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Stilvoll: Über den roten Teppich

Bei Staatsbesuchen oder Premieren darf er nie fehlen - der rote Teppich. Auf der Bornholmer Brücke wurde er am 9. November auch ausgerollt; Tagesspiegel-Leser Dieter Slomski ging darüber.

Am 9. November vor 20 Jahren ging ich über den roten Teppich in den Westen. Ein stilbewusster Weddinger hatte nämlich an diesem Abend die Idee, für die Ostberliner den roten Teppich auszurollen. Er rollte ein Stück roten Kokosläufer (vielleicht aus seinem Korridor) über die Demarkationslinie aus. Die war ein mindestens 25 Zentimeter breiter weißer Streifen, der die genaue Grenze zwischen den Sektoren markierte. Das war am Ende der Brücke im Wedding. Diese Linie gab es noch lange Zeit nach der Wiedervereinigung bis sie mit der Straßenausbesserung verschwand. Ich fand diese Idee so gut, dass ich denn auch ganz bewusst darüber gegangen bin.

Dann aber ging es weniger stilvoll zu Fuß zur U-Bahn-Station Osloer Straße, und da es schon ca. 23Uhr war, fuhr diese bereits mit nur zwei Wagen. Das Ende von Wedding hatte damals nicht so großen Beförderungsbedarf um diese Tageszeit. Alle Ostberliner drängten sich hinein, wir konnten nachfühlen, wie es immer in Tokio gewesen sein musste, wo die Fahrgäste noch von Helfern reingedrückt wurden. Man hätte in diesem Moment versuchen können, die Beine anzuziehen, ich glaube man wäre nicht runtergefallen. Hat aber keiner probiert.

Am U-Bahnhof Kurfürstendamm sind wir ausgestiegen, und erlebten dort das größte Volksfest aller Zeiten. In diesem Taumel kamen wir dann auch am Wittenbergplatz an. Die Kioske dort waren noch auf und ich kaufte als Souvenir eine Dose Bier, um später zu Hause feststellen zu können, dass es kein Traum war. In dieser Nacht hatte ich wirklich ein bisschen Angst, plötzlich aufzuwachen und alles nur geträumt zu haben.

Wir wollten dann mit dem Nachtbus zur Friedrichstraße fahren, um dort wiederum mit dem Nachtbus nach Hause zur Bornholmer Straße zu fahren, wir wollten ja pünktlich zur Arbeit kommen. Mitten im Volksfest konnte natürlich kein Bus fahren, wir hatten keine Ahnung, wo und wie es nun weitergehen sollte, also gingen wir zu Fuß zum Checkpoint Charlie, ca. 45 Minuten, reihten uns dort ein und bekamen von freundlichen Polizisten einen Stempel in den Ausweis. In Ostberlin fuhr der Nachtbus zuverlässig wie immer und wir waren um 4 Uhr zu Hause, schliefen sogar noch ein bisschen und ich freute mich auf den Weg zur Arbeit, den ich mir und meinen Kollegen schon jahrelang ausgemalt hatte.

Wir arbeiteten in der heutigen Dorotheenstraße, in dem Haus Nr. 8, das heute noch steht und in die Bundestagsbauten einbezogen worden ist. Das ist unweit des S-Bahnhofs Unter den Linden und auch nicht weit vom Bahnhof Friedrichstraße. Und ich wohnte wie heute noch in der Bornholmer Straße in Rufweite zur ehemaligen Grenze und zum Bahnhof Bornholmer Straße. Da dieser Bahnhof und der Bahnhof Unter den Linden noch Geisterbahnhöfe waren, ging ich am Morgen zum Bahnhof Gesundbrunnen und fuhr mit der S-Bahn, die aus Frohnau kam zum Bahnhof Friedrichstraße. An der Passkontrolle dort im Tränenpalast fragte mich eine wiederum freundliche Polizistin, wie lange ich mich denn in Westberlin aufgehalten hätte. Ich sagte, es waren ca. 12 Minuten, ich bin nämlich nur endlich meinen richtigen Weg zur Arbeit gefahren. Die Polizistin war sprachlos, sie wusste doch gar nicht, wovon ich redete, blieb freundlich und gab mir nicht einmal einen Stempel. Vorher hatte ich allerdings noch die BZ gekauft mit dem Aufmacher des Jahrhunderts: Die Mauer ist weg - Berlin ist wieder Berlin.

Nach ein paar Minuten Fußweg kam ich dann zu meiner Arbeitsstelle. Dort empfing mich schon vor dem Haus unser Pförtner und rief mir entgegen, Weißte schon was passiert ist? Ich sagte nur, ich komme gerade von dort und hielt ihm die BZ vor die Nase. Wir genossen gemeinsam wieder einen Moment dieses Glücks.

Im Büro war das auch schon angekommen und nur eine halbe Stunde später rief der Direktor alle zu sich. Es waren Gläser bereitgestellt und er öffnete eine Flasche Sekt, goss allen ein und sagte feierlich, so und nun möchte ich mit Euch anstoßen auf wieder normale Zeiten. Viel wurde nicht mehr gesprochen in diesen Minuten. Wir waren noch immer angesteckt von diesem Taumel. Nur der Kollege, der mir all die Jahre am Schreibtisch gegenüber saß, sagte noch, von Dir hätte ich sowieso nichts anderes erwartet, aber gleich in der ersten Minute… Das kann eben nur Slomi (das bin ich).

Dieter Slomski

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