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Der Sohn des Malers Max Beckmann mit Hildebrand Gurlitt (r.) bei der Eröffnung einer Beckmann-Ausstellung in Düsseldorf 1950.

© unbekannt

Forschung zu Hildebrand Gurlitt: Am Ende seiner Kunst

Verfechter der Moderne und Kunsthändler der Nationalsozialisten: Kunsthistorikerin Meike Hoffmann hat das Leben von Hildebrand Gurlitt erforscht.

Der 14. Oktober 1938, ein Samstag, ist ein milder und sonniger Tag im nationalsozialistischen Deutschen Reich. In Hamburg setzt Hildebrand Gurlitt ein Schreiben an die Abteilung IX des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda auf. Das Ministerium koordiniert die Verwertung der als „entartet“ diffamierten Kunst. Der Handel mit den beschlagnahmten Werken soll dem NS-Regime Geld in die Kasse spülen. Mit seinem Schreiben an den Abteilungsleiter Franz Hofmann bewirbt sich der Kunsthistoriker und Liebhaber moderner Kunst als offizieller Verkäufer „Entarteter Kunst“. Es ist der Beginn einer beispiellosen Karriere: Bis 1944 wird Hildebrand Gurlitt mehrere tausend Geschäfte für die Nationalsozialisten abwickeln, ab 1943 vor allem in den besetzten Westgebieten für das von Hitler geplante „Führermuseum“ in Linz.

75 Jahre später, im Herbst 2013, steht der Name Gurlitt in der ganzen Welt für die ungesühnte Raubkunst der Nationalsozialisten. In jenem Herbst erfährt die Öffentlichkeit vom „Schwabinger Kunstfund“, von jenen etwa 1500 Werken, die Cornelius Gurlitt, Hildebrand Gurlitts Sohn, in seiner Wohnung lagerte. Darunter neben vielen kleineren Zeichnungen auch Gemälde von Meistern des Expressionismus wie Henri Matisse, Franz Marc und Paul Klee. Der Fall macht weltweit Schlagzeilen. Unter welchen Umständen war sein Vater Hildebrand Gurlitt zu diesen Werken gekommen? Wem gehören sie rechtmäßig? Wer war dieser Mann, der sein Leben lang die von den Nationalsozialisten verfemte Kunst schützte – und der dann im Auftrag des NS-Regimes mit ihr handelte?

Seit Jahren forscht Meike Hoffmann, promovierte Kunsthistorikerin und Projektkoordinatorin der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Universität, zu diesen Fragen. Ihre Expertise ist in Deutschland und weltweit gefragt. Auf Empfehlung des Kulturstaatsministers bittet die Staatsanwaltschaft Augsburg Meike Hoffmann 2012 um die Begutachtung des „Schwabinger Kunstfundes“. Sie soll prüfen, welche Bilder aus der Sammlung der NS-Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ stammten. Ein ungewöhnlicher Fund hat der Forschungsstelle im Jahr zuvor neue Erkenntnisse im Fall Gurlitt verschafft: Dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Andreas Hünecke gelingt es 2012, ein Konvolut von Geschäftsbriefen Hildebrand Gurlitts aus den Jahren 1943 und 1944 bei einer Online-Plattform zu ersteigern. Ein fast irrsinniger Glücksfall für die Wissenschaftler. „Damit hatten wir ganz zentrale Briefe aus Gurlitts Zeit in Frankreich, wo er als Chefeinkäufer für das Deutsche Reich tätig war“, sagt Meike Hoffmann.

Die Korrespondenzen sind nur ein kleiner Teil der umfangreichen Quellen, auf deren Grundlage Meike Hoffmann gemeinsam mit der Tagesspiegel-Redakteurin Nicola Kuhn nun eine Biografie über den 1895 geborenen und 1956 bei einem Autounfall verunglückten Hildebrand Gurlitt veröffentlicht. Auf knapp 400 Seiten beleuchten die Autorinnen das Leben und Wirken des Kunsthistorikers und seine Verwicklungen in das nationalsozialistische Regime. „Hildebrand Gurlitt sah sich als Opfer der Umstände“, sagt Meike Hoffmann. „In einem Brief klagt er, er habe nie Kunsthändler werden wollen. Nach Ende des Krieges hat er sich gegenüber Kollegen auch als Retter der Werke verteidigt.“ Auch andere von den Nationalsozialisten autorisierte Kunsthändler vertraten diese Position. Neben Hildebrand Gurlitt waren Ferdinand Möller, Karl Buchholz und Bernhard A. Böhmer offiziell mit der „Verwertung“ beschlagnahmter Kunstwerke betraut. „Es ist heute müßig, ein redliches Motiv gegen den Profit abzuwägen“, sagt Hoffmann.

