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Klein, aber oho! Der Stich und das Entfernen einer Zecke sind unangenehm – und in manchen Regionen Deutschlands auch gefährlich: Durch den Speichel können Krankheiten wie Lyme-Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis übertragen werden.

© Patrick Pleul/dpa

Veterinärmedizin: Neue „Mensa“ für Blutsauger

Veterinäre der Freien Universität entwickeln für die Erforschung von Impfstoffen ein verbessertes Fütterungssystem für Zecken.

Sie sind eine Plage für Wildtiere, Rinder, Hunde und arglose Spaziergänger. Einmal angedockt, krallen Zecken sich fest und lassen von ihrem Opfer freiwillig erst ab, wenn sie sich vollgesogen haben. Mit etwas Pech hinterlässt das Spinnentier dabei Bakterien, einzellige Parasiten oder Viren, die mit ihrem Speichel durch die Einstichstelle in den Blutkreislauf des Wirts gelangen.

Lyme-Borreliose und Frühsommer- Meningoenzephalitis (FSME) sind die bekanntesten Krankheiten, die man sich durch Zecken einhandeln kann. „Inzwischen sind mehr als 200 Pathogene bekannt, die von Zecken übertragen werden“, sagt Ard Nijhof vom Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin in Düppel. „Wir finden bis zu sechs unterschiedliche Erreger im winzigen Darm einer befallenen Zecke.“

Um die Übertragungswege aufzuklären und Impfstoffe zu entwickeln, benötigen die Forscher manchmal bis zu 1000 Zecken. Deren Laborzucht funktioniert aber nur, wenn die kleinen Biester gut genährt sind – mit Blut versteht sich. Zwar gibt es schon seit Längerem ein künstliches Fütterungsverfahren, doch es ist arbeitsintensiv und längst nicht so effizient wie die natürliche Nahrungsaufnahme. Daher setzt man Zecken oft noch auf ihre vierbeinigen Wirte – Kaninchen oder Mäuse. „Den Nagern werden Röhrchen mit Zeckenlarven in den Käfig gelegt. Die finden dann selbst ihren Weg. Nach ein bis zwei Tagen setzt man die Mäuse auf ein Gitter über eine Wasserschale, die vollgesogenen Zecken fallen ab und werden herausgefischt“, erläutert Nijhof. Bei Kaninchen kommen kleine Tüten mit Zeckenlarven zum Einsatz, die über die gut durchbluteten Ohren gestülpt und festgeklebt werden. Ist das mit dem Tierschutz vereinbar? Nijhof nickt. „Zeckenbefall gibt es ja auch in der Natur. Die Zahl der Blutsauger pro Tier darf nur nicht zu hoch sein.“ Ein Verzicht auf Fütterung an Säugetieren und ein künstlicher Ersatz seien jedoch wünschenswert, zumal Blut – speziell Rinderblut – in jedem Schlachthof als Abfallprodukt anfalle.

Das erste künstliche Fütterungssystem habe es schon 1912 gegeben, sagt Nijhof. „Damals spannte man eine Tierhaut über ein angewärmtes Röhrchen mit Blut und setzte die Zecken darauf.“ In den 1990er Jahren ersetzten Schweizer Wissenschaftler die Haut durch eine Silikonmembran. Nijhof und sein Team arbeiten seit drei Jahren im Rahmen eines durch das Bundesforschungsministerium geförderten Projekts daran, diese Methode zu verbessern. Die neue „Zecken-Mensa“ besteht aus einem Glasröhrchen, dessen eines Ende mit einem silikonbeschichteten Cellulose-Vlies oder Pergamentschicht bespannt ist. Je zehn Zeckenmännchen und -weibchen finden an dem so gedeckten Tisch Platz. Das andere Ende wird mit einem luftdurchlässigen Deckel verschlossen. Dann wird die Fütterungskammer in ein Gefäß mit Rinderblut gesetzt.

