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Unerwartete Gäste: Plötzlicher Besuch aus Halle

Am 9. November feierte Tagesspiegel-Leserin Kerstin Appel bei Freunden. Gegen 22 Uhr klingelte es. Unerwarteter Besuch stand vor der Tür. Die Grenze war offen.

"Um 22.30 Uhr kommen die Gäste aus Halle", sagte unser Freund, der am 9. November  Geburtstag hat. Wir lachten und schoben die Bemerkung auf die gute Stimmung des Abends. Dann klingelte es tatsächlich nach 22 Uhr und die Freunde aus Halle standen in der Tür. Wir fielen uns alle in die Arme und konnten nicht glauben, was da passiert war. Die Grenze ist  offen. Diese Nachricht war für uns West-Berliner immer noch unfassbar. 

Ich war als kleines Mädchen über Nacht von einem großen Teil meiner Familie auf eine für mich unverständliche und grausame Art getrennt worden. Erst im Dezember 1963 durfte ich meine Großeltern, meine Tante und meine Onkels wiedersehen, 1966 ein zweites Mal und 1971 nach dem Berlin-Abkommen dann regelmäßig. Ich fuhr, so oft ich konnte rüber, aber die versäumte gemeinsame Zeit wird mir keiner zurückschenken können.

Schikane und Druck an den Grenzen wurden mir vertraut, und in jener Nacht konnte ich mir einfach nicht vorstellen, das dies alles ein Ende haben sollte.Um ein Uhr früh fuhr ich zum Kurfürstendamm. Die Stimmung dort  war wundervoll. Es gab Sekt und Currywurst, die Menschen lagen sich in den Armen und weinten zum Teil vor Freude. Die Berliner waren endlich wieder zusammen. Als ich gegen 6.00 Uhr glücklich nach Hause fuhr, las ich bereits die Schlagzeilen in den Tageszeitungen.

Am 10.November  fuhr ich mit einem Freund zum Brandenburger Tor. Dort kletterte ich auf die Mauer. Als ich oben stand, war ich sowohl über die Höhe als auch über die Breite der Mauer erstaunt. Hunderte von Menschen standen dort oben und blickten Richtung Brandenburger Tor. Unten standen ängstliche Vopos, die nicht gewusst hätten, was sie tun sollen, wenn wir in den Osten gesprungen wären. All dies ist in zahlreichen Bildern festgehalten worden. Nie waren wir uns so einig und froh wie in jenen Tagen. Ich wünsche mir jene Staatsform nicht zurück, auch wenn ich  verstehe, dass die Entwicklung für viele nur schwer zu verkraften ist.

Am 11.November  hat meine Tante Geburtstag. Ich fuhr wie immer zu ihr und musste 13 DM Zwangsumtausch bezahlen. Sie hatte sich noch nicht in den Westteil der Stadt getraut, weil den Bürgern beim Vorzeigen ihrer Ausweise mit schlimmen Konsequenzen gedroht worden war. Irgendwann hatte ich die Gäste dann überredet doch mitzukommen. Wir saßen lange in der  kleinen Markthalle, einer Kneipe in der Nähe der Heinrich-Heine-Straße.

Noch heute sprechen wir über diesen besonderen Abend und über das Glück, wann immer wir wollen,  an diesem Ort  zusammenkommen zu können.

Kerstin Appel

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