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Lewan Kobiaschwili, 35, spielte in der Bundesliga für Freiburg und Schalke. Ende 2009 wechselte der Georgier zu Hertha BSC und stieg am Saisonende ab. Auf den direkten Wiederaufstieg folgte der erneute Abstieg nach dem Skandalspiel in Düsseldorf.

© Imago

Interview: Lewan Kobiaschwili: "Ich habe die Spiele runtergezählt"

Am 31. Dezember endet die siebenmonatige Sperre von Lewan Kobiaschwili. Der Hertha-Spieler spricht im Tagesspiegel-Interview über die schlimmste Zeit seiner Karriere.

Herr Kobiaschwili, haben Sie zu Silvester eine große Party geplant?

Das nicht, aber ich freue mich auf Silvester. Ich freue mich jedes Jahr darauf, weil das immer ein schöner Tag ist. Aber diesmal ist die Freude noch ein bisschen größer. Es ist gut, dass 2012 endlich vorbei ist. Das war nicht mein Jahr – und auch nicht das von Hertha BSC.

Am 31. Dezember endet Ihre fast siebenmonatige Sperre. Haben Sie schon ein Maßband, von dem Sie jeden Tag einen Zentimeter abschneiden?

Nein, ich habe auch keine Kreuze gemacht oder im Kalender die Tage abgestrichen. Ich habe nur die Spiele runtergezählt, die ich verpasse. Jetzt sind wir endlich bei null.

Sie haben ein halbes Jahr nur trainiert. Können Sie realistisch einschätzen, wie gut Sie im Moment sind?

Das ist schwierig. Bei den ersten Freundschaftsspielen in der Vorbereitung wird es bestimmt ein bisschen komisch sein. Zumindest vermute ich das. Aber genau weiß ich das nicht, weil ich noch nie so lange weg war. Sieben Monate ohne Fußball, das war die schlimmste Zeit meiner Karriere. Andererseits: Pierre-Michel Lasogga hat nach seinem Kreuzbandriss genauso lange gefehlt wie ich. Ich bin gesund, ich habe immer trainiert. Das heißt, zumindest bin ich fit.

In Ihrer Abwesenheit hat sich Fabian Holland auf Ihrer Position etabliert. Können Sie überhaupt noch den Anspruch auf einen Stammplatz erheben?

Generell kann man ja nicht sagen: Nur weil ein anderer Spieler auf meiner Position gut gespielt hat, habe ich keine Chance mehr. Aber ehrlich gesagt, mache ich mir darüber noch gar keine Gedanken. Ich weiß selbst, wie alt ich bin und dass meine Karriere dem Ende entgegengeht. Aber bei Jos Luhukay zählt nur: Welcher Spieler passt hier und heute am besten in die Mannschaft?

Können Sie der Mannschaft noch etwas geben?

Natürlich, und der Trainer weiß das auch. Es liegt allein an mir. Ich habe mit Sicherheit keine Bonuspunkte, weil ich 15 Jahre Bundesliga gespielt habe. Die will ich auch gar nicht haben. Ich habe noch von keinem Trainer Geschenke bekommen; wenn ich gespielt habe, dann weil ich das verdient hatte.

Haben Sie das Gefühl, dass sich Ihre Position innerhalb der Mannschaft verändert hat, weil Sie ein halbes Jahr außen vor waren?

Ich habe ganz bewusst versucht, meiner Rolle weiterhin gerecht zu werden. Ich habe immer meine Meinung gesagt. Und ich habe im Training gezeigt, dass ich zur Mannschaft gehöre. Ich war immer vorne dabei, weil mir klar war, dass ich es mir nicht erlauben kann, hinterherzulaufen. Wichtig war auch, dass der Trainer mir nie das Gefühl gegeben hat, ein Spieler zweiter Klasse zu sein – obwohl es für ihn nicht immer leicht war. Es gab Situationen, da hatten wir 21 Feldspieler auf dem Platz, der Trainer wollte aber zehn gegen zehn spielen. Jos Luhukay hat mich nie vom Feld geschickt, lieber hat er mit einem Mann mehr gespielt.

Wie frustrierend war die Zeit für Sie?

Nach außen hin habe ich versucht, stark zu sein. Innerlich sah es manchmal anders aus. Ich liebe den Fußball, das ist mein Leben. Es hat einfach etwas gefehlt. Es gab auch Tage, da wollte ich nicht zum Training fahren, weil ich mich gefragt habe: Wozu eigentlich? Aber wenn wir aufsteigen und ich noch mal in der Bundesliga spielen darf, bin ich glücklich. Auch wenn es nur ein einziges Spiel sein sollte, hat es sich schon gelohnt.

War es besonders schlimm, wenn die Mannschaft ins Trainingslager gefahren ist und Sie zu Hause bleiben mussten?

Im Grunde war das einzig Positive: Ich habe noch nie so viel Zeit mit meiner Familie verbracht, vor allem nicht am Wochenende. Meine Frau und meine beiden Kinder waren jedenfalls sehr glücklich. Wir haben alles Mögliche unternommen, haben Ausflüge gemacht, sind ins Tropical Island gefahren. Inzwischen kenne ich das ganze Berliner Umland. Und ich habe meinen Bootsführerschein gemacht. Das wollte ich immer schon. Ich liebe das Wasser, und jetzt hatte ich endlich die Zeit dazu. Das ist nichts Weltbewegendes, aber ich habe etwas Neues gelernt. Navigation zum Beispiel hat mich sehr interessiert.

