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Darstellung einer Tänzerin in reicher Tracht auf einem Gefäß aus dem Gräberfeld von Sopron-Burgstall in Ungarn. Das Gefäß befindet sich im Naturhistorischen Museum in Wien.

© Wolfgang Sauber/Wikicommons, CC by-sa

Wissen: Große Frauen machen Geschichte

In den mächtigen Hügelgräbern der frühen Kelten wurden nicht nur Männer bestattet, fanden Prähistorikerinnen heraus.

In großen Hügelgräbern haben die Menschen der frühen Eisenzeit ihre Toten bestattet – in Mitteleuropa betrifft das die Epoche um 800 bis 450 v. Chr. In den Grabstätten finden sich oft wertvolle Beigaben aus Gold und anderen exotischen Materialien, die von der Macht der Bestatteten zeugen. „Keltenfürsten“ nennt die Forschung diese reichen Toten, doch nähere Untersuchungen decken auf: Auch viele Frauen wurden damals aufwendig begraben.

In dem 100-Seelen-Dorf Vix im Norden Burgunds lag mehr als zwei Jahrtausende lang ein Schatz: ein Gefäß aus Bronze, so groß wie ein Mensch, samt den reich verzierten Henkeln 208 Kilogramm schwer und mit einem Fassungsvermögen von 1100 Litern. Der Krater, wie solch ein Gefäß in der Archäologie genannt wird, war eine von vielen wertvollen Beigaben in einem Hügelgrab des 5. Jahrhunderts v. Chr., das im Jahr 1953 entdeckt wurde, etwa 2500 Jahre nach der Errichtung des Grabes. Die Wissenschaft ordnet das Prunkgrab von Vix der sogenannten westlichen Hallstattkultur zu. Den antiken Autoren waren die Menschen in diesem Gebiet als Kelten bekannt.

Die bestattete Person trug einen Halsreif aus purem Gold und weitere Halsketten. Statuetten und Amphoren aus Italien und Griechenland zeugen von weitreichenden Handelsbeziehungen, die die Menschen damals schon gepflegt haben müssen. Wer könnte die Person gewesen sein? Vieles deutete schon damals auf eine Frau hin. Doch bis in die 1980er Jahre mutmaßten Forscher, es handele sich um einen männlichen Priester, womöglich einen Transvestiten. Heute steht fest: Die Bestattete war mit Sicherheit eine Frau.

Viel ist über sie nicht bekannt, aber sie muss zweifellos an der Spitze der frühkeltischen Gesellschaft gestanden haben. Die Priesterin von Vix, wie die unbekannte Tote auch genannt wird, widerspricht den Annahmen der bisherigen Forschung: Denn bisher ging man von dem aus der Ethnologie stammenden „Big Men“-Theorem aus, demzufolge es zumeist charismatische Männer waren, die sich die Führungspositionen der frühkeltischen Gesellschaft erstritten.

„Das Modell des alten Fürsten, der die Macht besaß, muss überdacht werden.“

Doch gab es auch „Big Women“? Dieser Frage gehen Christin Keller und Katja Winger am Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität nach. Beide forschen zur Hallstattkultur, die sich in der Eisenzeit vom heutigen Nordfrankreich über Deutschland bis in den Osten Österreichs und den nördlichen Balkan erstreckte. Christin Keller hat eine umfassende Anzahl von Grabbefunden untersucht und Informationen über das Geschlecht und den sozialen Status der Bestatteten gesammelt: „Ich habe alle aussagekräftigen Datensätze mittels statistischer Verfahren ausgewertet, und es stellte sich heraus: Auch im bisher wenig erforschten Ost-Hallstattraum gibt es sehr reich ausgestattete Frauengräber.“ Für die Wissenschaftlerin steht damit fest: „Das Modell des alten Fürsten, der die Macht besaß, muss überdacht werden.“

Diesen Befund nahmen die Archäologinnen zum Anlass für eine Tagung, zu der kürzlich Wissenschaftler aus ganz Europa an die Freie Universität kamen. In 16 Vorträgen stellten sie ihre Forschung zu den Geschlechterrollen in der Antike vor. Es ging dabei nicht nur um die frühen Kelten im Hallstattraum: So analysierte ein Religionswissenschaftler von der Freien Universität Berlin die Frauenfiguren in Homers Odyssee, während ein Wissenschaftler der Klassischen Archäologie von der Universität Frankfurt am Main darüber referierte, ob der griechische Amazonen-Mythos einen realen Hintergrund gehabt haben könnte.

Im kommenden Jahr erscheint der Tagungsband, der klar festhalten wird: Der Frau der Eisenzeit muss eine größere gesellschaftliche Rolle zugesprochen werden als bisher. „Die sozial- und kulturwissenschaftlichen Modelle müssen weiterentwickelt werden, um die Geschlechterrollen in all ihren Facetten abzubilden“, erklärt Christin Keller. Ebenso wichtig sei es, in Zukunft bei der Erforschung der Gräber mehr naturwissenschaftliche Methoden einzusetzen. So habe sich die Grabungsmethodik in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert, sagt Christin Keller. Doch die moderne Paläogenetik halte noch viele Erkenntnisse bereit. Sie analysiert einen Bruchteil des Erbguts, die sogenannte mitochondriale DNA, mit der mütterliche Verwandtschaft nachgewiesen werden kann. Das erlaube wertvolle Rückschlüsse auf die Sozialstruktur der prähistorischen Gesellschaften.

Jonas Huggins

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