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Stil-Berater: Guter Geschmack zum Kaufen

Schöner wohnen, hübscher dekorieren, schicker aussehen: In Berlin kann man Stilberatung kaufen. So wie die von Juliane Röthig: Sie gestaltet Berliner Wohnungen um. Und sie weiß, was Berliner in den eigenen vier Wänden mögen.

Mit Zahlen kann Juliane Röthig spätestens seit ihrem BWL-Studium umgehen, doch ihre Leidenschaft gehört einem anderen Thema: dem Einrichten. In ihrer eleganten 3-Zimmer-Wohnung in Prenzlauer Berg, in der sie auch ihr Büro untergebracht hat, stapeln sich die einschlägigen Magazine zu kleinen Papiertürmen – und sehen selbst schon wieder aus wie kleine Designerstücke. Nach einigen Jobs im Start-up-Bereich hat die 25-Jährige vor einem Jahr Indecorate gegründet, eine Einrichtungsberatung, die sich nicht nur sehr vermögende Menschen leisten können. Die erste Stunde kostet 40 Euro, ein "One-Room-Makeover" ist ab 250 Euro zu haben, ein "All-Room-Makeover" ab 600 Euro. Ist diese Bezahlung akzeptabel für die ausgebildeten Innenarchitekten und Interior Designer, die Röthig vermittelt? "Die erste Stunde ist ein Kompromiss, wir wollen den Leuten die Chance geben, uns kennen zu lernen", sagt sie. Einige ihrer rund 20 freien Mitarbeiter bekämen über Indecorate einen höheren Stundenlohn als für ihre anderen Einsätze.

Nach dem Makeover Bilder von der Wohnung online stellen

Indecorate trifft den Zeitgeist, das Bedürfnis vieler Menschen, ihre Umgebung ästhetisch zu gestalten und oft bis ins kleinste Detail auf die eigene Persönlichkeit abzustimmen. Und Fotos aus dem Zuhause dann auch gern online zu veröffentlichen. Vielleicht hängt diese Sehnsucht nach dem perfekten Heim auch damit zusammen, dass die politische und wirtschaftliche Weltlage trotz aller Informationskanäle immer unübersichtlicher wird.

In Deutschland ist Indecorate etwas Besonderes, in den USA wäre es ein Angebot von vielen. Dort gibt es auch Innenarchitekten, die sich ganz auf die Online-Beratung konzentrieren. Für Juliane Röthig wäre das nicht denkbar: "Wir wollen die Kunden kennen lernen, weil wir davon überzeugt sind, dass die Einrichtung von den Menschen abhängt." Indecorate komme gut an – und kann inzwischen auch in München, Hamburg, Köln, Augsburg und Rosenheim genutzt werden. Röthig selbst liegt vom Alter her am schmalen Anfang ihrer Zielgruppe. Beraten lassen sich zum Beispiel Paare, die zusammenziehen oder Familien, die Nachwuchs erwarten.

Sie mag alles, was Patina hat

Worauf legen die Berliner bei der Beratung besonderen Wert? "Sie mögen es skandinavisch und minimalistisch. Und sie haben schnell Angst, dass alles zu überstyled wirkt." Außerdem gehe es ihnen darum, dass die Einrichtungsgegenstände etwas Persönliches ausdrückten. Auch Juliane Röthig liebt Dinge, die eine Geschichte erzählen, sie mag "alles, was Patina hat" und achtet darauf, an welchen Orten in der Wohnung sie und ihr Freund besonders viel Zeit verbringen. "Ich finde, es lohnt sich, in Sachen zu investieren, an denen man bei der täglichen Nutzung Freude hat."

Wie erklärt sie sich die Sehnsucht nach dem schönen Leben? "Wir werden mit viel mehr visuellen Reizen konfrontiert als früher, deshalb wollen wir uns in unseren eigenen vier Wänden besonders wohlfühlen." Obwohl sie aus dem Start-up-Bereich kommt, hat die 25-Jährige keine weiteren Geldgeber im Boot, sie finanziert ihr Unternehmen aus privaten Mitteln: "Ich möchte lieber langsam und organisch wachsen."

