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Im Interview spricht der Vorstandsvorsitzende der Technologiestiftung Berlin, Nicolas Zimmer, über Big Data, Industrie 4.0 und die Chancen der Digitalisierung.

© Thilo Rückeis

Interview über die Zukunft in der Industrie: "Das klingt ja erstmal ein bisschen spooky"

Mit der Industrie 4.0 steht die gesamte Industrie vor großen Umwälzungen. Nicolas Zimmer, Vorstandsvorsitzender der Technologiestiftung Berlin, prophezeit, dass sie starke Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben werden.

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Herr Zimmer, ab 2005 hat sich Berlins Industrie langsam wieder erholt. Welche Faktoren spielten bei diesem Strukturwandel eine Rolle?
Industriepolitik war nach der Wende kein politischer Schwerpunkt, was sicherlich ein Fehler war. Man hat sich am Anfang auf das Thema Dienstleistung konzentriert und erst dann verstanden, dass die Industrie für Berlin sinnvoll und wichtig ist. Später mündete das in eine gemeinsame Innovationsstrategie von Berlin-Brandenburg. Wobei die wirkliche Reindustrialisierung erst jetzt kommt: mit der Industrie 4.0.

Was unterscheidet den Industriestandort Berlin von Bayern oder Baden-Württemberg?
Berliner Unternehmen sind sicherlich deutlich kleiner als Firmen in süddeutschen Regionen, was daran liegt, dass sie sich in der Regel eher in Nischen bewegen, um wettbewerbsfähig zu sein. Wir haben natürlich große Akteure wie Siemens in der Stadt, aber eben auch kleinere Unternehmen, die ein hohes Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationspotenzial haben, weil sie hier eine gute Förderlandschaft vorfinden. Wenn man sich anschaut, welche Länder am meisten in Forschung und Entwicklung investieren, dann sind das Berlin (mit über 3 Prozent) und Baden-Württemberg. Dort kommen zwei Drittel der Mittel aus privater und ein Drittel aus öffentlicher Hand, in Berlin ist es umgekehrt.

Ist die Berliner Industrie besser ist als ihr Ruf?
In der Bevölkerung kursiert die Meinung, wir hätten gar keine richtige Industrie – so etwas kann sich auch bei Investoren niederschlagen. Dabei gibt es einen Trend: Wenn Sie agile Einheiten brauchen, um neue Themen anzugehen, dann gehen Sie nach Berlin. Hier werden neue Produkte entwickelt.

Welche Branchen oder Bereiche haben denn Zukunftspotenzial? Ist es die Pharmaindustrie, die eine Tradition in der Stadt hat? Sind es eMobility oder Energietechnologien?
Das wohl stärkste Cluster ist die Gesundheitswirtschaft, hier haben wir mit Bayer einen starken Akteur, im Bereich Mobilität sind es BMW und Bombardier. Die Elektromobilität ist aus meiner Sicht eine große Chance für Berlin, weil wir im Metropolenverkehr zeigen können, dass diese Technologie funktioniert. Auch in der Optik hat Berlin große Stärken – dieser Bereich wird in der Öffentlichkeit allerdings kaum wahrgenommen. Dabei gibt es hier hochinnovative Unternehmen, die teilweise Weltmarktführer sind. Darüber hinaus ist Berlin auch ein starker Zukunftsort, an dem Forschung, Entwicklung, Hochschulen, etablierte Unternehmen und Start-ups miteinander kommunizieren. Das ist aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Faktor für industrielles Wachstum. Und dann gibt es die Industrie 4.0. Die IT-Branche ist ja sehr stark, im Augenblick allerdings noch nicht sehr industriebezogen.

Die IT-Branche ist doch vor allem auf Dienstleistung ausgerichtet...
Jein, zutreffend ist, dass sie in Berlin sehr stark ist in Bezug auf das Consumer-Geschäft, besonders die mit Venture Capital ausgestatteten IT-Unternehmen. Die bekanntesten Beispiele sind Soundcloud, Wooga oder 6Wunderkinder, alles keine Produktion im eigentlichen Sinne ...

