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Blick hinter die Kulissen: Das Dach des Hotel am Zoo

© Thilo Rückeis

Reportage vom Boulevard in Berlin: Kaninchen und Ku'damm: 24 Stunden in Charlottenburg

Von frühmorgens bis spät in die Nacht: In der City West schlägt das Herz der Stadt. Wir nehmen Sie mit auf einen 24-stündigen Trip durch Charlottenburg.

6:01 Uhr Kranzlereck
Während die Sonne über der City West aufgeht, erwacht dort auch das öffentliche Leben. Man steht still und hört: jede S-Bahn, jeden Bus, jeden Lastwagen, dazwischen polternde Lieferanten – und Vogelgezwitscher aus zwei Volieren voller Sittiche im Innenhof der Hochhäuser. Man läuft ein paar Schritte und sieht: Fensterputzer, vereinzelte Jogger und erste geschäftige Menschen in Anzügen. Die, die eine Sporttasche bei sich tragen, fahren mit dem Fahrstuhl in die 14. Etage zum Fitness-First-Club. Jalousien dämpfen die einfallenden Sonnenstrahlen, die Silhouette von Gedächtniskirche, Europacenter und Fernsehturm lässt sich dahinter erahnen.

Rund ein Dutzend Mitglieder ist am frühen Morgen schon beim Steppen, Gewichtheben oder Üben mit dem Personal Trainer. Es ist ein gehobener Club, der damit gut zur City West zu passen scheint, wo neben den Touristenströmen und dem etwas schmuddeligen Bahnhof Zoo schon immer auch Exklusivität zu Hause gewesen ist. "Man möchte hier unter sich bleiben", sagt die 29 Jahre alte Club-Managerin Luisa Ruthenberg. Unter den Mitgliedern seien besonders viele Geschäftsleute, die morgens, abends oder in der Mittagspause kämen. Wellness und Entspannung stünden im Vordergrund. Und vielleicht auch der tolle Ausblick von der Laufbahn auf dem Dach, die einmal rundherum führt und den Blick auf die ganze Stadt eröffnet.

7:40 Uhr Börse Berlin
Vor ein paar Minuten ist Dieter Weigl im Ludwig Erhard Haus angekommen. Der Leiter der Handelsüberwachung hat den Rechner hochgefahren und die Zeitungen gelesen. In Kürze, um Punkt acht Uhr, geht es richtig los in der Börse Berlin, dann startet der Wertpapierhandel, und Weigl hat die wichtige Aufgabe, die Börsenpreise für die Aktien zu bestimmen: "Angenommen, jemand will Daimler-Aktien zu 100 Euro kaufen und ein anderer will sie zu 100 Euro verkaufen. Dann legt man den Preis bei 100 Euro fest."

Weigl muss aber weit kompliziertere Berechnungen anstellen und mit einem Auge auf andere Börsen schielen. Schließlich, das ist ganz wichtig, müssen die Preise immer "marktgerecht" sein, so Weigl, das gilt für alle 30.000 handelbaren Wertpapiere. Um 15.00 Uhr wird Weigl nach Hause gehen, mindestens einer seiner Kollegen aus dem Dreier-Team wird noch bis 20.00 Uhr bleiben. Denn erst dann ist die zwölfstündige Handelszeit vorbei.

8:12 Uhr Hotel Kempinski
Die Geschäfte werden noch geputzt, Schaufenster perfektioniert, erste Café-Tische zurechtgerückt. Die Baukräne am hochstrebenden Upper-West-Projekt drehen sich vor blauem Himmel, und der Verkehr auf dem Ku’damm nimmt zu. Berliner eilen zur Arbeit, erste Touristen mischen sich mit der ihnen eigenen Langsamkeit darunter. Im Reinhard’s im Kempinski wird um diese Zeit vor allem Englisch gesprochen.

Hotelgäste sitzen auf roten Polstern, Männer mit blauen Business-Hemden dominieren die Szenerie an den Tischen und am Buffet. Ihre Jacketts hängen über den Stühlen oder noch auf dem Zimmer. Schlendern doch mal Touristen von draußen herein, heißt es: "Einmal ­Pariser Frühstück, bitte!" oder: "Can I have eggs and potatoes, please?"

