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Erst Trainer Jos Luhukay brachte Hertha wieder auf Kurs - allerdings in der Zweite Liga.

© dapd

Hertha-Trainer Luhukay: Der Mann mit dem halben Lächeln

Das Etikett scheint schon beschriftet: Der nette Herr Luhukay - freundlich, klein, introvertiert, zurückhaltend und recht entspannt. Aber Herthas neuer Trainer könnte auch ganz andere Seiten an den Tag legen. Wer ihn trifft und beobachtet, entdeckt einen unter Hochspannung stehenden Akribiker

Die zweite Halbzeit geht gleich los. Ein Freundschaftsspiel Hertha BSC gegen Berliner SC, auf einem Sportplatz in Reinickendorf. Im Hintergrund sonnen sich die Hochhäuser des Märkischen Viertels, aus den Boxen dröhnt Volksfestmusik, das Ausflugspublikum steht auf den Aschelaufbahnen für Bratwurst und Zapfbier an. Nur einer nimmt das hier todernst: Jos Luhukay steht vor der bunt besprühten Umkleidebaracke, mit ausgestreckten Armen und dreht die Hüften, mal links-, mal rechtsherum. Neben ihm lauscht Sebastian Neumann, der Trainer erklärt dem Nachwuchsverteidiger, wie er sich gegen seinen wendigen Gegenspieler zu verhalten hat.

Es geht Luhukay um Details. Deshalb schreibt er auf seiner Trainerbank auch Notizen, von einem Spiel Zweit- gegen Sechstligist, das für Hertha nicht mehr ist als eine Trainingseinheit in Trikots. Nach dem Abpfiff strömen die Leute zur Bank und wollen Autogramme. Luhukay knipst plötzlich ein Lächeln an, das so lässig ist, als wären die Erinnerungsfotos seine eigenen Urlaubsbilder.

Im Zwiegespräch wirkt Jos Luhukay ebenfalls locker, oberflächlich betrachtet. Er hat seinen nur 1,67 Meter großen Körper in einen Ledersessel geworfen, die Beine übergeschlagen, einen Arm über die Lehne gelegt und lächelt. Aber die weißen Zähne zeigt er nie so ganz unter der schnauzbartbesäumten Oberlippe, es ist ein halbes Lächeln. Und auch die scheinbar lockere Pose wird von solch einer Körperspannung gehalten, dass er eine Viertelstunde unbewegt so sitzen kann, bevor er die Position wechselt.

Er duzt Menschen sofort, aber schaut ihnen selten direkt in die Augen und wahrt die Distanz. Luhukay, seit einer Woche Hertha-Trainer, ist ein Mischwesen: Er hat das locker-freundliche Auftreten, das vielen Niederländern zugeschrieben wird, und die misstrauische Selbstbeherrschung, die viele deutsch nennen würden. „Deutsch oder holländisch, darüber rede ich nicht gerne“, sagt der 48-Jährige, der seit fast 20 Jahren auf der anderen Seite der Grenze arbeitet. Seine Stimme ist ruhig und warm, nur der holländische Dialekt lässt sie gelegentlich ausschlagen. „Wichtig ist eine Philosophie, die den Menschen Freude macht und den Spielern Spaß bereitet.“

Was Luhukay damit meint, ist auf dem Platz so zu sehen: Der frühere Mittelfeldspieler, ein begnadeter Techniker, macht alles vor, jede Fußgelenkdrehung, fast jede Einheit findet mit Ball statt. Er lasse auch schon mal zum Takt von Musik trainieren, berichten ehemalige Spieler, trotzdem sei man danach konditionell fit wie nie zuvor.

Luhukay bezeichnet sich selbst als Straßenfußballer. Der Sohn eines indonesischen Einwanderers von den Molukken und einer Holländerin schnappte sich früher „nach jedem Essen den Ball, um auf der Straße zu spielen“. Wenn er über Fußball in all seinen Details redet, wird seine Stimme schneller und lauter, er spricht gerne darüber und ungern über anderes. „Ich bin von klein auf nur mit Fußball beschäftigt gewesen und das ist in meinem Alter immer noch so.“

Bemerkenswert: Bei Hertha geht es plötzlich wieder um Fußball.

So weit das Selbstverständliche – und eigentlich Bemerkenswerte bei Hertha BSC: Es geht um Fußball, endlich wieder. Keine Schlammschlachten um Vieraugengespräche und private Geschichten, keine Versprechungen vom Pokalfinale und oberen Bundesligadrittel, keine Goethe-Zitate und Einladungen beim Außenminister. „Das Sportliche ist das Entscheidende, ich habe mich nicht für Berlin entschieden, sondern für den Klub Hertha“, sagt Luhukay. „Dass die Stadt toll ist und viel zu bieten hat, davon werde ich nicht viel mitbekommen.“ Das Trainingsgelände, ahnt man, wird er selten verlassen.

Ohnehin bezeichnet sich Luhukay nicht als Großstadtmenschen. Privat radelt er gerne mit dem Mountainbike durchs Grüne, sein Lebensmittelpunkt ist seit fast 50 Jahren das beschauliche Venlo an der deutschen Grenze, wo er mit seiner Frau und seinen Kindern lebt.

Luhukays Aussagen erscheinen ehrlich-sachlich. Klar, er hat den Aufstieg als Ziel ausgeben, aber er sagt auch: „Dass die Mannschaft nach sechs Wochen Vorbereitung topfit sein und die Form haben muss – darüber schmunzele ich.“ In den ersten Tagen lerne man erst einmal die Charaktere der Spieler kennen. „Die Arbeit dauert die ganze Saison, die darf man nie zurückfahren.“

Von der Abstiegssaison zu sprechen hat er den Spielern verboten, er will davon nichts hören. Luhukay will nach vorne schauen, er spricht oft von „Positivismus“, den er verbreiten will – ein selbstgebasteltes Substantiv im Deutschen. Die philosophische Strömung aus dem 19. Jahrhundert, die Erkenntnisse nur aus Nachweisen in Experimenten ableitet, meint er damit wohl eher nicht. Oder vielleicht doch. Denn Luhukay ist auch ein Experiment. Funktioniert ein glamourbefreiter Fußballsacharbeiter im daueraufgeregten Berlin?

Das Etikett scheint schon beschriftet, „der nette Herr Luhukay“. Sein freundliches Auftreten, die kleine Körpergröße, seine Vita mit Stationen von Uerdingen bis Augsburg. Aber: „Er kann intern auch die Krallen ausfahren, wenn ihm etwas nicht gefällt“, sagt Andreas Rettig, der als Manager in Augsburg mit ihm zusammenarbeitete. Luhukay warf schon mal Spieler aus dem Kader, wenn sie zu spät zum Frühstück kamen. Auch in Berlin gibt es strenge Regeln. „Ich habe als Spieler immer professionell gelebt, nie geraucht, höchstens ein Bier in einem halben Jahr getrunken“, sagt der chronische Frühaufsteher Luhukay. „Ich stehe für Ernsthaftigkeit und Professionalität.“ Und lacht dann plötzlich wie das kleine Kind von den Straßen von Venlo, als er auf seinen Schnurrbart angesprochen wird. „Den behalte ich, ich werde mich nicht verändern.“ Auch nicht in Berlin. Wie gesagt, es ist ein Experiment.

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