…und auch keine Industrie im klassischen Sinne.
Aber man kann schon Brücken schlagen, etwa bei der Frage: Was bietet das Fahrzeug von morgen seinem Fahrer, worüber wird sich ein Produzent am Markt definieren? Eine große Rolle werden dabei auch Benutzeroberflächen spielen, die in den Autos zur Verfügung gestellt werden. In Metropolenregionen setzt man zunehmend auf Carsharing. Eine Benutzeroberfläche, die mir vertraut ist, stellt in einem geshareten Auto meine Individualität wieder her: Zum Beispiel, indem ich über die Koppelung an das Smartphone meine gewohnte Musikumgebung oder meine Maps abrufen kann.

Dann könnte künftig die Software aus Berlin kommen – auch wenn Daimler seine Autos weiterhin in Baden-Württemberg produziert?
Exakt. Wenn man klassische Industrie mit Berlin verknüpfen will, dann ist die IT-Branche eine Brücke. Benutzeroberflächen, mit denen Menschen etwas anfangen können und die auch interkulturell funktionieren, lassen sich in Berlin viel besser entwickeln als in einer klassischen deutschen Stadt. Hier können sie Interaktivität in einem Umfeld testen und entwickeln, das per se schon mal internationaler ist. Das ist für die Industrie und den Markt ganz entscheidend. Eines der größten Berliner Talente ist, Technologie so zu verkaufen, dass Menschen gerne mit ihr umgehen. Deswegen ist die Consumer-Orientierung gar nichts Negatives.

Die Technologiestiftung ist am "Masterplan Industrie" beteiligt, der jetzt ungefähr Halbzeit hat. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Ich bin kein Freund von Fünf-, Zehn- oder 20-Jahres-Plänen. Die haben selten zu Prosperität geführt. Der Masterplan Industrie hat aber zunächst einmal bewirkt, dass das Thema auf die politische Tagesordnung kam. Dadurch gab es seit langer Zeit wieder einen Konsens, Projekte wie die Nachnutzung von Tegel oder die Transfer-Allianz legislaturübergreifend zu verfolgen. Nach der Halbzeit muss man das Ganze aber auch einer Revision unterziehen, weil sich die Ausgangsvoraussetzungen geändert haben.

Inwiefern?
Was wir jetzt mit der Digitalisierung erleben, wird eine komplette Disruption von einzelnen industriellen Zweigen bewirken. Darauf muss auch der Masterplan eine Antwort finden. Um Clausewitz an dieser Stelle zu bemühen: Kein Plan überlebt den Kontakt mit der Wirklichkeit.

Ist das Bewusstsein für die Bedeutung der Industrie 4.0 überhaupt schon in Deutschland respektive Berlin angekommen?
Wir wissen aus Umfragen, dass es ein diffuses Gefühl gibt bei vielen Unternehmen, die sich fragen, was ihnen diese Entwicklung bringt. Man könnte den Schluss ziehen, dass die Industrie 4.0 für Regionen ohne ein starkes produzierendes Gewerbe nicht so spannend ist. Die Chance für Berlin besteht aber genau darin, dass wir nicht viel produzierendes Gewerbe haben. Sondern mehr Raum, um Dinge sich entwickeln zu lassen. Berlin sollte diese Stärke weiter ausbauen. In Bayern werden bereits Milliardenbeträge investiert, ebenso wie in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Welche Chancen sehen Sie in der Industrie 4.0?
Der Umstand, dass das Werkstück zukünftig mit der Werksmaschine kommunizieren kann, klingt ja erstmal ein bisschen spooky. Es wird in dem Augenblick interessant, wenn es dazu führt, dass man sehr effektiv und effizient in kleinen Serien produzieren kann. So lässt sich testen, ob ein Produkt funktioniert und es sich lohnt, die Produktion auszuweiten. Sie können mit Industrie 4.0 sehr schnell den Markteintritt schaffen. Entscheidend ist nicht der Durchlauf einer vordefinierten Produktionskette, sondern die Möglichkeit, individuell aus multifunktionalen Produktionsanlagen unterschiedliche Güter herzustellen. Das hat zu tun mit dem Trend, dass die Leute immer mehr individualisierte Produktstücke haben wollen, angefangen vom Turnschuh bis zur Fahrzeugausstattung.