Andreas Weidlich: "Andrews & Martin"

Auch Andreas Weidlich hat auf externe Geldgeber verzichtet. Der Berliner hat ebenfalls BWL studiert, als Unternehmensberater gearbeitet und vor acht Jahren dann doch seiner Leidenschaft für schöne Kleidung, Stil, Etikette und Details nachgegeben. Schon als junger Mann habe es ihn "angefasst", neben schlecht oder nachlässig gekleideten Vorgesetzten im Aufzug zu stehen. Andrews & Martin hat Weidlich sein Unternehmen genannt. Seine Kunden können sich unter anderem Anzüge, Hemden, Kleider und Jeans auf den Leib schneidern lassen. Am großen Tisch in Weidlichs Wilmersdorfer Atelier nehmen Frauen und Männer mit oder ohne ein besonderes Modegespür Platz, darunter Politiker und Firmenchefs.

Kein Zurechtzuppeln der Hose mehr

Wie Vertragspartner sitzen sich die Kunden und Weidlich dort gegenüber, eine Situation, die auch den skeptischsten Besuchern vertraut sein dürfte. Weidlich lässt die Kunden erzählen, er fragt, zu welchem Anlass das neue Kleidungsstück getragen werden soll, redet über Stoffe und Schnitte. In diesen Gesprächen gehe es bei Weitem nicht immer nur um Kleidung, sondern darum, sich in seiner Haut wohlzufühlen. Weidlich steht auf und setzt zu einer Art Choreographie des Unbehagens an: Wer bei ihm einkaufe, könne sich das Zurechtzuppeln der Hose und des Hemdes sparen, weil alles perfekt sitze, der Hosenbund nicht zu tief hänge, die Beine lang genug seien und das Jackett nicht abstehe.

Manche reisen extra aus anderen Städten an

Weidlich flüstert, wenn er beschreibt, wie ein Kunde beginnt, sich für die hochwertigen Stoffe, Materialien und Schnitte zu begeistern. Einen Anzug gibt es bei ihm ab 799 Euro. Mittlerweile hat der 52-Jährige um die 1000 Stammkunden. Und gibt außerdem Kurse rund um Fragen zum guten Stil. "Den Deutschen wird das Gefühl dafür überwiegend nicht in die Wiege gelegt", sagt er. Auch wenn es regionale Unterschiede gebe und die Situation etwa in Düsseldorf, Hamburg oder München deutlich besser sei. Unter seinen Kunden sind auch einige gebürtige Berliner, doch die meisten Menschen, die bei ihm einkaufen, seien vor fünf, zehn oder 20 Jahren hierher gezogen. Und manche Käufer reisen sogar extra für ihn an.

Jana Zschömitzsch, Floristin

Es hat ein paar Jahre gedauert, bis sich nicht nur besonders neugierige Passanten über die Schwelle von Jana Zschömitzschs Geschäft am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer getraut haben: Weil nicht so genau zu erkennen war, ob der Raum ein Laden war oder doch ein privates Projekt. In ihrer Elternzeit begann die ausgebildete Floristin damit, Kränze zu verkaufen – und machte sich selbstständig. Inzwischen sind ihr Sohn und der Laden fünf Jahre alt. "Du hast irgendwie so ganz andere Blumen", sagen die Kunden oft zu ihr. Zschömitzsch ist klar, dass Blumen natürlich das i-Tüpfelchen einer schön eingerichteten Wohnung sind.

Schlichte und ungekünstelte Sträuße

"Im Umgang mit meinen Kunden merke ich aber auch, dass es ihnen wichtig ist, einfach mal einen wilden Strauß zu kaufen, der am besten gar nicht zusammengebunden ist, der schlicht, spontan und ungekünstelt ist." Und der mit viel Liebe und ohne Hektik zusammengestellt wird. Die 35-Jährige staunt oft selbst darüber, wie entspannt die Kunden bleiben, wenn sie wieder einmal etwas länger warten müssen. Im Garten hat sie einen kleinen Hügel mit hübschen Tontöpfen aus Thüringen gebaut – 2000 Stück davon hat sie gekauft und damit vor dem Müllcontainer gerettet.

Es sich nett und gemütlich machen

Obwohl ihre Webseite noch immer nicht fertig ist, laufen die Geschäfte gut. Zschömitzsch gestaltet zum Beispiel auch Terrassen, dekoriert auf Hochzeiten und Events und hat auch schon für verschiedene Magazine gearbeitet. Dienstleistungen rund um das Thema Stil scheinen sich sehr gut offline zu verbreiten, über Mundpropaganda. "Ich mache es mir einfach gerne nett und gemütlich", sagt Zschömitzsch. Und wer zu ihr in den Laden kommt, bekommt etwas von diesem Gefühl ab.

Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

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