Der Mann, der mit einer Postkarte Geschichte schrieb

Michael Cullen
Michael Cullen

© Kai Uwe Heinrich

9:00 Uhr Steinplatz

Der Mann, der mit einer simplen Postkarte Geschichte geschrieben hat, wohnt in der Carmerstraße 1, direkt am Steinplatz, da, wo Charlottenburg heute immer noch das Charlottenburg der Sechzigerjahre ist, stiller als die an seiner einen Seite verlaufende lärmige Hardenbergstraße, verträumter als die Universität der Künste gegenüber, aber doch beidem nahe genug, um mitten im Leben zu sein.

Michael S. Cullen, geboren 1939 in New York City, wohnt seit 1968 in der Beletage des Hauses, knappe 180 Quadratmeter, vollgestellt mit 7000 oder 8000 Büchern – weshalb er auch nicht umziehen kann, wie er mit einem verschmitzten Lächeln erzählt. Um sieben Uhr morgens schaut er das erste Mal raus auf den Steinplatz, und mit einem Kaffee und einem Stück Gebäck als erstem Frühstück tut er dann zwischen acht und zehn Uhr das, was die meisten Journalisten am Morgen tun: Informationen in sich aufsaugen, die New York Times und die Washington Post online, dann den Tagesspiegel und die FAZ, und natürlich auch Spiegel Online. Das geht dann nahtlos über in das zweite, das amerikanische Frühstück, Müsli mit Quark und ein großes Glas frisch gepressten Orangensaftes.

Wir sehen uns aber im Café an der Ecke, der Filmbühne am Steinplatz, seit Generationen morgendlicher Treffpunkt der TU-Studenten, die zwischen zwei Vorlesungen eine kleine Auszeit brauchen. Da kommt Cullen ins Sinnieren: Wie traurig es ist, dass die Musikalienhandlung Bote & Bock genauso verschwunden ist wie die Buchhandlung Kiepert, und wie schön andererseits, dass das alte West-Berlin, sein Berlin, wieder zum Leben erwacht. Die Galerie c/o im Amerika Haus ist so ein stiller Triumph für den Mann, der mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde für die Folgen, die die eingangs erwähnte Postkarte zeitigte.

Die hatte er 1971 an den Aktionskünstler Christo und dessen Frau Jeanne-Claude geschrieben, mit der Anregung, den Reichstag in Berlin zu verhüllen. Fast ein Vierteljahrhundert verging, bis sie im Juni 1995 Realität wurde. Und er, der mit dieser Idee, zäh verfolgt, das Bild Berlins in der Welt mit prägte, der Visionär Michael S. Cullen, er schaut über den morgendlichen Steinplatz und sagt: Hier ist gar nichts passiert, Gott sei Dank, das ist immer noch mein Charlottenburg."

Im Flagshipstore hinter der Baustelle

Stefanie Hering
Stefanie Hering

© Mike Wolff

11:15 Uhr Hardenbergplatz

Unübersehbar ragt das Waldorf Astoria in den Himmel über der City West. Im Erdgeschoss des Luxushotels hat Stefanie Hering vor zwei Jahren ihren ersten Flagshipstore eröffnet. "Wir fühlen uns wohl", sagt die Designerin, die ihr hochwertiges Porzellan an internationale Kunden verkauft, vor allem an Spitzenrestaurants in den Metropolen der Welt von Hongkong bis Vancouver. Gerade hat Hering ihre neue Kollektion "Alif" auf den Markt gebracht, damit will sie den arabischen Raum erschließen.

Ihr Produkt ist beratungsintensiv, deswegen sei es gut, im Flagshipstore exklusive Kunden zu empfangen, um dort in Ruhe größere Abschlüsse zu machen. Vor der Tür liegen Baustellen und der Bahnhof Zoo, das Bikini Berlin und der Zoopalast sind einen Katzensprung entfernt. Der Standort erfüllt genau das, was sie in ihrem Business braucht. Eine Adresse, die international kommunizierbar ist, sie werde immer gefunden, ohne einen Straßennamen zu nennen. "Berlin, Bahnhof Zoo, Waldorf Astoria", das genügt, jeder weltweit wird ihren Laden finden. Sie habe die Architektur und die Positionierung am Ort interessiert, und nun beobachte sie mit Spannung, was um sie herum noch alles entstehen wird. Das Geld sitze nach wie vor im Westen der Stadt.

