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Kolumne: Weltbürger Riesling

Kein Land weiß so viel über diese Rebsorte wie Deutschland - aufgrund des über Jahrhunderte verfeinerten Winzerhandwerks.

Urdeutsch ist er, der Riesling. Schon die Germanen kelterten aus der Rebe eine Art Wein. Er schmeckte vermutlich nicht, aber sie waren Wirkungstrinker und nicht auf Parker-Punkte aus. Später wurde dann, wohl eher zufällig, dieser ursprüngliche Riesling von einer Unterart des Traminers fremdbestäubt. Diese neue Sorte schmeckte deutlich fruchtiger und wurde deshalb von den Mönchen des Mittelalters vermehrt. Die letzte genetische Veränderung erfuhr die „Königin der Rebsorten“ vermutlich im 17. Jahrhundert, als eine damals extrem wichtige, heute fast vergessene Sorte eingekreuzt wurde: der Heunisch. Ein Glücksgriff, denn der so entstandene moderne Riesling gilt nicht nur als Teil der deutschen kulinarischen Leitkultur, sondern als weltweit unerreicht, womöglich unerreichbar. Aber warum? Am Klima allein kann es nicht liegen, denn es gibt in der Welt viele Regionen, in denen der Riesling problemlos gedeihen kann.

Was macht den deutschen Riesling aus? Es ist wohl die Kombination aus kargen, mineralischen Böden, dem kalten Klima und dem über Jahrhunderte verfeinerten Handwerk, also der Winzertradition. Die Böden verhindern, dass die Pflanze zu sehr wuchert, statt sich auf die Traubenbildung zu konzentrieren. Da sie wenig Nährstoffe enthalten, werden die Trauben nicht zu großbeerig, das ist gut für die Feinheit, weil der Anteil der aromafördernden Schalen größer ist. Entscheidend für die Eleganz schließlich ist das kontinentale Klima mit großen Temperatur­unterschieden zwischen Winter und Sommer und vor allem zwischen Tag und Nacht - nur so bleibt die Säure in den Beeren erhalten. Denn wenn es zu warm wird, baut sich die Säure ab, der Riesling wird zu fett und verliert ein entscheidendes Qualitätsmerkmal. Es kann sein, dass sich dies in den nächsten Jahrzehnten im Klimawandel ändert, aber im Moment haben wir in den deutschen Weinbergen eine viel bessere Balance zwischen Wärme und Kälte als früher. Der betont saure Riesling, wie er in schlechten Jahren des 20. Jahrhunderts normal war, ist definitiv Vergangenheit. Und der dritte Punkt, der für den deutschen Riesling spricht, ist das gewachsene Handwerk. Kein anderes Land der Welt weiß so viel über diese Rebsorte wie Deutschland. Die Hochschule für Weinbau und Önologie in Geisenheim ist die wichtigste Institution, wenn es um unseren Riesling geht.

Bedingt durch die jahrhundertealte ­Tradition hat Deutschland auch für jede Region eine Art Geschmacksmuster entwickelt. So gilt es als terroir-typisch, dass der Rheingauer Riesling etwas karger, beinahe preußischer auftritt als ein verspielter Moselriesling, der besonders in warmen Jahren auch Südfruchtanklänge nach Mango und Ananas zeigen kann. Ob das an den Böden liegt, ist umstritten, denn die nährstoffarmen, mineralischen Böden gibt es in beiden Regionen. Die Gretchenfrage, ob es nun „das Terroir“ ist, das den Geschmack ausmacht oder doch das Handwerk, beantworten die Winzer selbst sehr unterschiedlich. Sie sagen Sätze wie: „Lass doch den Wein noch ein bisschen auf der Feinhefe liegen, dann schmeckt er wirklich wie ein Moselwein“, was eher darauf deutet, dass so etwas wie ein über Generationen „gemachter“ regionaler Geschmack existieren könnte. Aber die Wahrheit liegt wohl in der Mitte.

Der Siegeszug des Rieslings international. Eine derartige geschmackliche Referenz gibt es in den neuen Riesling-Ländern noch nicht. Und alle Versuche, sie zu definieren, dürfen als gescheitert gelten. Denn die Winzer dieser Länder schätzen die Rebe einfach wegen ihrer Eleganz und Vielseitigkeit. Sie können aus ihr einen schlanken, frischen Sommerwein machen oder eine opulente Spät- oder Auslese machen, trocken oder feinherb. Mit überreifen oder sogar edelfaulen Trauben ergibt sie vielschichtige, konzentrierte Süßweine, schmeckt aber andererseits auch als säurefrischer Sekt ganz wunderbar. Das alles ist nicht nur in Deutschland bekannt, sondern auch bei den Winzern im Elsass und im Kamptal oder in der Wachau in Österreich. Aber wie sieht es in Australien aus? Den USA? Oder gar Italien?