Wie wird die Industrie 4.0 unsere Arbeitswelt verändern?
Radikal, dabei spielt gerade im Mittelstand die Robotik eine große Rolle. Mit Leichtbaurobotern, die rund 20.000 Euro kosten, können Sie Prozesse auch in Ihrem kleinen Unternehmen maschinenunterstützt steuern. Weil diese Geräte extrem leicht anzulernen sind, brauchen Sie dafür keinen Spezialisten mehr. Der Roboter erlernt den Arbeitsablauf, indem Sie ihn am Arm führen und trainieren. Wir haben auf der einen Seite die Digitalisierung, werden für die Anwendung und den Einsatz aber vielleicht nur noch Menschen brauchen, die angelernt wurden. Klar braucht man auch Ingenieure, die den Roboter, wenn er streikt, wieder in Gang bringen, aber der Mensch steht plötzlich in einem völlig neuen Produktionszusammenhang.

Das klingt so, als ob wir dann gar keinen Fachkräftemangel mehr haben werden …
Diese Frage ist gesellschaftlich hochrelevant. Wir leben in einem Zeitalter des Spezialistentums, aber auch in einer Zeit des Amateurs. Schauen Sie mal, wie viele Leute durch die Gegend laufen und fotografieren. Der Konsument wird zum Produzenten, weil es immer mehr Tools gibt, die man auch ohne Ausbildung bedienen kann. Die Industrie 4.0 wird dazu führen, dass wir die mittlere Führungsschicht, also zum Beispiel den Vorarbeiter, nicht mehr brauchen. Er wird durch Prozessintelligenz ersetzt. Es wird eine Zweiteilung der Gesellschaft geben, die fast ein wenig an vorindustrielle Zeiten erinnert. Es gibt die "fleißigen Bienen" und die Hochqualifizierten, die auch viel "leisure time" haben, weil sie durch IT-Unterstützung Dinge leichter erledigen und ihr kreatives Potenzial plötzlich ganz woanders ausleben können, nebenbei ein Unternehmen gründen oder Bücher schreiben. Diese Arbeitswelt 4.0 wird uns vor neue Herausforderungen stellen.

Welche politischen Rahmenbedingungen sind dafür nötig?
Wir brauchen Regelungen in Bezug auf Big Data. Bisher werden die Daten in den Unternehmen gesammelt – aus Angst vor Wirtschaftsspionage. Deswegen hat Frau Wanka völlig zu Recht den "Industrial Data Space" angekündigt. Sie sagt, wir brauchen eine Cloud-Lösung, die genau diesen Daten einen sicheren Hafen bietet

Also reduzieren sich die Rahmenbedingungen auf die Infrastruktur …
Genau, auf Fragen rund um den Speicherplatz, den Breitbandausbau und die Standards für den Datenaustausch. Natürlich muss man sich auch mit Fragen der Produkthaftung beschäftigen: Wie sieht das aus, wenn jemand ein generatives Stück gefertigt hat und das fliegt einem um die Ohren? Aber der Staat muss in erster Linie Infrastruktur bereitstellen.

Sie waren in der Politik, nun sind Sie bei der TSB und haben ein Unternehmen gegründet. In welchem Bereich können Sie mehr bewegen?
Man kann unterschiedliche Dinge bewegen. Es ist ganz schwer zu sagen, was besser oder schlechter ist. In der Politik treffen Sie Grundsatzentscheidungen, etwa zur Förderpolitik. Das hat etwas Befriedigendes. Die Technologie­stiftung bewegt sich genau an der Schnittstelle zwischen Gesellschaftspolitik, Politik, Technologieunternehmen und Hochschulen. Das ist ­superspannend für jemanden wie mich, der sich gerne mit neuen Dingen beschäftigt. Dazu passt auch das Gründertum. Es macht schon einen Riesenunterschied, ob Sie einen Vortrag darüber halten, warum Risikokapital­ so wichtig­ ist, oder ob Sie selber mit VCs mal mehrere ­Funding-Runden gehabt haben. Das ist eine ­extrem spannende Erfahrung. Und das macht, neben der Tatsache, dass mir das Unternehmertum­ einfach liegt, Spaß. Das ist momentan eine sehr coole Kombination.

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