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Eine Frau im Männerladen: Die BSR-Chefin Vera Gäde-Butzlaff

© Mike Wolff

Ex-BSR-Chefin Vera Gäde-Butzlaff: Eine exzellente Bilanz

Siebeneinhalb Jahre war Vera Gäde-Butzlaff Chefin der Berliner Stadtreinigungsbetriebe. Jetzt soll sie nach Tagesspiegel-Informationen Vorstandsvorsitzende der Gasag werden. Hier lesen Sie ein Porträt, das zu ihrem Abschied bei der Gasag erschien.

Wenn Vera Gäde-Butzlaff morgens nach dem Aufstehen aus dem Fenster schaut und feststellt, dass es in Strömen regnet, überlegt sie nicht als Erstes: Was zieh’ ich bei diesem Wetter an? Nein, sie denkt: Das wird wieder ein schwerer Tag für meine Leute... Sie lächelt fast verlegen, als sie das erzählt, aber es ist wohl typisch für diese Frau – die leichte Verlegenheit und das, was sie erzählt und wie sie es erzählt. Vera Gäde-Butzlaff ist Vorsitzende des Vorstandes der Berliner Stadtreinigung, der BSR. Am 15. Dezember wird sie 60 Jahre alt, und zum 31. Dezember gibt sie ihren Posten auf. Nicht, weil sie sich mit 60 reif für den Ruhestand fühlt, sondern weil sie noch einmal was Neues machen will. Wohl nicht wieder einen operativen Job wie diesen, mit 5300 Mitarbeitern in einem Unternehmen, das einen Jahresumsatz von fast einer halben Milliarde Euro macht und in dem Zwölf-Stunden-Tage die Regel und nicht die Ausnahme sind. Vielleicht etwas Beratendes, das kann sie sich vorstellen, mehr will sie nicht sagen.

Bis sie kam, war die BSR ein Männerladen

Sie geht im Guten. Obwohl die Stadt voll ist von Geschichten darüber, wie Finanzsenator Nußbaum als Vorsitzender von Aufsichtsräten agiert, verliert sie darüber kein Wort. Muss sie auch nicht, die Bilanz, die sie nach zwölf Jahren im Vorstand der BSR vorlegen kann, ist exzellent. Vera Gäde-Butzlaff übergibt ihrer Nachfolgerin Tanja Wielgoß ein Unternehmen mit einem glänzenden Ruf.

Im Januar 2003 hatte sie bei der BSR die Verantwortung für Abfalllogistik und Abfallentsorgung übernommen, 2004 kam die Straßenreinigung dazu, damit war sie für alle operativen Dienstleistungen der Berliner Stadtreinigung zuständig. Seit Februar 2007 ist sie Vorstandsvorsitzende. Dass man beim Klang der Abkürzung BSR heute eher positive Assoziationen hat – ältere Berlinerinnen und Berliner erinnern sich, dass das mal ganz anders war – , dass das Unternehmen für Nachhaltigkeit steht, dass die Müllgebühren für die normalen Berliner vergleichsweise moderat sind, dass die BSR nicht mehr als postsozialistische Wärmestube des alten West-Berlin gilt, sondern als Vorzeigebetrieb, das hat viel mit Gäde-Butzlaff zu tun, auch wenn sie schon wieder verlegen lächelt, wenn man darüber spricht.

Die BSR war ein klassischer Männerladen, bevor sie in den Vorstand kam. Müll ist außerhalb des Abfalleimers in der Küche nichts für Mädchen, lautete die Devise, und dieses Lebensgefühl hatten nicht nur die Müllmänner verinnerlicht, sondern auch diejenigen, die für die BSR in den Gremien zuständig waren – natürlich Männer. Als Vera Gäde-Butzlaff im Herbst 2002 immer noch keine Reaktion auf ihre Bewerbung hatte, ahnte sie wohl, dass es da eine Geschlechterhürde geben könnte. Sie ließ mal nachfragen, ob sich denn auch Frauen beworben hätten. Ja, erfuhr sie über drei Ecken, eine sei dabei gewesen, eine sehr qualifizierte sogar, aber eine Frau in dem Job, das ginge nun mal nicht.