Im Geschäftsviertel rings um die Gedächtniskirche entstehe in einer zeitgemäßen, zeitgenössischen Art gerade etwas Neues, für eine ausgewählte Kundschaft: "Wir sind keine Massenlabels wie Mango oder Zara, sondern Berliner Designer – wie im Bikini mit Murkudis oder Mykita", sagt die Porzellandesignerin und nimmt einen Schluck Tee aus einer ihrer wohlgeformten Tassen.

11:47 Uhr Meinekestraße
Als die Tür sich öffnet, steht Günter Adam von seinem Schneidertisch auf und kommt nach vorn in sein stuckverziertes Atelier, das so wunderbar aus der Zeit gefallen ist wie er selbst. Adam, 80 Jahre alt, Hosenträger, Krawattennadel in Scherenform und Maßband kunstvoll um den Hals gewickelt, ist eine Institution. Seit 50 Jahren ist er der Maßschneider der City West. Zu Jubiläen bekommt er Post aus der Politik, zuletzt vom Regierenden Michael Müller.

"Als Kunden sind Politiker weniger zu mir gekommen", sagt Adam. Dafür lassen sich Banker und Manager von ihm einkleiden, genauso wie zahlreiche Prominente. Er hat eine ganze Liste, die von Harald Juhnke über Mario Adorf bis hin zu Max Raabe und Meret Becker reicht. "Ich bin für viele auch mehr oder weniger der Beichtvater." Besonders stolz ist er auf Hollywood-Star Harvey Keitel, der ihn sogar einmal nach Italien einfliegen ließ. Adam steht aber auch für den Wandel: Früher war er einer von vielen. Nun besetzt er eine Nische in einer Seitenstraße. Seinen Laden wird er vielleicht schon bald zumachen – für immer und ohne Nachfolger.

Wo sind die Promis? Ach, da

Die Paris Bar mit dem Messing-Schild für Otto Sander (rechts im Bild)
Die Paris Bar mit dem Messing-Schild für Otto Sander (rechts im Bild)

© Mike Wolff

12:30 Uhr Kantstraße

In der Paris Bar hat man die Wahl zwischen Schwarz und Weiß. Der Ober deutet auf die weiß eingedeckten Tische linkerhand und auf die schwarzen Bistrotische rechterhand. Von prominenten Gästen, von denen in Berichten über die Paris Bar immer wieder zu lesen ist, keine Spur. Gerade einmal zwei Tische sind belegt.

Das Messingschild mit Otto Sanders Namen erinnert an den verstorbenen Stammgast. Die "Plat du Jour" mundet vorzüglich, danach eine Creme Brûlée. Beim Gehen dann doch ein bekanntes Gesicht: Draußen sitzt Schauspieler Thomas Kretschmann.

13:15 Uhr TU Berlin
Gerade noch war man auf der lauten Hardenbergstraße, jetzt sitzt man in einem ruhigen, efeuumrankten Gebäude mitten auf dem Campus der TU Berlin. Draußen laufen auffallend viele langhaarige junge Männer herum, drinnen sitzen ebenso junge Männer mit Kurzhaarfrisuren. Die Männer (und wenige Frauen) hocken in winzigen Kabuffs vor großen Computerbildschirmen und tüfteln an digitalen Geschäftsmodellen. Sechs Gründerteams beheimatet das "Centre for Entrepreneurship" (CfE) auf dem Campus der TU, ein Jahr lang dürfen sie bleiben.

