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Taktgeber Jos Luhukay kam als Trainer im Sommer nach Berlin und hat einem erschöpften Klub neues Leben eingehaucht.

© dpa

Bilanz zur Winterpause: Hertha ist halb oben

Am Aufstieg von Hertha gibt es immer weniger Zweifel. Nun kann der Klub schon in die Zukunft gucken. Und vielleicht hilft der Nachbar noch zu Platz eins.

Berlin - Der 1. FC Union könnte Hertha BSC einen Gefallen tun. Sollte nämlich der Zweitligist aus Berlin-Köpenick heute bei Eintracht Braunschweig nicht verlieren, darf der Zweitligist aus Berlin-Charlottenburg auf Platz eins der Zweiten Liga überwintern. Das wäre, eingedenk der blamablen Auftritten auf und außerhalb des Platzes rund um dem Abstieg im Mai sehr viel mehr, als man erwarten konnte. Aber auch so kann Hertha BSC unter Trainer Jos Luhukay auf ein äußerst erfolgreiches halbes Jahr blicken.

Hertha wird auf einem Aufstiegsplatz in die Weihnachtspause gehen. „Das ist sehr wichtig, weil wir es in der Hand haben und nicht von anderen abhängig sind“, sagte Luhukay nach dem glücklichen 2:1-Sieg gegen den FSV Frankfurt, der den Berlinern in der Hinrunde die einzige Saisonniederlage zugeführt hatte. Das war am zweiten Spieltag dieser Spielzeit der Fall, seitdem ist Luhukays Mannschaft ungeschlagen geblieben. Dabei markiert der Sieg beim Stadtrivalen Union am vierten Spieltag für Luhukay den Wendepunkt: „Im Derby haben die Jungs Selbstvertrauen und die Anerkennung der Fans gewonnen.“ Inzwischen ist Hertha seit 17 Spielen ungeschlagen.

Dass Hertha die Zweite Liga mit dem mit Abstand teuersten Kader des gesamten Spielklasse dominiert, liegt bei realistischer Betrachtung zu gleichen Teilen an der gewachsenen Stabilität und Struktur, die die Mannschaft gefunden hat, als auch am merkwürdigen Niveau der Liga. „Wir sind auf Topniveau der Liga, aber die Art und Weise der Spiele kann manchmal noch schöner sein“, gibt Luhukay zu.

Der 49 Jahre alte Niederländer will sich nicht blenden lassen von der puren Punkteausbeute. Es sind nach 19 von 34 Spielen stolze 42. Damit liegt Hertha über den vom Trainer ausgerufenen Zwei- Punkte-Schnitt, der laut Luhukay sicher für den Aufstieg reichen wird. Aber daran, dass Hertha am Saisonende die Zweite Liga nach oben hin verlassen wird, gibt es immer weniger Zweifel. Zumal der Abstand zum Tabellendritten, den 1. FC Kaiserslautern, inzwischen auch schon zehn Punkte beträgt. Zu einem Nichtaufstiegsplatz sind es sogar 13 Punkte.

Die nackten Zahlen stimmen. Jetzt sollen die Spieler mal zwei Wochen durchschnaufen und den Blick auf die Tabelle genießen, wie es der Trainer auf der samstäglichen Weihnachtsfeier sagte. „Ab dem 3. Januar werden wir wieder angreifen“, sagte Fabian Lustenberger, Herthas bester Spieler des vergangenen halben Jahres.

Bis dahin bleibt auch etwas Zeit, in die Zukunft zu schauen. Wie steht es mit der Tauglichkeit der Hertha-Mannschaft für die Bundesliga? Wie weit werden die Künste Ronnys und die wilden Taten der Talente tragen? Luhukay mag die Frage nicht, zumindest mag er darüber so lange nicht öffentlich sprechen, bis der Aufstieg unter Dach und Fach ist. „Wir müssen noch viel arbeiten“, sagt er vorsichtig. Aber wer ihn kennt, diesen akribischen und fleißigen Übungsleiter, der weiß, dass er sich gedanklich natürlich schon mit dem Thema beschäftigt. Auch die Vereinsspitze sowie die Geschäftsführung wird den Nachweis zu erbringen haben, dass die Reife und die Klasse für eine dauerhafte Bundesligazugehörigkeit vorhanden ist. Zwei Abstiege zwischen 2010 und 2012 haben Zweifel aufkommen lassen. Wie sagte Herthas Aufsichtsratchef Bernd Schiphorst noch vor wenigen Wochen auf der Mitgliederversammlung: „Hertha muss wieder ein etabliertes Mitglied der Bundesliga werden, der Aufstieg kann nur ein Etappenziel sein.“