Zecken stellen hohe Ansprüche an Blut

Bisher musste das Blut zweimal am Tag ausgetauscht werden – auch am Wochenende. „Bei einer von uns entwickelten Methode wird es in regelmäßigen Abständen aus einem gekühlten Reservoir an die Fütterungskammer gepumpt, erwärmt, und fließt dann in ein Auffanggefäß ab“, erklärt Doktorand Christoph Krull. Ab und zu wird die Kammer angehoben, und die „Essensreste“ werden mit physiologischer Kochsalzlösung abgespült.

Blut ist ein ganz besonderer Saft. Das im Labor servierte ist noch spezieller, denn Zecken stellen hohe Ansprüche. Kaltes Blut? Nein, danke! In freier Wildbahn spaziert ihr Essen schließlich auch körperwarm daher. „Da wir das Blut auf 37 bis 38 Grad Celsius erwärmen müssen, verdirbt es leicht, denn bei diesen Temperaturen wachsen Bakterien und Pilze bestens darin“, erläutert Nijhof. Also werden kleine Mengen Antibiotika und Antimykotika zugefügt sowie Heparin, damit das Blut nicht gerinnt. Der Arzneimittel-Cocktail zerstört jedoch die Darmflora der Zecken und führt zu einer Verringerung ihrer Fruchtbarkeit.

Mit Blut allein ist es aber nicht getan. Damit die Mahlzeit von den Zecken angenommen wird, muss das „Ambiente“ stimmen. Für angenehme Fressatmosphäre sorgen ein Haarextrakt, der den Geruch eines Wirts verströmt, hohe Luftfeuchtigkeit sowie rund fünf Prozent Kohlendioxid in der Kammer. Das Gas gaukelt den Zecken den Atem des Wirts vor. „Es steigert das Fixieren und Saugen sowie ihr Vollsauggewicht“, sagt Nijhof. Zusätzlich werden „Appetizer“ gereicht: Glucose und der Energieträger Adenosintriphosphat (ATP) machen das Blut noch schmackhafter. Besonders entspannt schlürfen die Winzlinge, wenn ihre Zapfstelle überdacht ist. Daher legen die Forscher ein Fetzchen Moskitonetz auf die Hautattrappe, zum Darunterkriechen.

Auf Brachen gehen Nijhof und Kollegen auf die Pirsch nach Zecken

Um ihren Zeckenbestand aufzustocken, gehen Ard Nijhof und seine Kollegen gelegentlich selbst auf die Pirsch. Auf Brachland, etwa auf den ehemaligen Rieselfeldern in Brandenburg oder auf dem verlassenen Flughafengelände in Gatow, ist die Zeckendichte besonders hoch, weil diese feuchten Biotope auch von Wildtieren, den Wirtstieren der Blutsauger, stark frequentiert werden. „Wir nehmen ein großes Tuch, ziehen es einige Meter über die Vegetation und sammeln die Zecken mit der Pinzette ab“, erklärt Nijhof. Wie viel Blut eine Zecke braucht, hängt von Art und Entwicklungsstadium ab. Den meisten reicht je eine Mahlzeit als Larve, „Teenie“ (Nymphe) und als ausgewachsenes Tier. Der gemeine Holzbock, eine Schildzecke, ist hierzulande die häufigste der bekannten rund 900 Zeckenarten. „Das Vollsauggewicht eines adulten Weibchens liegt bei 200 bis 250 Milligramm“, sagt Nijhof. Dafür müssen sie vorher fast die doppelte Menge Blut saugen. Das überschüssige Wasser aus dieser Mahlzeit gibt die Zecke über ihren Speichel an den Wirt zurück. Die gezapfte Menge Blut reicht für die Eiablage, die innerhalb von vier Wochen erfolgt. Dann stirbt die Zecke. Ihr Nachwuchs – einige tausend hellbraune Larven, kaum größer als ein Sandkorn – schlüpft einige Wochen später. Hungrig auf die erste Blutmahlzeit.

Catarina Pietschmann

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