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Weltpolitik in Dahlem: Am 26. Juni 1963 fuhr John F. Kennedy vor dem Henry-Ford-Bau der Freien Universität vor. Der US-Präsident sprach dort nach seinem Auftritt vor dem Schöneberger Rathaus.

© Joachim G. Jung

Im Gespräch mit John Kornblum: Kennedys Vermächtnis

Zum 100. Geburtstag von John F. Kennedy fand am gleichnamigen Institut der Freien Universität eine Festveranstaltung statt. Auch eine Fotoausstellung erzählt vom Leben und der Zeit des "American Visionary".

Jugendlicher Charme, begnadete Rhetorik und ein Hauch Glamour: Der charismatische US-Präsident John F. Kennedy ist unvergessen. Am 29. Mai wäre er, der im November 1963 durch ein Attentat jäh aus dem Leben gerissen wurde, 100 Jahre alt geworden. Das John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität, das sich wenige Tage nach Kennedys Tod nach ihm benannt hatte, nahm den Geburtstag zum Anlass, das Vermächtnis seines Namensgebers zu reflektieren.

Für John Kornblum, viele Jahre Spitzendiplomat und während Bill Clintons Präsidentschaft US-Botschafter in Berlin, ist Kennedys Geschichte die einer bemerkenswerten Kehrtwende in der amerikanischen Außenpolitik. Eingeleitet worden sei sie mit der sogenannten Friedensrede, die Kennedy zwei Wochen vor seinem berühmten Berlin-Besuch vor Absolventen der American University in Washington, D.C. gehalten hatte: „Ich spreche vom Frieden als dem rationalen Ziel rationaler Menschen“, hatte der 35. US-Präsident dort gesagt. Bei der Geburtstagsfeier im John-F.-Kennedy-Institut wurden diese Worte zu neuem Leben erweckt: Der Schauspieler Caspar Phillipson, Darsteller des US-Präsidenten im Film „Jackie“, trug die Rede vor: mit ikonischer Frisur und dickem, amerikanischem Akzent.

Mit der Friedensrede streckte er den Sowjets die Hand entgegen

Die Friedensrede wurde berühmt. In ihr hatte Kennedy den Sowjets die Hand entgegengestreckt: „Von den vielen Eigenschaften, die unsere beiden Länder gemein haben, ist keine stärker als unsere gemeinsame Abscheu vor Krieg.“ In der Hochphase des Kalten Krieges und ausgesprochen von einem Präsidenten, der noch zwei Jahre zuvor die gescheiterte Invasion in die kubanische Schweinebucht zu verantworten hatte, sei das in der Rede formulierte Bekenntnis zu Deeskalation und Frieden bahnbrechend gewesen, sagte Kornblum in seiner Festrede: Schließlich hatte eine harte Haltung gegenüber der Sowjetunion dem charismatischen Senator gerade erst zu seinem knappen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen verholfen. „Er war der Ansicht, dass man den Russen auf der ganzen Welt entschieden entgegentreten müsse“, sagte Kornblum und verwies auf die damalige Unterstützung der Amerikaner für pro-westliche Konfliktparteien in Algerien, Laos und Vietnam.

Kennedy im Blick: Der ehemalige US-Botschafter John Kornblum neben der Büste des früheren US-Präsidenten im John-F.-Kennedy-Institut.
Kennedy im Blick: Der ehemalige US-Botschafter John Kornblum neben der Büste des früheren US-Präsidenten im John-F.-Kennedy-Institut.

© Jonas Huggins

Erst als durch die Kubakrise die Welt nur Minuten von einem Atomkrieg entfernt war, habe Kennedy einen Kurswechsel eingeleitet. Dieser Wandel in der US-Politik werde oft unterschätzt, sagte Kornblum. „Kennedys größte Leistung war es tatsächlich, die Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion eingeleitet zu haben.“ Damit habe er Grundstein für Willy Brandts Ostpolitik gelegt.

Bundeskanzler Konrad Adenauer sei skeptisch gewesen; er hätte eine konfrontativere Haltung der Amerikaner bevorzugt. Das sei ein Grund gewesen, weshalb Kennedy am 26. Juni 1963 Berlin besuchte. Dort hielt er vor den begeisterten Massen zwei Reden, eine vor dem Schöneberger Rathaus, die andere am Henry-Ford-Bau der Freien Universität in Dahlem. „Der Berlin-Besuch sollte das klare Bekenntnis der USA zu Deutschland demonstrieren“, berichtete Kornblum.

Kennedy hätte die USA aus Vietnam zurückgezogen, meint John Kornblum

Ob es Parallelen zwischen Kennedy und dem amtierenden Präsidenten gebe, der kürzlich die 100-Tage-im-Amt-Schwelle überschritten hat? Für die Wissenschaftler vom John-F.-Kennedy-Institut drängte sich bei einer anschließenden Podiumsdiskussion ein Vergleich auf: Beide Präsidenten hatten bei den Wahlen entscheidende Unterstützung aus dem sogenannten „Coal Country“ erhalten, also von der Arbeiterschaft in der damals wie heute prekären Wirtschaftsregion West Virginias. Das zeigten auch Ausschnitte aus Dokumentarfilmen von 1961 und 2017, die anlässlich der Festveranstaltung gezeigt wurden.

John Kornblum hielt es jedoch für eine verfälschte Wahrnehmung, dass die Zeiten heute turbulenter seien als in den sechziger Jahren. Tatsächlich sei Kennedys Präsidentschaft eine kurze Periode der Stabilität in einer ansonsten tumultartigen Ära gewesen. „Ich muss immer etwas lächeln, wenn junge Menschen beklagen, wie schlimm es heute in den USA zugeht.“ Er richtete sich an die Studierenden im Publikum: „Niemand von euch hat erlebt, was der Vietnamkrieg mit unserer Gesellschaft gemacht hat. Er hat uns völlig auseinandergerissen.“ Es sei bedauerlich, dass Kennedy heute vor allem mit diesem Krieg in Verbindung gebracht werde. Denn der Präsident hätte, da war sich der Botschafter sicher, die USA in den nächsten Jahren aus Vietnam zurückgezogen. Wäre er am Leben geblieben.

Fotoausstellung am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien

Kultur, Geschichte, Soziologie, Literatur, Wirtschaft und Politik – die sechs Abteilungen des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien (JFKI) der Freien Universität geben die Perspektiven vor, aus denen dort forschend und lehrend auf die USA und Kanada geblickt wird. Das Institut, das 1963 zunächst als Amerika-Institut gegründet wurde, wurde wenige Tage nach Kennedys Tod umbenannt. Die institutseigene Bibliothek ist die europaweit größte zur Region Nordamerika.

Neben Bachelor- und Masterstudiengängen bietet das JFKI ein strukturiertes Promotionsprogramm an: die Graduate School of North American Studies wird seit 2006 im Rahmen der Exzellenzinitiative gefördert. Wie ist der wirtschaftswissenschaftliche Kanon an US-Elite-Universitäten entstanden? Wie charakterisierte Gertrude Stein ihre Romanfiguren? Sind Filmfortsetzungen unkreativ? Diese und andere Forschungsfragen werden aktuell am JFKI untersucht.

Die Fotoausstellung „American Visionary: John F. Kennedy's Life and Times“ von Michelle Logsdon, Kulturattaché der US-Botschaft in Berlin, ist montags bis freitags von 9 bis 20 Uhr im JFKI zu sehen (Lansstraße 6-7, 14195 Berlin).

Jonas Huggins

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