Leiterin Agnes von Matuschka erzählt, dass es noch einen Standort für Gründer in der Ackerstraße gibt. Der hiesige habe aber den Vorteil, dass die Jungunternehmer nah dran an den Professoren und an den Labors mit den Geräten seien. Und das Drumherum, die City West, gefällt ihnen auch. Adam Kubina, einer der Gründer von Chromesis, kommt gerade vom Mittagessen zurück. Jeden Tag geht er ins japanische Restaurant Ishin Tey. "Ist kaum teurer als die Mensa", sagt er. "Aber besser."

c/o Berlin: "Kommen Sie, ich zeige Ihnen was"

Die neue Heimat des c7o Berlin: Das ehemalige Amerika-Haus
Die neue Heimat des c7o Berlin: Das ehemalige Amerika-Haus

© Promo

14:00 Uhr c/o Berlin

Nach der Begrüßung im Foyer der Foto­Galerie c/o Berlin strebt CEO Stephan Erfurt gleich wieder Richtung Ausgang. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen was", sagt er. Vorm Amerika Haus deutet er auf die provisorische Ampel, die über die achtspurige Hardenbergstraße führt. Sie verbindet den Weg der Besucher vom c/o Berlin zum gegenüberliegenden Museum für Fotografie und der Helmut-Newton-Stiftung. Die Ampel sei ein Symbol dafür, dass etwas passiert rund um den Bahnhof Zoo, dass der neue Standort der richtige sei, dass der Bezirk mit den Ausstellungsmachern kooperiere."

"Kommen Sie, ich zeige Ihnen noch etwas": Stephan Erfurt deutet auf ein Gebäude ein paar Häuser weiter: "c/o Education" ist an der Fassade zu lesen. In der Hausnummer 19 wurden im Januar neue Räumlichkeiten angemietet. "Das haben wir dem Unternehmer Manfred Strohscheer zu verdanken", sagt Erfurt. Der Eigentümer des Hauses unterstützt das Anliegen des c/o-Teams, dort Workshops für Kinder und Jugendliche anzubieten. Auch der Bezirk komme den Galeristen sehr entgegen, sagt Erfurt. "Man will nicht nur den Kommerz, sondern die Gegend rund um den Bahnhof Zoo kulturell bereichern." Im ersten Jahr rechnet er mit 200.000 internationalen Besuchern: "Wir sind auch ein Wirtschaftsfaktor. Und fühlen uns verantwortlich für diesen Ort."

15:25 Uhr Haus Cumberland
Draußen auf dem Ku’damm sitzen die Touristen, im ruhigen lauschigen Hinterhof die Berliner. Der Weg dorthin führt durch die wunderschön restaurierten alten Kaffeehausräume im Café Grosz. Zeit für einen After Noon Tea. Der weiße Tee mit Rosenblättern wird in edlen Tassen aus Meissener Porzellan serviert. Er kommt samt kleiner Eieruhr, damit der Gast genau weiß, wie lange sein Getränk ziehen soll.

Daneben steht die Etagère mit Köstlichkeiten, die für zwei reicht. "Ich kann Ihnen den Rest einpacken lassen", sagt die freundliche Bedienung. "So, als ob Sie bei uns eine Torte gekauft hätten."

Stiefel für 749 Euro

Das neue "Bikini Berlin" am Zoo
Das neue "Bikini Berlin" am Zoo

© Promo

16:00 Uhr, Bikini Berlin

Der erste Eindruck im Bikini Berlin: ganz schön bunt. Überall Luftballon-Installationen wie auf einem Kindergeburtstag Deluxe. Der zweite Eindruck: Ganz schön leer hier drin. Angenehm leer. Center-Manager Ted Walle liefert die Zahlen zum Gefühl: In der Woche sind im Schnitt knapp 18.000 Kunden in der Mall, am Wochenende zwischen 25.000 und 30.000. "Das ist ein Plus von gut zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr", kurz nach der Eröffnung. Da sei noch Luft nach oben.

Andererseits, so Walle, "wäre es ja komisch, wenn wir das Center mit der höchsten Besucherfrequenz in Berlin wären". Schließlich unterscheidet sich das Bikini Berlin von anderen Shopping-Tempeln: "Wir sind keine klassische Mall, wir wollen uns wohlwollend abgrenzen." Das spürt man, man schlendert an Pop-up-Stores, an Läden vorbei, die es nicht an jeder Ecke gibt. Und es gibt Geschäfte, die man zwar aus anderen Vierteln kennt, die aber fürs Bikini Berlin ein besonderes Sortiment bereithalten. Bei Riccardo Cartillone etwa locken tolle dunkelrote Stiefel im Schaufenster, ihr Preis: 749 Euro.