Er genießt es, Propaganda für die deutsche Kultur zu betreiben

Die Aufarbeitung von Biografien wie die von Hildebrand Gurlitt sei ein Element, um dem System des Nationalsozialismus auf die Spur zu kommen. „Mich interessiert, wie Menschen, die eigentlich einen ganz anderen Lebensweg eingeschlagen hatten, vom NS-System korrumpiert wurden“, sagt Meike Hoffmann. „Was hat Menschen wie Gurlitt zu ihrem Handeln bewogen?“ Um das zu klären, brauche es den Blick nicht nur für Details, sondern auch auf den Zeitgeist einer Epoche.

Bei Hildebrand Gurlitt etwa spiele eine durch Friedrich Nietzsche geprägte Kunstideologie eine wichtige Rolle: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist das Verständnis der Deutschen als Kulturnation, in der die einfache Bevölkerung durch Kunst gestärkt und „erhoben“ werde, in der progressiven Künstlerszene weit verbreitet. Eine Idee, die auch Hildebrand Gurlitt begeistert und die sich während des Ersten Weltkriegs bei dem jungen Kunststudenten verfestigt.

Nach einem Einsatz an der Westfront wird der Kriegsversehrte Gurlitt zur „Kulturarbeit“ an die Ostfront versetzt: in den litauischen Teil des vom sogenannten Oberbefehlshaber Ost verwalteten Besatzungsgebietes. Der baltischen Bevölkerung soll er dort – im Auftrag der Presseabteilung des Militärs – „die deutsche Leitkultur“ vermitteln. „Diese Zeit ist eine wichtige Lernphase für Gurlitt. Er genießt es, Propaganda für die deutsche Kultur zu betreiben“, sagt Meike Hoffmann. Mit gerade 30 Jahren wird Gurlitt 1925 schließlich Museumsdirektor in Zwickau. Ganz bewusst habe er sich eine von Arbeit und Industrie geprägte Gegend ausgesucht, um dort eine Sammlung moderner Kunst aufzubauen, sagt die Wissenschaftlerin. Innerhalb kürzester Zeit lässt Gurlitt die Museumsräume renovieren, strukturiert die Sammlung um und organisiert Veranstaltungen zur Vermittlung moderner Kunst. „Bei den fortschrittlichen Museumsleitern in Deutschland hat das enormen Eindruck gemacht“, sagt Hoffmann. Aber es gibt auch Gegenwind: 1930 wird der Druck des konservativen Bürgertums zu groß, und Gurlitt wird entlassen. Obgleich ein beruflicher Rückschlag, erfährt Hildebrand Gurlitt für sein Ausscheiden große Anerkennung. Er sei der erste, der für die Avantgarde habe ein Opfer bringen müssen, schreibt ihm ein Museumsdirekter anerkennend.

Sein Ruf als Verfechter der Moderne und seine guten Kontakte in die deutsche Kunstszene verschaffen dem nunmehr 36-Jährigen wenig später den Posten als Geschäftsführer des Hamburger Kunstvereins. Hier ereignet sich, woran sich Gurlitts Freunde und Kollegen Jahrzehnte später, als das NS-Regime längst überstanden ist, gerne erinnern werden: Der Kunsthistoriker Gurlitt zeigt sich politisch. Als Hitler am 1. Mai 1933 den „Feiertag der deutschen Arbeit“ ausruft und Deutschlands Städte zum Hissen der Hakenkreuz-Flagge aufgerufen werden, macht Gurlitt nicht mit. Ein Protest gegen das Regime? Ein Versäumnis? Seine Absichten ließen sich heute nicht mehr eindeutig klären, sagt Meike Hoffmann. „Er hat sich in Briefen an seinen Bruder als ,nicht politischen Menschen’ beschrieben. Trotzdem hat er die politischen Entwicklungen natürlich interessiert verfolgt. Und das mit wenig Wohlgefallen.“ So oder so: Die leere Fahnenstange am Hamburger Kunstvereinshaus hat Konsequenzen. Schon kurze Zeit später muss Gurlitt auch diesen Posten räumen.

