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Trend: Daraus lass uns trinken

Ein perfekt geformtes Glas ist ... ein Transportmittel für Flüssigkeit, der Kelch, in dem ein Getränk sich erst richtig entfaltet, die Krönung feiner Tischkultur, Ausdruck hoher Glasbläserkunst, ein Must für jeden Sommelier? Sechs Designer, Hersteller und Gastronomen sagen: Es ist all das.

Wasserglas

Fließend-sinnlich in der Form, eine plissierte Welle, in Kupferfolie geprägt

Ivo Ebert, Gastgeber im „Einsunternull“

Unser Restaurantkonzept sagt: zurück zu den Ursprüngen und zum Handwerk. Dazu passt ein handgefertigtes Produkt wie dieses Wasserglas. Von Milena Kling wussten wir nur, dass sie sich mit Glas beschäftigt. Als erstes sahen wir ihre Vasen und Schalen, allesamt sehr archaisch. Und wir haben gefragt, ob sie ein Glas für uns machen würde, eines nur fürs „Einsunternull“. Eines wie keines sonstwo. Ein filigranes Glas ist von Hand nicht leicht herzustellen. Handwerk, das ist ja nicht gleichbedeutend mit grobmotorisch. Das sollte dieses Glas beweisen.

Das erste Produkt war noch zu dickwandig. Und es roch, weil es in einer gerillten Kupferfolie geprägt wird, ein wenig nach Metall. Der Prototyp, den sie dann aus einer Glashütte in Tschechien mitbrachte, war dagegen perfekt. Sieh Dir dieses Glas an: klein, fein, jedes einzelne ein Individualist.

Man bemerkt es kaum auf dem eingedeckten Tisch, und dennoch ist es so präsent. Seine Form hat nichts Aufgesetzes. Es wirkt schlicht, von handwerklichem Wert, ohne ihn vor sich herzutragen. Keines jener 80 Gläser ist wie das andere, jedes auf seine Weise unrund, eine fließende, sinnliche Form. Es ist leicht und liegt gut in der Hand. Nun passiert, was wir uns erhofft hatten: Die Gäste reagieren. Sie sind überrascht. Sie fragen, wie wird das gemacht, wo gibt es so etwas. Gut so, wir wollen ja Fragen erzeugen - mit unserem gesamten Konzept. Dieses Wasserglas ist die perfekte Aussage zum „Einsunternull“. Und, ja, man soll es demnächst auch bei uns kaufen können.

Als Ivo Ebert vom „Einsunternull“ mich ansprach, hatte ich noch nie zuvor ein Trinkglas hergestellt, sondern mich auf größere Formen konzentriert. Ich arbeite an der Grenze zwischen Handwerk und Kunst.

Der Auftrag brachte mir eine neue Freiheit zu experimentieren. Bis dahin galt mein Interesse den Möglichkeiten, Glas schon im Brennofen Farbe zu verleihen. Durch den Einsatz von Metallen sind zum Beispiel blaue oder dunkel- bis rubin­rote Töne möglich. Fürs „Einsunternull“ ging es eher um ein klares Glas mit Prägung. Denn ein anderer Schwerpunkt meiner Arbeit ist, Glas in ein Material einblasen zu lassen und ihm so eine Oberflächenstruktur zu verleihen. Dabei suche ich nicht die wuchtige Form, sondern die filigrane.

Für das Wasserglas experimentierte ich erst zusammen mit der Baruther Glashütte, mittlerweile passiert die Fertigung in Tschechien. Wir benutzen eine hauchzarte Kupferform, die zum Zylinder verschlossen wird. Zunächst waren diese Formen perforiert, für das Wasserglas aber wählte ich eine fein plissierte Welle. Die Kupferform dafür entsteht per Stempelverfahren. Der glühende Tropfen Kristallglas­masse wird in der Form aufgeblasen, die Struktur des Zylinders prägt sich ein. Das zarte Kupferblech verformt sich außerdem, während das Material eingeblasen wird. So wird das Wasserglas unrund, folgt jedes einer individuellen Bewegung und entspricht so dem Element Wasser.

Ein Glas, das sich perfekt in die Unebenheit der Handfläche schmiegt. 73 Millimeter im Durchmesser, 73 Millimeter niedrig. Als würde man das pure Wasser berühren. Ein hübscher Gedanke, nicht wahr?

Römer

Die Neuinterpretation einer aus der Mode gekommenen Form. Hohe Glasbläserkunst, perfekt für die große Performance

Hagen Hoppenstedt, Sommelier Hotel Palace

Die stieseligen alten Römer von früher mag kein Mensch mehr. Die Neuinterpretation von Hering ist schon optisch ein Erlebnis. Sehr groß, liegt schön in der Hand, die Grauunterlegung im Stiel wirkt modern, der Entstehungsprozess ist aufwendig und überzeugend. Ein Schmuckstück, eigentlich nur etwas für den Privatgebrauch, weil empfindlich. Außerdem: Um die 200 Euro pro Glas, das ist schon eine Ansage.