16:40 Uhr Fasanenstraße
Mehr als 100 Galerien gibt es noch immer in Charlottenburg und Wilmersdorf, trotz des Exodus in den 1990er Jahren, als der Kiez um die Auguststraße in Mitte mehr Hipness und solventere Kundschaft versprach. Einige der Galeristen sollen inzwischen reumütig in den Alten Westen zurückgekehrt sein. Kunst ist ein gutes Geschäft, in allen Preislagen: Bei Lumas in der südlichen Fasanenstraße kaufen Kunden bezahlbare Abzüge von limitierten Auflagen bekannter Fotografen ein, richtig wohlhabende Kunstliebhaber werden schräg gegenüber fündig: Die Villa Grisebach gehört mit ihrem Angebot an Kunst aus dem 19. und 20. Jahrhundert zu den bekanntesten Auktionshäusern der Republik. Erst im November 2014 wurde ein Werk des Berliner Malers Adolph Menzel für 3,6 Millionen Euro versteigert. Vom mehr oder weniger gelungenen Schnäppchenkauf erholt man sich dann im benachbarten Café im Literaturhaus. Bei schönem Wetter im grünen Garten entfaltet der Begriff Sommerfrische seine wahre Bedeutung. Eine Oase der Ruhe und des geistvollen Gesprächs, egal ob bei Kaffee mit Torte oder beim After-Work-Getränk.

Ein Mall im Dornröschen-Schlaf

Das Stilwerk
Das Stilwerk

© Burkhard Katz

17:35 Uhr, Stilwerk

Mit architektonischem Schwung füllt das Stilwerk die Ecke zur Uhlandstraße aus. Dafür, dass es sich um ein Einkaufszentrum handelt, ist es drinnen angenehm ruhig. Gut 50 Läden präsentieren Gehobenes zum Wohnen: vom Bechstein-Flügel über die Burmester-High-End-Anlage bis zur Bulthaup-Küche. Stil darf bekanntlich etwas kosten – und so können Kunden hier leicht den Gegenwert eines Kleinwagens ausgeben. Manch einer kauft gleich eine komplette Einrichtung an einem einzigen Tag, da ist es dann auch nicht so schlimm, wenn nicht ganz so viele Besucher kommen wie woanders.

Wenn man so will, war das 1999 gegründete Zentrum schon eine "Konzept-Mall", die auf Exklusivität setzte, lange bevor an das (knapp 750 Meter entfernte) Bikini Berlin überhaupt gedacht wurde. Man könnte aber auch sagen, das Stilwerk ist inzwischen in die Jahre gekommen. Kürzlich übernahm ein neuer Eigentümer das Zentrum, der in das Erscheinungsbild investieren will. "Das Stilwerk ist aus meiner Sicht eine 'sleeping brand', die wieder geweckt werden muss", sagt der neue Center-Manager Jobst Eversmann. Ganz so wie die City West es noch vor wenigen Jahren gewesen ist.

Für das Stilwerk heißt das: Außenfassade neu gestalten, eine vollwertige Gastronomie herein- und den Empfang hinter dem altmodischen Holztresen hervorholen sowie – natürlich – Platz für Pop-up-Stores schaffen, in diesem Fall für junge Berliner Designer und Künstler. "Damit man sieht und riecht, dass es das Stilwerk Berlin ist", so Eversmann. Generell soll das Zentrum bunter und freundlicher werden und mehr Aufmerksamkeit und Neugierde erzeugen. Denn gegen wachsende Besucherzahlen hat keiner was.