Das Geschäft ist profitabel und Gurlitt tüchtig

Ende 1935 wechselt er endgültig auf den Kunstmarkt. Noch liegt der Schwerpunkt seines Hamburger Kunstkabinetts auf der Moderne. In den kommenden zwei, drei Jahren wird er auch von den erstarkenden Nationalsozialisten dafür zunehmend kritisiert. Parallel dazu werden die 1935 erlassenen „Nürnberger Rassengesetze“ umgesetzt. Für Hildebrand Gurlitt wird es nun gefährlich. Mit einer jüdischen Großmutter gilt er als „Vierteljude“. „Briefe belegen, dass er für sich offenbar keine andere Möglichkeit sah, als in den Kunsthandel mit dem NS-Regime einzusteigen“, sagt Meike Hoffmann. „Die Nationalsozialisten hofften auf Devisen, deshalb konnten sich Kunsthändler mit jüdischer Herkunft noch eine gewisse Zeit in einer Grauzone bewegen.“

Das Geschäft ist profitabel und Gurlitt tüchtig: Aus dem Beschlagnahmegut „Entarteter Kunst“ erwirbt er bis 1941 knapp 4000 Werke. Danach agiert er von Paris aus im Großauftrag für das geplante „Führermuseum“. Aus dem Verfechter der deutschen Moderne ist da längst ein Kollaborateur und Profiteur des Nationalsozialismus geworden.

Adolf Hitler und Joseph Goebbels 1938 im Depot „Entartete Kunst“ im Viktoriaspeicher in Berlin.
Adolf Hitler und Joseph Goebbels 1938 im Depot „Entartete Kunst“ im Viktoriaspeicher in Berlin.

© Andreas Hüneke, Postdam

Nach Kriegsende – als Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins ist Gurlitt bereits 1947 wieder in Amt und Würden – unterstützt er die Alliierten bei der Herkunftsrecherche der Werke für das „Führermuseum“. Geht es um seine Privatsammlung, zeigt Gurlitt ein anderes Gesicht. „Hier legte er falsche Schenkungsurkunden vor oder leugnete, dass Werke seiner Sammlung aus besetzten Gebieten stammen“, sagt Meike Hoffmann. In den Wirren der Nachkriegszeit werden Gurlitts Angaben nicht ausreichend geprüft. So kommt es, dass der NS-Kunsthändler Gurlitt 1950 von den Alliierten als rechtmäßiger Besitzer seiner Sammlung anerkannt wird.

Zumindest bei einem Teil der Sammlung geschieht das zu Unrecht. Erst nach der vollständigen Aufarbeitung des „Schwabinger Kunstfundes“ wird sich herausstellen, in wie vielen Fällen Gurlitt von Zwangsverkäufen für seine private Sammlung profitierte. Die Provenienzforschung aber ist aufwendig: Von den mehr als tausend beschlagnahmten Werken aus der Münchener Wohnung konnte für zunächst knapp die Hälfte ein Verdacht auf NS-Raubkunst nicht ausgeschlossen werden. Bei bislang elf Bildern ist die Herkunft mittlerweile eindeutig geklärt. Mühsam rekonstruieren die Experten heute, was die Nationalsozialisten und ihre Händler bei dem Geschäft mit der Kunst zu verschleiern suchten, werten Ausstellungskataloge, Kaufbelege und Hinweise auf den Werken aus. Daran, dass für diese Arbeit Fachkräfte ausgebildet werden, hat Meike Hoffmann großen Anteil: 2011 richtete sie am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität das weltweit erste akademische Ausbildungsprogramm zur Provenienzforschung ein.

BUCHVORSTELLUNG

Meike Hoffmanns und Nicola Kuhns Biografie mit dem Titel „Hitlers Kunsthändler: Hildebrand Gurlitt (1895-1956)“ erscheint Anfang März. Am 15. März präsentieren die Autorinnen ihr Buch gemeinsam mit Professorin Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien, im Verlagshaus des Tagesspiegels am Askanischen Platz 3, 10963 Berlin-Kreuzberg. Weitere Informationen und Anmeldung ab Ende Februar im Internet unter www.tagesspiegel.de/Salon

Annika Middeldorf

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