Tucholsky schreibt: „Schade, dass man Wein nicht streicheln kann.“ Mit einem solchen Römer komme ich der Möglichkeit aber sehr nahe: Ich streichle ihn durch die Berührung der wunderschönen Form. Auch die sensorische Qualität ist überzeugend: Der Wein entfaltet sich durch den besonderen Schwung des Kelches, mit der Verjüngung des Glases, mit der zart gekerbten Form. Der Wein wird gut belüftet und behält lange die optimale Temperatur. Das Bordeauxglas habe ich auch zu Hause. Speziell Verkostungen mache ich damit sehr gern.

Der Römer ist ein Glas, aus dem man früher den „Schoppen“ genossen hat. Wir wollten ihn wieder gesellschaftsfähig machen: eine moderne Form, höchste Handwerkskunst, aus der Wein nach heutigen Kriterien schmeckt. Perfekt für die große Performance. Der Römer ist eine Form, die absolut polarisiert, entweder man hasst oder man liebt ihn. Diese Neuinterpretation ließ alle Kritiker verstummen.

Die Produktion ist große Handwerkskunst, gefertigt in der ältesten Glasmanufaktur Deutschlands: Theresiental. Für jedes Glas stehen sieben Mann auf dem Glaspodest; Kelch und Fuß werden gleichzeitig geblasen, um dann beide parallel zu „verheiraten“. Der gewellt wirkende Kelch hier ist etwas Besonderes, denn der Kolben wird, ehe er ausgeblasen ist, mit einer Stahlform geprägt. Die leichte Struktur ist tatsächlich nur im Inneren. Den grauen Fuß finde ich modisch, er passt zu einer modernen Tafel, ist farblich neutral dem Wein gegenüber.

Es gibt zwei, drei unglaubliche Weinbars, die sich diese Römer leisten. Ansonsten sind sie etwas für Weinsammler, die sich für Restaurantabende einbuchen und dort schon ihr persönliches Glas stehen haben. Noch etwas verleiht diesen Kristall-Römern etwas Festliches: der Klang beim Anstoßen. Auch das gehört heute zur Gastlichkeit.

Weißwein- & Burgunderglas

Ein kurzer Weg zum Mund, eine sanfte Bruchkante - perfekt für Verkostungen, maschinell gefertigt, super stabil

Klaus Völkner, Vertriebsleiter Deutschland des Glasherstellers Stölzle Lausitz

Die Gläser dieser Serie sind maschinell hergestellt, es gibt sie aber auch mundgeblasen. Mit Quatrophil kommen wir maschinell beinahe schon an die mundgeblasene Qualität heran. Die Stiele werden aus dem fertigen Kelch gezogen, die Bodenplatte wird an den nochmals erhitzten Stiel angesetzt. Würde der Stiel an den Kelch gepappt, kann die Kante zwar wegpoliert werden, aber es entsteht Spannung, eine mögliche Bruchstelle. Das mundgeblasene Glas ist leichter, wiegt vielleicht 150 Gramm, denn die Masse wird gleichmäßiger verteilt. Stabilität hat nichts mit Dickwandigkeit zu tun.

Unsere Intention war, ein hochstieliges Glas für die gehobene Gastronomie zu entwickeln, nicht zu kantig, nicht zu rund. Wir sind auf bleifrei geschmolzenes Kristallglas spezialisiert, möglichst bruch- und spülmaschinenfest. Die Vorarbeit des Designs übernimmt ein Team aus unserem Haus, das Feintuning passiert mit externen Experten, Winzern, Sommeliers, allesamt Vertraute. Sie bekommen Prototypen zugeschickt. So tasten wir uns ans Optimum heran.

Ein Glas ist eigentlich ein Transportmittel, eine der wichtigsten Säulen in meinem Berufsfeld - und oft unterschätzt. Man kann da viel richtig, aber auch falsch machen. Es gibt klare Kriterien: das Volumenverhältnis von Luft und Wein im Glas, der Weg zur Nase und zum Mund, die Beschaffenheit der Bruchkante.

Wir haben, ehe wir diese Serie fürs „Rutz“ anschafften, sehr viel verglichen. Natürlich spielt eine Rolle, dass sie, obwohl maschinell hergestellt, überaus stabil ist. Aber speziell das Weißwein- und das Burgunderglas benutze ich auch zum Probieren neuer Weine, weil beide Formen sehr leicht sind, gut in der Hand liegen. Der Weg des Weines zum Mund ist kurz, die Oberflächenspannung damit ­ideal. Ein Grüner Veltliner aus dem Weißweinglas, da kommt die Frucht schnell an die Nase. Die Bruchkante ist sehr dünn und leicht abgerundet, bildet keine Hürde.

Das Burgunderglas ist perfekt für Weißburgunder oder Chardonnay. Ich nutze es für Riesling und große Gewächse. Die brauchen Sauerstoff, Platz, um zu zeigen, was sie können. Beide nehme ich auch für Bier: Pale Ale aus diesem Weißweinglas, ein Stout aus dem Burgunderglas - das ist kein Stilbruch.

Mehr zum Thema gut Essen, Trinken & Kochen in Berlin finden Sie im Magazin "Tagesspiegel Genuss".

aufgezeichnet von Susanne Leimstoll

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