Wie haben Sie Herthas Spiele erlebt?

Das war nicht leicht. Ich habe im Olympiastadion immer etwas seitlich vom Spielertunnel auf der Tartanbahn gestanden. Ich würde nicht sagen, dass ich mit anderen Gefühlen zugeschaut habe. Aber ich habe zum ersten Mal richtig gemerkt, was Hertha den Fans bedeutet, wie sehr sie mit uns leiden. Vorher wusste ich das gar nicht, weil ich immer auf dem Platz stand. Manchmal war das schon anstrengend, vor allem wenn es nicht gut gelaufen ist.

"Welche Chance hätte ich denn schon vor Gericht gehabt?"

Sie sind im Juli 35 geworden, waren ein halbes Jahr gesperrt. Hat es Sie überrascht, dass Hertha Ihnen in dieser Zeit trotzdem einen neuen Zweijahresvertrag angeboten hat?

Das war eine tolle Geste, weil der Verein damit gezeigt hat, dass er mir glaubt und hinter mir steht. Aber Hertha weiß auch, dass ich nach dem ersten Abstieg auf viel verzichtet habe, als ich hier geblieben bin und gesagt habe: Ich will mit dem Verein zurück in die Bundesliga.

Mit 35 kann man seine Karriere eigentlich auch guten Gewissens beenden …

Vielleicht, aber das war schon eine bewusste Entscheidung weiterzumachen – weil ich so nicht aufhören wollte. Ein solches Ende habe ich nicht verdient.

Sie sind ein halbes Jahr gesperrt worden, weil Sie Schiedsrichter Stark nach dem Relegations-Rückspiel in Düsseldorf geschlagen haben.

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Ich habe Wolfgang Stark nicht absichtlich geschlagen. Es gab ein Gedränge, ich bin in diesem Tumult von hinten geschubst worden und dann auf ihn gestürzt. Ich bin später auch zum Schiedsrichter in die Kabine gegangen, habe ihm alles erklärt. Er wollte es nicht hören. Ich habe es ein zweites Mal versucht. Aber er ist bei seiner Meinung geblieben.

Moment! Sie sagen, Sie seien unschuldig, haben aber in zwei Verfahren Ihre Schuld zugegeben. Zum einen vor dem DFB-Sportgericht …

… ja, weil ich sonst ein oder zwei Jahre Sperre bekommen hätte – und dann wäre meine Karriere tatsächlich vorbei gewesen …

… und jetzt auch noch vor der Staatsanwaltschaft in Düsseldorf, die die Anzeige von Wolfgang Stark gegen Sie verfolgt hat. Wie wollen Sie das jemandem schlüssig erklären?

Wenn der Schiedsrichter sagt, ich hätte ihn geschlagen und sein Linienrichter das bestätigt – welche Chance hätte ich denn da vor Gericht gehabt? Um eine Strafe wäre ich sowieso nicht herumgekommen. Jetzt ist das Ganze wenigstens vorbei.

Otto Rehhagel hat Sie als fairsten Spieler seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Hat Ihnen diese Aussage am Ende sogar geschadet?

Nein, warum? Ich will mich auch nicht selbst bewerten, aber es kann ja nicht sein, dass sich von einem Tag auf den anderen mein Charakter komplett verändert hat und ich ein durch und durch schlechter Mensch geworden bin. Wenn ich zudem in der Lage wäre, was mir vorgeworfen wird, wäre ich in dieser Hinsicht mit Sicherheit auch vorher schon einmal negativ aufgefallen.

Sie sind immerhin in der Rückrunde zweimal vom Platz gestellt worden.

Und daraus schließen Sie, dass ich in der Lage wäre, auf einen Schiedsrichter einzuschlagen? Ich bitte Sie! Das kann man nicht alles miteinander vermengen, man muss jeden Fall einzeln betrachten. In Köln bin ich von Lukas Podolski provoziert worden, aber ich habe nicht Rot gesehen, sondern nur Gelb-Rot.

Aber in Leverkusen …

… habe ich für eine Notbremse Rot bekommen, ja. Das war ein ganz normales Foul, falls überhaupt. Wenn ich wirklich so ein schlechter Mensch wäre, hätte ich nach dieser Roten Karte erst recht auf den Schiedsrichter losgehen müssen. Aber ich habe kein einziges Wort gesagt, bin einfach vom Feld gegangen – weil ich Sportler bin und die Entscheidung akzeptiert habe. Wissen Sie, dass ich nach dem Relegationsspiel der einzige Hertha-Spieler war, der zu den Düsseldorfern in die Kabine gegangen ist? Ich habe jedem Spieler und dem Trainer die Hand gegeben und ihnen zum Aufstieg gratuliert. Sie haben sich das verdient.

Kann es nicht auch sein, dass Ihnen der drohende Abstieg extrem zugesetzt hat? Dass Herthas Absturz Sie so sehr belastet hat, dass Sie einfach die Nerven verloren haben?

Nein, ich bin leider vorher schon zweimal abgestiegen, einmal mit Hertha, einmal mit Freiburg. Das ist Schicksal. Genauso, dass diese Geschichte in Düsseldorf passiert ist. Die Stadt ist immer noch so etwas wie meine zweite Heimat. Ich habe in meiner Zeit bei Schalke sieben Jahre in Düsseldorf gelebt und bin fast jeden Tag am Stadion vorbei gefahren – ausgerechnet da passiert so etwas. Aber, mein Gott, es ist passiert. Ich kann es nicht mehr ändern.

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