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Von Ferne betrachtet: Vom Mauerfall überrascht in Portugal

Wie war das Leben 1989? Für Tagesspiegel-Leserin Angela Hartung ging alles seinen Gang. Sie lebte zu dieser Zeit mit ihrer Familie in Porto, der zweitgrößten Stadt Portugals. Ihr damaliger Mann unterrichtete an der Deutschen Schule, und sie arbeitete an der angeschlossenen Grundschule. Über die deutsche Teilung dachte Angela Hartung nicht viel nach. Doch das sollte sich ändern.

Die Mauer und die Trennung der deutschen Nation in zwei Staaten war eine Tatsache, auch und besonders für uns, die wir aus Berlin kamen. Niemand wäre auf die abseitige Idee gekommen, dieser Zustand könnte sich überhaupt jemals ändern! Deshalb sprach auch niemand darüber.

Die im portugiesischen Fernsehen gesendeten Nachrichten befassten sich meistens mit innerportugiesischen Problemen und nur am Rande mit europäischen Vorgängen; das aufregende Geschehen, das zum Mauersturz führte, wurde vorher von uns bewusst kaum wahrgenommen. Auch Zeitungen lasen wir ausschließlich auf Portugiesisch. Schließlich wollten wir die Landessprache möglichst fließend lernen! Über eine deutsche Informationsquelle verfügten wir nur selten.

In der Schule summte es am 10. November vor Aufregung

Ich erinnere mich gut an den Morgen des 10. November 1989 und an die darauf folgenden Tage. Im Kollegium der Schule summte es vor Aufregung, als ich den Raum betrat. Durch das Stimmengewirr rief mir jemand zu: "Hast du schon gehört?"  Ich dachte, da wollte sich jemand über mich lustig machen! Die Mauer gefallen? Kann ja gar nicht sein!! Zunächst fühlte ich mich auf den Arm genommen. Ungläubig begab ich mich auf meinen Platz und begann mich auf den Unterricht vorzubereiten. Aber das aufgeregte Erzählen der Kollegen, der anschwellende Lärm führte doch dazu, dass ich genauer zuhörte. Einige erzählten, sie hätten im deutschen Fernsehen live gesehen, wie die Menschen in ihren Trabis durch die geöffnete Berliner Mauer fuhren und jubelten! Und die standen Schlange, um in den Westen zu kommen! Und viele Menschen fielen sich in die Arme und freuten sich und einige schluchzten vor Rührung!

Ich konnte es kaum glauben. Dennoch schien es wahr zu sein. Mein Verstand weigerte sich zwar immer noch, diese unglaublichen Vorgänge als real anzuerkennen. Noch am Tag davor hätte ich, wenn mich jemand gefragt hätte, geschworen: Die Mauer? Die bleibt noch lange!

Ich weiß es nicht mehr genau, aber wir sprachen wohl auch im Unterricht über die Mauer und darüber, dass das Bild vom geteilten Deutschland nun revidiert werden müsste.
An einem der darauffolgenden Tage wurde in der Aula des Colegio Alemao eine Fernseh-Aufzeichnung gezeigt, in der man die Menschen sehen konnte, die auf die Mauer kletterten, auch die anrührenden Szenen vor der geöffneten Mauer. Informationen gab es über das Begrüßungsgeld für jeden Menschen aus dem Osten, freien Kaffee bei Tchibo und viele andere kleinere Aktionen, die alle Herzlichkeit und Anteilnahme ausdrückten.

Das große Umdenken begann

Nun waren diese Vorgänge Tagesgespräch. Ich freute mich in erster Linie, aber ich fühlte mich auch unsicher. Man musste sich sozusagen neu positionieren, seine Einstellungen überdenken. Einigen fiel das schwer. Jahrelange Vorstellungen über Bord werfen? Erst mal abwarten, bis man genau weiß, wie sich die Leute aus dem Osten das so vorstellen, die Vereinigung mit dem Westen!

Die portugiesischen Lehrkräfte oder Portugiesen, mit denen wir privaten Umgang hatten, freuten sich mit uns über den Fall der Mauer. Niemand äußerte Ängste einem erstarkenden gesamtdeutschen Staat gegenüber. In der deutschen Kolonie entstand schon bald das Bild vom unbedarften weil unerfahrenen Ostdeutschen, dem man guten Gewissens seine alten Autos zum überhöhten Preis andrehen konnte: Die können froh sein, dass sie jetzt ein richtiges Auto fahren dürfen! Mussten ja schließlich vorher jahrelang auf einen bestellten Trabi warten! Die Versicherungsfritzen freuten sich über zahlreiche Abschlüsse im Osten mit Leuten, die nicht gewohnt waren, dass sie das Kleingedruckte lesen müssen. Und Ähnliches konnten wir auch im portugiesischen Fernsehen sehen.

Die Kluft zwischen Ost unf West öffnete sich

Kein Wunder, dass sich bald eine Kluft zwischen vermeintlich tumben Ossis und vermeintlich arroganten Wessis auftat! Die politischen Entscheidungen taten ihr Übriges. Wie taktvoll verhält man sich, wenn man den Bürgern im Osten Chefs aus dem Westen vor die Nase setzt, die denen schon beibringen werden, wie die Marktwirtschaft so funktioniert? Zaghafte selbst initiierte Neuanfänge hatten da wenig Chancen.

An diesem Problem, das sich vor 20 Jahren im Anschluss an die Maueröffnung stellte, werden wir noch eine Weile arbeiten müssen. Helmut Kohl irrte jedenfalls, als er den Ostbürgern in zehn Jahren blühende Wiesen und Felder (oder so ähnlich) versprach.

Angela Hartung

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