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Theaterprojekt im Gefängnis: Ein Stück Freiheit hinter Gittern

Eine Wissenschaftlerin der Freien Universität forscht zu Theaterprojekten in mexikanischen Jugendgefängnissen.

Angewandtes Theater hat viele Facetten: Es dient als pädagogisches Mittel an Schulen, als Selbsterfahrungsraum in Kliniken oder als Resozialisierungsinstrument in Gefängnissen. „Entscheidend ist, dass die Projekte sich an eine klar definierte Zielgruppe wenden, eine vorab formulierte Wirkung bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erzeugen möchten und daher häufig nicht die Aufführungen, sondern die Prozesse während der Proben im Vordergrund stehen“, sagt Janina Möbius. Die promovierte Theaterwissenschaftlerin und Romanistin forscht in dem vom europäischen Forschungsrat geförderten Projekt „The Aesthetics of Applied Theatre“ zu Theaterprojekten in mexikanischen Jugendgefängnissen.

„Ni trabaja, ni estudia“ – weder Arbeit, noch Studium. Die „Nini“-Generation, so werden die zahlreichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen genannt, die keinerlei Zugang zum Bildungswesen oder dem Arbeitsmarkt haben. Das lateinamerikanische Land ist gezeichnet von organisierter Drogenkriminalität, Gewaltexzessen und extremer sozialer Ungleichheit. „Die Jugendarbeitslosigkeit in Mexiko ist erschreckend hoch, viele leben in großer Armut“, sagt Janina Möbius.

Die jungen Menschen treffe die Lage im Land besonders hart. Sie würden Opfer von Gewalttaten, stünden vor einem Leben ohne Perspektive und soziale Aufstiegschancen und ließen sich in die Kriminalität treiben, sagt die Wissenschaftlerin: „Sich einer Bande anzuschließen, wirkt auf manche wie eine Möglichkeit, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Früher oder später landen diese jungen Menschen dann im Gefängnis.“

Seit 2013 begleitet Möbius Inhaftierte und ehemalige Insassen mexikanischer Jugendgefängnisse mit und ohne Kamera. Aus ihrer Forschungsarbeit wird ein Dokumentarfilm entstehen. „In den ersten eineinhalb Jahren war ich immer wieder vor Ort, habe aber nicht gefilmt“, sagt Janina Möbius. „Mir war wichtig, zunächst ein Vertrauensverhältnis zu den Jugendlichen aufzubauen.“

Zudem seien die Drehbedingungen schwierig. Bestimmte Abläufe im Gefängnis dürften nicht gezeigt werden, Genehmigungen müssten immer wieder von Neuem eingeholt und minderjährige Straftäter im Film anonymisiert werden.

Zu ihrem ungewöhnlichen Forschungsthema kam die Wissenschaftlerin durch einen Zufall. Als sie im Mai 2013 nach Mexiko reiste, wollte sie eigentlich zu präventiver Theaterarbeit mit marginalisierten Jugendlichen forschen. Vor Ort erzählten ihr Bekannte von der theaterpädagogischen Arbeit in den Jugendgefängnissen von Mexiko-Stadt. Das dortige Jugendjustizsystem hat sich nach einer umfassenden Reform stark gewandelt. Anfangs folgte man einer reinen Bestrafungsidee, inzwischen wird versucht, Resozialisierungsmaßnahmen zu ergreifen.

In fünf von sechs Einrichtungen können sich seitdem junge Straftäter auf der Bühne erproben. Häufig werden Klassiker wie Shakespeares „Romeo und Julia“ und „Was ihr wollt“ gespielt. Das Ziel sei, „nicht immer nur zum Thema Gewalt und Gefängnisbiografie zu arbeiten, sondern den Jugendlichen auch andere Lebenswelten und -realitäten aufzeigen“, sagt Janina Möbius.

„Die Projekte sind sehr unterschiedlich, jede Inszenierung muss sich an die Rahmenbedingungen des jeweiligen Gefängnisses anpassen“, erklärt die Theaterwissenschaftlerin. Trotz begrenzter Möglichkeiten ringe das Theater dem restriktiven System Gefängnis Freiräume ab: „Es bietet den Teilnehmern einen Weg, über sich nachzudenken, sich wahrzunehmen und zu lernen, sich zu äußern. Gerade in kabarettistischen Aufführungen und im Improvisationstheater gibt es kathartische Momente für die inhaftierten Jugendlichen, in denen sie ihre Not artikulieren können.“

Auch gefängnisinterne Hierarchien würden im Theaterspiel ganz neu verhandelt. Dennoch lasse sich der Widerspruch zwischen Gefängnisumgebung und freier Kunst nicht auflösen, sagt Möbius: „Das Theater ist eigentlich ein Schutzraum, in dem man sich frei entfalten können sollte. Dem steht entgegen, dass die Jugendlichen nicht immer aus völlig freien Stücken an diesen Projekten teilnehmen. Zudem verfolgen zumindest die Initiatoren des Gefängnistheaters einen klaren erzieherischen Anspruch – etwa, dass dort sozialverträgliche Subjekte geformt werden sollen. Das sind zwei Ansätze, die sich kaum miteinander vereinbaren lassen.“

Es sind diese politischen und sozialen Implikationen, die Janina Möbius am angewandten Theater faszinieren. Bei einer Inszenierung der Passionsspiele, aufgeführt in einem der von ihr besuchten mexikanischen Jugendgefängnisse und initiiert von der Kirche, seien die unterschiedlichen Interessen der Initiatoren, der Institutionen, der Theatermacher und der Häftlinge klar herausgekommen.

Allen positiven Aspekten des Gefängnistheaters zum Trotz bleibe zu fragen, wie den Jugendlichen auf längere Sicht geholfen werden könne. „Die mexikanische Gesellschaft bietet diesen jungen Menschen wenig Perspektive“, sagt Janina Möbius. „Man könnte provokant fragen, in welches Gefüge hinein die Jugendlichen eigentlich resozialisiert werden sollen.“

Nora Lessing

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