Bei aller positiven Entwicklung scheint es gerade in dieser Spielzeit leichter zu sein, in die Bundesliga zu gelangen, als sich dort dann dauerhaft zu behaupten. Auch das wird Luhukay nicht entgangen sein, der aber erst einmal darauf verweist, dass in Pierre-Michel Lasogga, Lewan Kobiaschwili, Maik Franz, Peter Pekarik und Änis Ben-Hatira Spieler wieder zurückkehren werden, die die Mannschaft ein Stückchen stärker machen können.

Der interne Konkurrenzdruck wird in Zukunft zweifelsfrei am Schärfe zunehmen, die Zahl prominenter Spieler, die unzufrieden sind, könnte steigen. Hier wird Luhukay mehr denn je als Moderator gefragt sein. Zu Gute kommen dürfte ihm dabei seine offene und ehrliche Art. Gleich zu Beginn seiner Arbeit bei den Berlinern hat er den Spielern unmissverständlich verdeutlicht, unter welchen Bedingungen und nach welchen Regeln das bei ihm geschieht. Fast schon legendär ist seine Wutrede, die er nach der Niederlage beim FSV Frankfurt an sein Personal richtete: „Zu viele meinen, dass sie groß sind, einen Namen haben. Diesen Status können sie in die Mülltonne werfen.“

Inzwischen hat Luhukay dem Team einen neuen Geist eingeimpft, Zutrauen verliehen und einen Spielplan verpasst, der unabhängig vom Einzelnen ist. So konnten immer wieder Verletzungen und Krankheiten von Spielern kompensiert werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Luhukay mit diesem ordentlichen und punktuell noch entwicklungsfähigen Personal im Aufstiegsfall auskommen müssen. Geld für den Zukauf von Qualität wird kaum da sein. Derzeit drücken den Klub 42 Millionen Euro Schulden. Hertha ist seit Jahren bilanziell überschuldet, auch für das laufende Geschäftsjahr wird mit einem Millionendefizit gerechnet.

Zu den allgemeinen wirtschaftlichen Kalamitäten gehört der Umstand, dass der Vertrag mit dem Hauptsponsor im Sommer ausläuft. Entweder wird die Bahn ihr Engagement noch einmal ausdehnen oder aber es muss ein neuer Partner her, was ohne einen sicher einzuplanenden Bundesligaaufstieg nicht einfach wird. Hertha muss zudem darauf hoffen, dass sich der Zuschauerzuspruch in den restlichen acht Heimspielen deutlich erhöht. Nach bisher neun Heimspielen liegt der Zuschauerschnitt bei unter 34 000, geplant ist mit 38 000. Optimistisch stimmt die Verantwortlichen, dass im Frühjahr attraktivere Gegnerschaft im Olympiastadion gastiert. Erwartbare Mehreinnahmen könnten dann dafür genutzt werden, die Stundung der Stadionmiete in Millionenhöhe beim Senat zurückzuzahlen.

Der wirtschaftliche Druck könnte auch dazu führen, sich noch im Januar von Stürmer Adrian Ramos zu trennen. Voraussetzung ist, dass ein Käufer bereit ist, die von Hertha geforderte Ablösesumme zwischen vier und fünf Millionen Euro aufzubringen. Ramos (6 Treffer) ist nach Ronny (9) der erfolgreichste Torschütze, der zudem schon bewiesen hat, dass er auch in der Bundesliga ein gute Rolle spielen kann. Wird der genesene Lasogga ihn verlustfrei ersetzen können? Oder muss Herthas Manager Michael Preetz darauf hoffen, dass der Königstransfer des Sommers, der Millioneneinkauf Sami Allagui, ihm den Gefallen tut und noch einschlägt?

Fragen gibt es einige für den Winter. Aber auch eine sportliche Ausgangslage, die ein ruhiges Fest verspricht.

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