Cocktails im Angesicht von Affen

Das Neni mit selbstgemachten Falafel
Das Neni mit selbstgemachten Falafel

© Promo

18:15 Uhr, Budapester Straße

Vorm Eingang des 25hours Hotel lümmelt ein Pärchen in einem imposanten, geflochtenen Nest in Birnenform. Per Lift geht es nach oben in den zehnten Stock. Rechts im Restaurant Neni könnten wir hausgemachte Falafel bestellen, mit Blick auf den Zoo. Doch die beschwingten Beats eines DJs ziehen uns nach links, hinein in die Monkey Bar, die das (fast) gleiche Panorama bietet. Die Bar heißt ja so, weil man, während man einen Cocktail schlürft, den Affen dabei zugucken kann, wie sie Bananen verschlingen. Im Übrigen kann man die Zootiere auch beobachten, während man auf der Toilette sitzt, bodentiefe Fenster im Klo machen es möglich. Ob der große Andrang auf dem stillen Örtchen daher rührt? Oder doch daher, dass die Monkey Bar – inklusive aller Außenplätze – am frühen Abend rappelvoll ist?

19:08 Uhr, Restaurant Wohlfahrts & Dressler
Martin Woelffer sitzt in seinem "zweiten Wohnzimmer", das vom Theater und der Komödie am Kurfürstendamm eingerahmt wird. Beide leitet der 51-Jährige seit 2004 – in dritter Generation. Seitdem habe sich das angestaubte Boulevardtheater erneuert, aber auch der Ku’damm. Woelffer möchte Stücke zeigen, die unterhaltsam und anspruchsvoll sind. Seine Häuser sieht er als wichtige Konstante: "Wir haben nie aufgehört, hier zu sein." Auch nicht in den 90ern, als die Zuschauer nach der Vorstellung lieber im Osten ausgegangen sind.

Einige Gäste essen draußen an den Bistrotischen zu Abend, drinnen nennt Woelffer einen strategischen Vorteil: "Unsere Lage ist auch für die Schauspieler attraktiv, hier wird man gesehen." Die Planung läuft 18 Monate im Voraus. Auch wenn es für die Spielstätten keine Sicherheit gibt, immer wieder kursieren Meldungen über Umbaupläne. Er bleibt zuversichtlich: "Die Resonanz aus der Bevölkerung und der Politik hat gezeigt, wie beliebt unsere Bühnen sind." 2014 kamen 220.000 Besucher.

20:01 Uhr Komödie am Kurfürstendamm

"Mittendrin" in der Komödie am Ku'Damm
"Mittendrin" in der Komödie am Ku'Damm

© Joachim Hiltmann

20:01 Uhr Komödie am Kurfürstendamm

Die Besucher dieses Theaters sind eine pünktliche Spezies. Die meisten Plätze sind schon seit zehn Minuten besetzt, als das Licht gedimmt wird und "Mittendrin" beginnt: ein Stück über eine ziemlich gestresste Frau jenseits der 40. Auf der Bühne stehen unter anderem Maike Bollow, die in mehreren Telenovelas mitgespielt hat, und Andreas Schmidt, der lange Dünne aus dem Film "Sommer vorm Balkon".

Das Publikum freut sich über die bekannten Gesichter, es amüsiert sich darüber, dass die Teenager-Tochter am Telefon zu ihrer Freundin sagt: "Sei froh, dass Deine Mutter aus diesem Alter raus ist." Pünktlich zum Pausenbeginn um 21.10 Uhr steht die bestellte Himbeerbowle auf den reservierten Tischchen in der Lobby.

22:20 Uhr Bahnhof Zoo
Spätestens jetzt haben sich Ku’damm und Kantstraße tatsächlich in Rennstrecken verwandelt, auf denen Autofahrer die Motoren aufheulen lassen, beschleunigen, abbremsen, etwas zum Fenster hinausbrüllen, wieder beschleunigen und davonfahren. Neben dem Stand von Curry 36 sammelt ein Mann Zigarettenreste auf, ein anderer trägt seine Habseligkeiten – einen leichten Rollkoffer und einen fast leeren Rucksack – zur U-Bahn hinunter. Im "Infopoint" neben den Bushaltestellen hat sich ein Junge zum Schlafen hingekauert.

Martin steht daneben. "Ich kann hier auch am besten schlafen", sagt der 35-Jährige, der vor Kurzem seine Wohnung verloren hat. "Das Stimmengewirr gibt mir das Gefühl, dass ich noch dazugehöre."