Sie kann ganz schön stur sein

Geht doch, dachte sie – und gab sowohl der Anteilseigner- als auch der Arbeitnehmerseite in den Entscheidungsgremien einen Hinweis auf ihre Bewerbung. Man ahnt, dass sie auch ganz schön stur sein kann. Das half, die Sturheit und das Nachfragen. Ihre Qualifikation kam ja nicht von ungefähr. Von 1998 bis 2002 war sie im sachsen-anhaltinischen Ministerium für Raumordnung, Landwirtschaft und Umwelt tätig, erst als Ministerialdirigentin, dann als Staatssekretärin. In dieser Zeit lernte die Frau, die zuvor vier Jahre Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) gewesen war, alles, was man über Umweltgefährdungen, Müllentsorgung und Abfallwirtschaft wissen musste. Die DDR-Chemieindustrie um Bitterfeld und Wolfen hatte dem Land Sachsen-Anhalt dramatische Lehrbeispiele dafür hinterlassen, wie der Mensch die Umwelt ruinieren kann.

Als sie nach Berlin kam, wusste sie also nicht nur, was Sache ist, aus der Arbeit als Staatssekretärin kannte sie auch alle Kolleginnen und Kollegen auf Bundes- und Landesebene, war somit bestens vernetzt. Und dass in Berlin nach der Richter- und Politikerlaufbahn ein Job in der richtigen Wirtschaft an die Reihe kommen würde, das gefiel ihr besonders.

Es scheint ohnedies zu ihrer Wesensart zu passen, dass sie mit ziemlicher Neugier und Zähigkeit gerne neue Dinge lernt und Spaß daran hat, perfekt zu sein – man darf denen, die einen empfohlen haben, keine Schande machen, nennt sie das, das klingt sehr bürgerlich, und bürgerlich, bescheiden bürgerlich, war auch ihr Elternhaus. Das prägt. Aber man muss auch rechtzeitig wechseln, hat sie gelernt, bevor die Routine anfängt, alles andere zu beherrschen, bevor das sich immer wiederholende Tagesgeschäft die Neugier erstickt. Sie war 19, als sie nach dem Abitur in Wolfsburg – im elterlichen Bad Gandersheim gab es kein Gymnasium – in Berlin 1973 das Jurastudium aufnahmen. Eine aufregende Zeit sei das damals gewesen, 1968 hatten die Studentenunruhen begonnen, und im Vergleich zu Bad Gandersheim hatte die Stadt halt was. Man darf sich vorstellen, dass Vera Gäde-Butzlaff auch sehr fröhlich sein kann.

Ohne ihren Mann wäre es so nicht gegangen, sagt sie

Berlin ist ihr Lebensmittelpunkt geblieben, nach Frankfurt an der Oder pendelte sie genauso wie nach Magdeburg. Die Bewerbung um die BSR-Stelle hatte dann wohl auch etwas damit zu tun, dass sie endlich wieder Wohn- und Arbeitsort gemeinsam haben wollte, mit der Tochter, und dem Mann, einem Lehrer, der in den Jahren vor 2003 der ruhende Pol der Familie hier in Berlin gewesen ist. Ohne den wäre es nicht gegangen, sagt sie.

 Auf den Betriebshöfen hielt sie ihre Morgenpredigten

Den Müllwerkern scheint gefallen zu haben, wie sie ihren neuen Job anging. Ihre Lebensmaxime hat sie nicht als Spruchweisheit an die Bürowand gehängt, die versucht sie zu leben. Es hört sich so an: „Man muss Wertschätzung haben für das, was man macht. Man muss Respekt haben vor der Arbeit der Menschen. Und man muss sich diesen Respekt verdienen. Ich habe gleich am Anfang eine Mülltour mitgemacht. Eine ganze, und keine bequeme. Und eine Reinigungstour habe ich auch mitgemacht“. Ob sie da das berühmte BSR-Stoßfegen gelernt hat? Rumgesprochen  hat sich das jedenfalls schnell, dass die Neue nicht aus Zucker ist. Und dann hat sie ihre Morgenpredigten gehalten, auf den Betriebshöfen, morgens um fünf. Dass man ein Mikro richtig vor den Mund halten muss, lernte sie dort. Und laut sprechen. Und kurze Sätze. Klartext. Das mochten die Leute. Die Frage, ob Frauen anders führen, erübrigt sich da. Dass es unter den Berliner Unternehmenschefinnen ein Frauennetzwerk gibt, wird nicht dementiert, aber es ist ganz informell, man tauscht sich aus, und es funktioniert, weil keine darüber spricht. Vermutlich hätte es kein Mann hinkriegt, dass es bei der BSR heute menschelt. Dass Männer mit Frauen zusammen arbeiten, hat den Ton des Miteinanders verändert.

