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Handball Champions League: Hurra, ein Gegner aus Deutschland

Seit sieben Jahren hat Tschechow in der russischen Liga nicht mehr verloren – da kommen die Füchse Berlin gerade recht

Tschechow ist ein beschauliches Städtchen 70 Kilometer südlich von Moskau. Wer es besonders beschaulich möchte, der besucht ein Meisterschaftsspiel der Tschechowskije Medwedi, der Tschechower Bären, da hat man seine Ruhe. Als sich die Mannschaft diese Woche für das Champions-League-Spiel gegen die Füchse am Sonntag warm lief und Lokomotive Tscheljabinsk, ein Team aus dem Mittelfeld der Superliga, mit 49:27 deklassierte, kamen bei freiem Eintritt 150 Zuschauer, großzügig aufgerundet. Mit der Nationalhymne vor dem Anpfiff und den leeren Tribünen wirkte die Veranstaltung eher wie eine Parodie auf großen Sport. Die russischen Medien hatten erst gar keine Vertreter geschickt.

„Wen soll das auch interessieren? Das ist doch Kindergarten!“ Geschäftsführer Alexander Arawin steht oben auf dem Pressebalkon und winkt ab. Halb amüsiert, halb missmutig schaut er auf dieses Stillleben und ist froh, wenn hin und wieder sein Handy klingelt und es etwas zu tun gibt. Als die Gastgeber schon nach 40 Minuten ihr 40. Tor erzielen, holt Arawin tief Luft: „Da sehen Sie’s, warum wir international nicht über unseren Schatten springen können. Die Mannschaft gewinnt doch nach Belieben, sie wird nicht gefordert.“ Er macht eine Pause und lächelt. „Am liebsten würden wir jede Woche gegen deutsche Gegner spielen.“

Die russische Superliga ist ein schönes Beispiel dafür, dass keiner gewinnt, wenn nur einer gewinnt. Von zwölf Mannschaften haben elf nicht die sportlichen und nicht die finanziellen Voraussetzungen, um Meister zu werden. An dieser Konkurrenzlosigkeit leidet auch der einzige Klub, bei dem alles super sein könnte.

Der Eingangsbereich zur Büroetage der Medwedi in der „Olympia“-Halle von Tschechow ist mit Mannschaftspostern tapeziert. Zehn Poster für zehn Jahre, die der Klub jetzt existiert. Und für zehn Meisterschaftstitel. Die letzte Niederlage in einem Punktspiel ist sieben Jahre her, das letzte Unentschieden viereinhalb Jahre. Der Kader – nahezu identisch mit Russlands Nationalmannschaft. 18 von 21 Spielern, die der Verband für Ende Oktober zu einem Trainingslager für die EM 2012 eingeladen hat, verdienen ihr Geld in Tschechow. Umgekehrt sind Legionäre aus dem Westen im Konzept der Medwedi nicht vorgesehen. Einmal wurde die Verpflichtung des Franzosen Nikola Karabatic erwogen. Als das Finanzielle bereits geklärt war, sprach sich Trainer Wladimir Maximow im letzten Moment gegen den Transfer aus.

Maximows Wort ist Gesetz. Nicht nur, dass der 65-Jährige einst selbst Kapitän der sowjetischen Nationalmannschaft und Weltklasse im Rückraum war. Er gilt auch als gewiefter Taktiker. Mit der russischen Auswahl, die Maximow mit kurzer Unterbrechung seit 1993 betreut, hat er alle wichtigen Wettbewerbe gewonnen. Zweimal war Russland unter ihm Weltmeister (1993, 1997), einmal Europameister (1996). Und der Olympiasieg von Sydney 2000 ist bis heute das einzige olympische Gold der Russen in den Ballsportarten. Der einzige Titel, der Maximow noch fehlt, ist der Gewinn der Champions League. Dauerteilnehmer Tschechow schaffte es 2010 zum ersten Mal überhaupt ins Final Four, verlor allerdings beide Spiele.

In Russland hat Maximow neuerdings aber nicht mehr nur Befürworter. Er müsse auch die Verantwortung für den Absturz der jüngsten Zeit übernehmen, sagen Kritiker. Für die diesjährige WM hatte sich Russland gar nicht erst qualifiziert und selbst bei den letzten beiden Europameisterschaften nur noch zweistellige Plätze belegt. Zu mächtig sei der Trainerpatriarch geworden, heißt es oft, vor kurzem hat er zumindest seinen Posten als Generaldirektor des russischen Handballverbandes abgegeben. Und die Tschechower Bären als verkappte Nationalmannschaft? Die Wohlstandsinsel im Handball-Krisengebiet vergrößere das Leistungsgefälle immer weiter, schimpfen manche. Sogar Maximows Siege seien damit Niederlagen für den Sport.

Der Gescholtene will sich für die Dominanz seiner Mannschaft indes nicht auch noch entschuldigen müssen. „Was soll ich denn machen, meine Jungs nach links und rechts verschenken?“, spottet er. In den vergangenen drei Jahren sei nur ein einziger Neuzugang von der Konkurrenz nach Tschechow gekommen, viele Spieler habe er noch im Jugendalter übernommen und an die Spitze geführt, etwa Torhüter Oleg Grams oder Rückraum-Ass Wassili Filippow. Dass der ehemalige Armeeklub aus Moskau in die Provinz umgezogen sei, wo er von der Regierung des Moskauer Landes großzügig unterstützt wird und die 2003 eröffnete „Olympia“-Halle gebaut bekam – ebenfalls seine Initiative.

Vor dem Champions-League-Auftakt gegen die Füchse sagt Handball-Legende Maximow, Medwedi könne „mit allen mithalten“, die größte Stärke sei das „Kollektivspiel“. Und auch für einen echten Heimvorteil ist diesmal gesorgt, glaubt Geschäftsführer Arawin: „Am Sonntag wird unsere Halle bis auf den letzten Platz besetzt sein, das verspreche ich Ihnen.“

Tino Künzel

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