rächen.“

Noch heute wird, obwohl der Eid viel von seiner Bedeutung eingebüßt hat, in entscheidenden Momenten geschworen: bei der Vereidigung von Regierungen und Präsidenten ebenso wie vor Gericht. Hier schimmert der ursprüngliche Sinn des Eides bis in die Moderne durch: Die Selbstbindung vor Gott, dem Schicksal; die Bekräftigung der Absicht über das Übliche hinaus. „Eide zeigen auch heute noch viel und verraten etwas über den Schwörenden, etwa, ob er die Formel ,So wahr mir Gott helfe’ benutzt oder nicht“, sagt Esders.

Und natürlich ist noch immer der Schwur ein wichtiges Thema interreligiöser Beziehungen. Als vor gut zehn Jahren Keith Ellison, der erste muslimische Abgeordnete des amerikanischen Kongresses, seinen Amtseid leistete, legte er seine Hände auf ein Exemplar des Koran, das früher dem amerikanischen Gründervater Thomas Jefferson gehört hatte – damit hatte er sich in beste republikanische Tradition gestellt. Man darf sich allerdings nicht sicher sein, ob er auch in der Bibliothek der Familie von Donald Trump fündig würde.

Sven Lebort

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