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Eine gewagte Fahrt: Das erste Taxi in den Osten

Wenige Wochen nach dem Mauerfall waren Verkehrsverbindungen zum Flughafen Schönefeld noch nicht so einfach. Viele Reisende liefen das letzte Stück von der Grenze bis zum Flughafen zu Fuß. Tagesspiegel-Leser Martin Schoppenhorst, der auf dem Weg nach Thailand war, mochte aber nicht sein gesamtes Gepäck schleppen. Er fand einen mutigen Taxifahrer.

Lange vor der Maueröffnung hatte ich mit meinem Freund Heiner eine Reise nach Thailand gebucht. So richtig Lust hatte ich wegen Claudia, meiner neuen Freundin, nicht mehr dazu, aber ich hätte Heiner auch nicht einfach hängen lassen können - gerade über die Feiertage nicht, die ja für Singles immer etwas problematisch sind. Denn wenige Wochen zuvor war ich auch noch ein Single gewesen.

Abreisen wollten wir am 22. Dezember 1989 abends vom Flugplatz Schönefeld aus. Die Verkehrsverhältnisse waren zu diesem Zeitpunkt wegen der langsam zusammenwachsenden Stadt etwas unübersichtlich geworden. Wie sollten wir Schönefeld, das südlich von Berlin in der DDR liegt, erreichen? Richtige Verkehrsverbindungen gab es nach dem Mauerfall dorthin nicht nicht mehr. Nach langen Diskussionen einigten wir uns darauf, erst mit der U-Bahn bis Rudow, dann mit einem Taxi bis zur Grenze zu fahren und schließlich zu Fuß bis zum Flughafen zu laufen. Das waren mehrere Kilometer mit viel Gepäck auf den Schultern, ein Spaß würde das nicht werden. Aber es gab einfach keine andere Möglichkeit.

Gesagt getan. Der Taxifahrer war ein aufgeschlossener Mann und sehr gesprächig. Er gefiel uns. Während der angeregten Unterhaltung hatte Heiner eine geniale Idee: Er fragte den Taxifahrer, ob er nicht versuchen könne, uns bis zum Flughafen zu fahren. Es wurde still im Auto, alle schwiegen spontan und dachten nach, der Taxifahrer grübelte einige Augenblicke lang. Dann sagte er zunächst leise vor sich hin: "Warum nicht, versuchen kann man es ja. Wenn die da es nicht wollen, schicken sie uns zurück. Was kann da schon passieren". Dann fuhr er laut fort: "Wir probieren es!"

Der erste Grenzposten war nicht besetzt, wir mussten uns mit Risiko auf den Boden der DDR begeben. Jetzt wurde der Taxifahrer dann doch etwas nervös: "Mensch, ich habe ein Funkgerät, das können die Grenzer schon gar nicht leiden. Das wird bestimmt Ärger geben". Er verlangsamte die Fahrt. "Der will doch nicht etwa umdrehen", dachte ich. Nein, er fuhr langsam weiter bis zur nächsten Grenzstation. "Was wollt Ihr denn hier, das ist doch erst ab morgen erlaubt," mit diesen Worten wurden wir von den Grenzern empfangen. Sie waren überrascht, blieben aber freundlich.

Nachdem sie sich gefasst hatten, fanden sie es irgendwie auch ganz spaßig, dass wir so frech darauf los gefahren waren. Heiner und ich erklärten ihnen, weshalb wir so dreist waren . Sie hörten aufmerksam zu. Als wir alles vorgebracht hatten, was sie hätte überzeugen können, zogen sie sich zurück und berieten. "Eigentlich ist es ja noch nicht erlaubt, aber da Ihr schon mal hier seid, wollen wir nicht so sein. Aber die Formulare müsst Ihr schon noch ausfüllen." Dabei steckte er den Kopf durch das Fenster, um uns die Formulare zu geben. Jetzt sah er das Funkgerät und zuckte zurück. "Sie haben ja ein Funkgerät. Das dürfen Sie aber nicht mitnehmen, das müssen Sie ausbauen und hier lassen bis Sie wieder zurückkommen". "Das geht aber nicht, mir fehlt das Werkzeug und wenn ich es von der Batterie abklemme, ist es gesperrt.", antwortete der Taxifahrer.

Die Grenzer überlegten und berieten. Der Wortführer: "Wir wollen mal nicht so sein. Aber Sie versprechen, dass das Funkgerät auf der Fahrt zum Flugplatz und zurück ausgeschaltet bleibt. "Selbstverständlich", versprach der Taxifahrer. Wir durften weiter fahren. Jetzt konnte er sich vor Freude gar nicht beruhigen: "Ich bin der erste Taxifahrer, der in den Osten gefahren ist. Das glaubt mir keiner, das glaubt mir keiner. Wenn ich zurück bin, werde ich sofort die Zentrale anrufen und denen erzählen, was wir gewagt haben. Das glaubt mir keiner, das glaubt mir keiner." Er war völlig aus dem Häuschen und signalisierte einen so starken Drang, der Welt dieses Ereignis mitzuteilen, dass ich schon wieder befürchtete, dass er sofort umdrehen wird. Aber er brachte uns doch zum Flugplatz.

Beim Abschied versprachen wir, uns noch mal zu treffen, aber keiner hatte Papier und Kuli für die Telefonnummern bereit. Und so wurde nichts daraus.

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