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© ullstein - Wende

Fußball und Mauerfall: Stefan Beinlich: Der Neue von Bergmann-Bonsai

Wie der frühere Fußball-Nationalspieler Stefan Beinlich die Wende im Fußball schaffte – obwohl der die Nacht des Mauerfalls auf eher unspektakuläre Weise zubrachte. Aber danach wurde es für den jungen Fußballer aus Ost-Berlin so richtig spannend.

Um es vorwegzunehmen: Die Nacht der Nächte habe ich verschlafen. Kein Witz, als die Mauer sich öffnete, lag ich in meinem Bett.

Ich war damals 17 und wohnte noch bei meinen Eltern in Pankow. Mitten in der Woche ging ich relativ früh ins Bett. Ich war Lehrling beim VEB Bergmann-Borsig, wo ich eine Elektriker-Lehre absolvierte. Ich musste morgens um fünf Uhr raus. Und so kam es, dass ich das Jahrhundertereignis, das quasi vor der Haustür stattfand, komplett verpasste. Meine Eltern hatten mich nicht geweckt. Meine Mutter schlief auch schon, als die Bilder im Fernsehen liefen, und mein Vater hielt es nicht für so spannend, uns zu wecken.

Am nächsten Morgen, dem des 10. November, ging ich wie immer ins Werk. Allerdings wunderte ich mich etwas, dass kaum ein Lehrling da war. Überhaupt war der riesige Betrieb relativ leer. Dann erzählten mir die ersten Kollegen, dass vergangene Nacht die Mauer gefallen sei. Ich wollte es erst nicht glauben. Mir schossen damals viele Gedanken durch den Kopf. Der erste war: Jetzt können wir ja rüber! Rüber nach West-Berlin. Ich verdrängte irgendwie diesen ersten Gedanken, weil ich ihn gar nicht fassen konnte. Klar, auch ich hatte die Entwicklungen in den Wochen zuvor verfolgt, die Demos in Leipzig und die am 4. November in Berlin. Ich habe damals gehofft, dass es vielleicht ein paar Verbesserungen für uns normale Menschen geben würde. Aber dass man von einer auf die andere Minute in den Westen fahren konnte – einfach so – nein, das lag außerhalb meiner Vorstellungskraft. Umso schöner war es dann, als ich die ersten Bilder sah.

Ich bin erst drei Tage später rüber, zusammen mit meiner damaligen Freundin, meiner heutigen Frau, und einem befreundeten Paar. Wir nahmen den Grenzübergang Bornholmer Straße, der lag ja um die Ecke. Als wir am S-Bahnhof Zoo ausstiegen, sprach uns ein Herr mit Aktentasche an: „Kommt ihr aus dem Osten? Ich würde euch gern zum Bier einladen.“ Wie sich herausstellte, war er ein Universitätsprofessor, der ein wenig diese historischen Momente greifen und begießen wollte. Jedenfalls war das meine erste leibhaftige Bekanntschaft mit dem bösen Kapitalismus! Wobei – so ganz stimmt das ja nicht, weil mein Großvater drei Schwestern hatte, die allesamt im Westen lebten: Tante Litti, Tante Paula und Tante Lucie. Letzterer, also Tante Lucie, die in Hamburg lebte, habe ich im Nachhinein meinen Weg zum Profi zu verdanken. Jedenfalls nicht weniger als der Wende. Ich kickte damals im Nachwuchs des BFC Dynamo. Bis 1988. Dann wurde ich aussortiert und musste gehen. Angeblich wegen Herz-Rhythmus-Störungen, die ich tatsächlich hatte, aber über sieben Ecken haben wir später erfahren, dass es doch an der West-Tante lag. Tante Lucie hatte uns wohl ein paar Mal zu oft in Ost-Berlin besucht.

Über meine Lehre bei Bergmann-Borsig bin ich im Frühjahr 1989 im dortigen Juniorenteam gelandet. Heute sagt man A-Jugend. Die spielten in der Kreisklasse. Ich bestritt die letzten Saisonspiele, dann stiegen wir in die DDR-Juniorenliga auf. Und im Januar 1990 bekam ich für den Sommer einen Vertrag im Männerteam. Das spielte in der DDR-Liga. Mit einer Profikarriere im Westen rechnete ich nicht im Entferntesten. Wer sollte mich schon noch entdecken? Spieler wie Thomas Doll, Andreas Thom oder Matthias Sammer, die im Wendeherbst bereits in der Oberliga und Nationalmannschaft der DDR spielten, sie kannte jeder, aber mich? Ich absolvierte ein Probetraining bei Türkiyemspor. Na toll, dachte ich.

Ich blieb bei Bergmann-Borsig, traf aber eine wichtige Entscheidung. Ich brach meine Umschulung zum Handelskaufmann ab, meldete mich also arbeitslos. Nur so konnte ich zweimal am Tag trainieren. Ich wollte unbedingt Profifußballer werden. Das zahlte sich aus. Im Herbst 1991 unterschrieb ich einen Profivertrag bei Aston Villa. Mein Gott, das war für mich eine völlig neue Welt – die höchste Spielklasse in England. Gleichzeitig war es die beste Lehre für mein weiteres Leben als Profi. Ich glaube, damals hielten die mich, den jungen Mann aus Ost-Berlin, für das achte Weltwunder oder so. In einer Zeitung stand damals geschrieben: „Der Neue von Bergmann-Bonsai“.

Was ich heute mit dem Mauerfall verbinde? Perspektiven! Ja, das ist es wohl. Ich konnte mich entwickeln und verwirklichen. Meine Frau und ich, wir haben inzwischen drei Kinder. Ihnen stehen mehr Türen offen als mir damals in der DDR.

Gelegentlich erinnere ich mich an meinen ersten Besuch in West-Berlin. Wie wir damals abends den Ku’damm entlangliefen. Das Helle, das Licht, die Reklame. Vor allem aber die Herzlichkeit unter den Menschen. Egal, wem du begegnetest – es war so, als würde man sich jahrelang kennen. Dieses Gefühl hielt damals ein paar Tage, vielleicht auch Wochen. Bis sich eine gewisse Ernüchterung breitmachte. Freiheit ist nicht nur leicht und einfach. Tauschen aber möchte ich nie und nimmer.

Aufgezeichnet von Michael Rosentritt.

Stefan Beinlich

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