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Joachim Hunold, Gründer und langjähriger Vorstandschef der Fluggesellschaft Air Berlin.

© Air Berlin

Kolumne: Runter von der Bremse!

Das Verkehrsaufkommen in der Hauptstadt steigt, doch der Senat scheint das rundweg zu ignorieren, meint unser Kolumnist Joachim Hunold, Gründer und langjähriger Vorstandschef der Fluggesellschaft Air Berlin. Aber durch Augen verschließen löst man nicht die drängendsten Verkehrsprobleme in der Stadt.

Den Slogan "Berlin, Berlin – wir fahren nach Berlin!" haben einst Fußballfans erfunden, die ihre Mannschaft gerne im Pokalendspiel sehen wollten. Inzwischen ist er das Motto von Millionen Touristen, die alljährlich in die deutsche Hauptstadt reisen. Wenn sie mit dem Auto kommen, kann ihre Begeisterung für die Stadt allerdings schnell nachlassen. Denn auf unseren Straßen herrscht das geplante Chaos.

Dafür, dass sich das Chaos, unter dem die Einheimischen noch mehr leiden als die Besucher, nicht zufällig, sondern geplant entwickelt hat, gibt es zahlreiche Indizien. Eine der wesentlichen Ursachen ist, dass der Senat im Jahr 2006 eine Verkehrsprognose in Auftrag gegeben hat, die 2009 veröffentlicht wurde und an die man heute noch wider besseren Wissens glaubt. Immer noch kann man im Internet nachlesen, dass es Jahr für Jahr auf Berlins Straßen weniger Autoverkehr geben wird, weil die Einwohnerzahl permanent sinkt. Inzwischen weiß zwar jedes Kind, dass das Gegenteil der Fall ist – nur die Politik hat das noch nicht zur Kenntnis genommen.

Im Zuge dieser Realitätsverweigerung feiern Verkehrsverhinderungs-Projekte in der Hauptstadt weiterhin fröhliche Urstände. Ständig werden auch auf Hauptverkehrsstraßen Fahrspuren für Autos verringert und dadurch Staus provoziert, in denen Lärm und Abgase produziert werden. Nur mit Mühe erreichten beispielsweise protestierende Bürger und Institutionen, dass der Rückbau des Adlergestells zwischen Glienicker Straße und Dörpfeldstraße – einer der wichtigsten Ein- und Ausfallstraßen im Südosten Berlins – von sechs auf vier Spuren zumindest vorläufig gestoppt wurde.

Der Bundesstraße, die dort durch ein Gewerbegebiet führt, fehlt es weder an Fußgänger noch an Radwegen. Für einen Rückbau gibt es keinerlei sachliche, sondern nur ideologische Gründe. Im Haus des Verkehrssenators hat man wohl vergessen, dass die "grüne" Renate Künast bei der Landtagswahl gescheitert ist, weil sie Tempo 30 für ganz Berlin gefordert hatte.

Obwohl die Grünen mit ihrer permanenten Verbots-Forderungs-Politik inzwischen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene von den Wählern abgestraft wurden, lassen sich deren Bezirkspolitiker in der Hauptstadt wenig beeindrucken. So machte beispielsweise der Pankower Bezirksstadtrat Holger Kirchner mit der tollen Idee Schlagzeilen, ein ganzes Viertel mit 20.000 Einwohnern einen Monat lang für den Autoverkehr zu sperren. Und zwar nicht nur für den Durchgangsverkehr, sondern auch für die Anlieger.

Nur die Benutzung von Elektroautos sollte noch erlaubt sein. Ein Beschluss der Bezirksversammlung war nötig, um den Unfug zu stoppen. Sehr zum Bedauern des grünen Europapolitikers Michael Cramer, der gerne die Lieferwagen in Berlin abschaffen und durch Lastenfahrräder ersetzen möchte. Den Luxus, Mobilitätsbeschränkungen für die Bürger zu fordern, können sich womöglich nur Politiker leisten, denen ein Dienstwagen mit Chauffeur zur Verfügung steht.

Diese Kolumne erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

Joachim Hunold

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