23:00 Uhr Café Florian
Wer Bescheid weiß, kommt relativ pünktlich zu Frau Gerti und Frau Ute. Denn ab elf Uhr abends gibt es im Florian fränkische Bratwürstel mit Sauerkraut. Der Vorteil: Man bekommt sicher noch eine Portion. Der Nachteil: Die Prominenten, die sich hier sonst die Türklinke in die Hand geben, sind um die Zeit noch gar nicht da. Der Hunger treibt sie aber her im Lauf der Nacht, so sicher wie der Schlussvorhang im Theater: die Schauspieler, Künstler, Galeristen, Kneipiers und all diejenigen, die noch lange nicht nach Hause wollen.

Bar-Jeder-Vernunft-Chef Holger Klotzbach kommt seit rund 30 Jahren in sein "zweites Wohnzimmer", damals war er noch als Kabarettist mit den "3 Tornados" unterwegs. "Hier trifft man immer jemanden, mit dem man quatschen kann." Nicht nur zum Theater­treffen oder zur Berlinale ist es hier voll, auch so manches Geschäft hat seinen Anfang im Florian genommen, und so mancher Drehbuchentwurf soll hier auf Papierservietten geschrieben worden sein.

Melonen aus Usbekistan

Rund um die Uhr geöffnet: Das "Rossija" am Stuttgarter Platz.
Rund um die Uhr geöffnet: Das "Rossija" am Stuttgarter Platz.

© Michael Pöppl

23:45 Uhr, Stuttgarter Platz

So leer kennt man ihn gar nicht, den rund um die Uhr geöffneten Rossija-Supermarkt am S-Bahnhof Charlottenburg. "Das liegt am Bahnstreik", sagt Alex, der heute die Nachtschicht übernommen hat, unter der Woche studiert er. Bei Rossija gibt es Lebensmittel aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, etwa Melonen aus Alex’ Heimat Usbekistan und natürlich Regale voller Wodka.

Die Produkte sind nicht nur bei der großen russischsprachigen Community in Charlottenburg beliebt. "In den letzten Wochen sind viele Waren aus Polen und Bulgarien dazu gekommen, wir reagieren auf die große Nachfrage", sagt Marktleiter Birol Dertop. Der Obsteinkauf wird bei Rossija von türkischen Mitarbeitern übernommen. So hat auch Dertop hier angefangen. Und sich hochgearbeitet.

0:15 Uhr KaDeWe
Das Kaufhaus des Westens schläft nie. Die Frühschicht der Bäcker startet kurz nach Mitternacht, um 4.45 Uhr beginnt die Auslieferung der Frühstücksbrötchen für die großen Hotels. Rund 3500 Brötchen kommen täglich aus den Backöfen von Lenôtre, dazu 1800 Baguettes und Brote. "Was kaum jemand weiß: Fast alles, was Sie sehen, entsteht hier im Haus", sagt Christophe Carbon, der Leiter der weltbekannten Feinschmeckerabteilung.

Nur das Mehl fürs Gebäck kommt aus Paris, monatlich 29 Tonnen, die aus riesigen Silos im Untergeschoss hoch unters Dach gepumpt werden.

BVG-Mitarbeiter vor dem Nachmahl

Treffpunkt der "Jeunesse dorée": Die Puro Sky Lounge
Treffpunkt der "Jeunesse dorée": Die Puro Sky Lounge

© Promo

1:30 Uhr, Stuttgarter Platz

Im verglasten Imbiss, der zum Rossija Supermarkt gehört, löffeln die Gäste russische Suppen oder essen Schaschlik. Manche starren dabei auf den tonlosen Spielfilm, andere unterhalten sich, zwei gehen vor die Tür, um sich anzuschreien. Ein paar Meter weiter sitzen zwei BVG-Mitarbeiter vor ihrem späten Abendessen. Ein junger Mann läuft rastlos zwischen Imbiss und Supermarkt hin und her, auf der Suche nach einer Frau, die er heiraten könnte.

Eine Ukrainerin fragt den Kassierer Alex nach einer Plastiktüte, sie will einen Hundehaufen vom Bürgersteig räumen. Heiraten möchte sie im Moment nicht. Fünf Italiener bezahlen ihr Bier, danach kauft ein russisches Pärchen Tomaten und Kaviar, der hinter dem Verkaufsstand gelagert wird. Schräg gegenüber stolpern vier Briten um die 70 aus einer Table-Dance-Bar. Bis auf den einen, der an Krücken geht, haben sie Schwierigkeiten, ihr Gleichgewicht zu halten.