Australien hat sogar so etwas wie eine Riesling-Tradition, denn die Rebe wird dort seit dem 18. Jahrhundert angebaut und kultiviert. Es waren vor allem deutsche Siedler, die hier unter britischer Aufsicht für den Weinbau verantwortlich waren. Das Barossa-Tal zum Beispiel hat heute noch eine merkliche deutsche Prägung - dort wird auf über 4200 Hektar Riesling angebaut, das entspricht der gesamten Rebfläche des Anbaugebietes Nahe.

Wer nun glaubt, dass australische Weine im heißen Outback wachsen, der irrt. Im Clare Valley zum Beispiel ist es oft kälter und kontinentaler als im deutschen Baden. Auch im ­McLaren Valley gibt es Südhänge, die so vom Wind aus der Antarktis geprägt sind, dass es selbst im Hochsommer kalt ist; an den Nordhängen gleich gegenüber herrscht dagegen ­gleichzeitig brütende Hitze. Das zieht auch heute noch deutsche Winzer an. Egon Müller zum Beispiel, einer der deutschen Top-Rieslingproduzenten, dessen Trockenbeerenauslese kürzlich bei einer Auktion in Trier 12.000 Euro brachte, baut in den Adelaide Hills einen bemerkenswerten trockenen Riesling aus. Auch am anderen Ende des ­Pazifiks, im amerikanischen Bundesstaat Washin­gton, arbeitet ein deutscher Top-Winzer, nämlich Ernie Loosen von der Mosel. Er entwickelte dort mit US-Partnern einen grandiosen Riesling, den er Eroica nannte. Beide Weine sind nicht gerade günstig, zeigen aber, dass deutsches Handwerk auch auf anderen Kontinenten großartige Ergebnisse erzielen kann.

Doch nicht nur deutsche Winzer können Riesling. Das Weingut Yalumba im Barossa Valley zum Beispiel zeigt mit seinem Riesling Y, dass es Eleganz und Regionalcharme verbinden kann, und das zu einem sehr fairen Preis. Auch Chateau Ste. Michelle in Washington State stellt für unter zehn Euro einen anständigen Riesling ins Regal. In den USA liegt das gegenwärtig voll im Trend. Der begann so richtig im Jahr 2008, als eine kleine Weinbar in New York den „Summer of Riesling“ ausrief, aus dem ein weltumspannendes Netzwerk aus Sommeliers und Händlern entstand. Seitdem spielt diese Rebsorte, die quantitativ nur mit rund einem Prozent zur Weltweinproduktion beiträgt, qualitativ eine viel größere Rolle. Der Weinautor Stuart Pigott nennt dieses Netzwerk den „Planet Riesling“ und veröffentlichte unter diesem Titel sogar ein Buch (Planet Riesling, Tre Torri Verlag 29,90 Euro).

Vermutlich findet der Riesling-Fan in Deutschland immer noch in jedem Fall einen besser gemachten Wein für den gleichen oder sogar niedrigeren Preis - und könnte sich damit bis ans Ende seiner Tage vergnügen. Denn selbst in Prenzlauer Berg entstehen solche Rieslinge inzwischen. Aber warum sollte er das tun? Die Weinwelt ist voller Überraschungen. Wer unbedingt will, kann sich bei Belvini einen chinesischen Riesling bestellen, der zur besseren Trinkbarkeit mit Chardonnay liiert wurde. Er kann den vorzüglichen spanischen Riesling „Waltraud“ probieren, den der Mega-Weinmacher Miguel Torres seiner deutschen Frau gewidmet hat, er kann die Fortschritte der Südtiroler Winzer mit der schwierigen Rebe verfolgen oder versuchen, an den herausragenden „Hérzu“ der Germano-Brüder aus Piemont heranzukommen. Weltweit geht es aufwärts mit der urdeutschen Sorte, dafür steht schon Pep Guardiola. Der berühmte Fußballtrainer hat ein Geheimrezept: „Am Abend vor den Spielen trinke ich immer Riesling“.

Bernhard Moser ist Diplom-Sommelier und Genussmensch. In seiner Weinschule lehrt der gebürtige Österreicher die Kunst, Weine zu verstehen. weinschule-berlin.de

Mehr zum Thema gut Essen, Trinken & Kochen in Berlin finden Sie im Magazin "Tagesspiegel Genuss".

Bernhard Moser

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