Der Ton, das Miteinander, diese Dinge waren auch wichtig in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Zum Ende des 20. Jahrhunderts drohte die Privatisierungswelle kommunaler Betriebe auch die BSR zu erfassen. Damals wurde verkloppt, was heute, nach mehr als zehnjährigem Lernprozess, mühsam wieder unter die Fittiche der Kommune zurückgeholt wird. Das alles war vor der Zeit von Vera Gäde-Butzlaff, aber sie hat ziemlich klare Ansichten zum Thema Privatisierung: „Die Müllentsorgung darf der Staat nie ganz aus der Hand geben, kleine Gemeinden müssen einen Weg der gemeinsamen Verantwortung finden, und selbstverständlich können auch kommunale Unternehmen wirtschaftlich handeln“.

 Heute hat die BSR rund 5400 Mitarbeiter

Gäde-Butzlaffs Vorgänger im BSR-Vorstand fädelten einen Deal mit dem Senat ein. Sie versprachen, selbst das Geld zu erwirtschaften, das beim Verkauf der BSR in die öffentlichen Kassen geflossen wäre – 800 Millionen Mark schätzte man. Diese Summe nahm die BSR als Kredit auf, überwies sie ans Land und tilgte den Betrag über fünf dreijährige Effizienzperioden. Im Moment ist das Unternehmen in der letzten, der fünften. In diesem Zeitraum wurde das Unternehmen deutlich effektiver und gewinnorientierter beim Geschäft mit der Wirtschaft. Für die Müllentsorgung der Privathaushalte gilt hingegen, dass die Gebühren kostendeckend sein müssen, aber nicht gewinnbringend sein dürfen. Und dann war da noch das Problem des Personalüberhangs, wie bei allen öffentlichen Unternehmungen, die nach der Wiedervereinigung der Stadt aus dem Ost- und dem Westteil zusammen geführt werden mussten. 1990 hatten beide Entsorger zusammen 11.500 Mitarbeiter. Heute sind es 5400.

Bis zum Mauerfall kam der Müll in den Osten, weg war er. Dachte man, stimmte aber nicht. Heute noch saniert die BSR die großen Deponien in Brandenburg aus der Vorwendezeit. Das Gas aus der Biovergärung im Werk in Ruhleben treibt die Müllwagen an, so spart man den teuren Dieseltreibstoff. Fast ist es so wie bei der Sero, den Sekundärrohstoffverwertern der untergegangenen DDR: Die BSR verwertet alles, Rohstoffe gehen an Recyclingfirmen, in so genannten MPS, Mechanisch-Physikalischen Stabilisierungsanlagen, entstehen aus Restmüll Pellets, mit denen man heizen kann – eine der MPS wird zusammen mit dem privaten Entsorger Alba betrieben. Nachhaltigkeit – dieses Zauberwort hat in der Ära Gäde-Butzlaff  eine alles überwölbende Bedeutung gewonnen.

"Wir können stolz sein. Es ist eine Gemeinschaftsleistung"

Wie sieht ihre persönliche Bilanz aus? Sie schaut aus dem Fenster ihres Büros im ersten Stock des BSR-Hauptgebäudes in der Ringbahnstraße, zögert ein bisschen, dass sie keine großen Worte mag, weiß man. „Wir können auf eine unglaublich gute Zeit mit einer vernünftigen Entwicklung   zurück blicken, wir können stolz sein. Es ist eine Gemeinschaftsleistung. Unsere tolle Werbekampagne wirkt ja nur, weil sie die Realität wieder spiegelt“.

Was kommt für sie selbst, ab Januar? Ich reise gerne, erzählt sie, wegen der Bildung und wegen der Erholung. Für die Bildung war es zuletzt eine Reise durch den Iran und die Osttürkei. Und zur Erholung? Immer mal wieder Hawaii, sagt sie, und es klingt wie ein kleines Geheimnis, wie das Eingeständnis eines Traumes, den sie sich von Zeit zu Zeit gönnt. Warum ausgerechnet Hawaii? Gibt’s keinen Müll auf Hawaii? Doch, doch, sagt sie, und die trennen ganz gut, und alles andere bleibt offen.

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