2:15 Uhr Hardenbergplatz
Es ist jetzt sehr ruhig geworden am Bahnhof Zoo, bis knapp vor 4 Uhr morgens kommen und fahren hier keine Züge. Vor dem Revier der Bundespolizei stehen zwei Uniformierte mit Kaffeebechern und rauchen, drei Taxifahrer unterhalten sich auf Türkisch und hoffen wohl auf die Ungeduld derer, denen das Warten auf den Nachtbus zu lang wird.

2016 soll alles besser werden. Dann beginnt die Renovierung des Bahnhofs Zoologischer Garten, einen zweistelligen Millionenbetrag will die Bahn investieren, um die Läden und die Zooterrassen im abgehängten "Hauptbahnhof des Westens" wieder attraktiver zu machen. Dann finden hier auch die Taxifahrer nachts wieder Fahrgäste.

Die Charlottenburger Jeunesse dorée

3:00 Uhr Puro Sky Lounge

Die Puro Sky Lounge im 20. Stockwerk des Europacenters ist, neben dem Q-Dorf um die Ecke, einer der wenigen verbliebenen Clubs im Alten Westen. Doch während in der Joachimsthaler Straße vor allem Schulklassen ihre "Berlin-ist-ja-so-geil"-Partys feiern, trifft sich im Puro die Charlottenburger Jeunesse dorée. Man fährt mit dem Taxi oder der Mietlimo vor, trägt viel Make-up und kurze Kleidchen, viel Bling-Bling oder ein Sakko über den teuren Polohemden.

Nicht zuletzt wegen seines großartigen Blickes über die Stadt ist das Puro aber auch eine beliebte Eventlocation, in der MTV-Partys stattfinden oder nach einem Fußball-Finale auch mal die komplette Mannschaft des FC Bayern zum Feiern auftauchen kann.

4:51 Uhr Ernst-Reuter-Platz
Frühmorgens herrscht kurz Stille, nur die Verkehrsinsel ist belebt: mit gefühlt Millionen von Kaninchen.

5:00Uhr KaDeWe
Pünktlich betritt Sabine Femfert, die Chefpatissière von Lenôtre, ihr Reich unterm Dach des KaDeWe. Im Lauf des Tages werden unter ihrer Leitung 5000 Petit Fours, 3000 Törtchen und rund 30 verschiedene Sorten an Torten und Kuchen gebacken werden. Bei den Sonderbestellungen werden auch sehr ausgefallene Wünsche erfüllt, ob es sich um eine überdimensionierte Hochzeitstorte oder einen koscheren Mickey-Maus-Kuchen zur Bar Mizwa handelt.

In der Küche selbst ist Schichtbeginn gegen sechs Uhr morgens. Rund 150 Mitarbeiter wirken insgesamt hinter den Kulissen mit, um die vielen Frischetheken und die 33 Feinschmeckerbars auf der sechsten Etage mit Essen zu versorgen.

5:59 Uhr Breitscheidplatz
Zum Schluss kommt – na klar – die Berliner Straßenreinigung. Auf Initiative der in der AG City zusammengeschlossenen Geschäftsleute und Unternehmen werden Ku’damm und Tauentzienstraße häufiger gereinigt als die meisten anderen Orte der Stadt. "Wir rennen quasi den Touristen hinterher", sagt BSR-Einsatzleiter Bodo Hahn. "Je sauberer es ist, desto größer ist die Hemmschwelle, Müll einfach auf den Boden zu werfen."

Mittlerweile hat der Gesetzgeber das Vorhaben ein Stück weit verstetigt, die sogenannten Reinigungsklassen wurden erstmals seit 80 Jahren angepasst. Doch selbst diese strengeren Vorgaben genügen den Anrainern nicht. Am Morgen fegen daher Männer in BSR-Orange den Konsummüll zusammen: Kaffeebecher, Verpackungen, Essensreste. Danach dreht eine Kehrmaschine ihre einsamen Runden über den Breitscheidplatz.

Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

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